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INTERNATIONAL/011: Indien - Täglich zeigen 60 Frauen eine Vergewaltigung an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. März 2011

Indien: Täglich zeigen 60 Frauen eine Vergewaltigung an - Hohe Dunkelziffer bei Inzest

Von K. S. Harikrishnan


Thiruvananthapuram, Indien 17. März (IPS) - In Indien zeigen täglich 60 Frauen eine Vergewaltigung an. Nach Angaben der Nationalbehörde für Kriminalitätsstatistik (NCRB) nimmt die Zahl schwerer Sexualdelikte in Indien schneller zu als die Kriminalität in irgendeinem anderen Bereich - bei weiter steigender Tendenz.

Registrierte die indische Polizei im Jahr 2000 landesweit noch 10.068 Vergewaltigungsfälle, so stieg die Zahl in den folgenden zehn Jahren um rund 60 Prozent auf 16.496 an und lag Ende 2009 bei 21.397. Mit knapp 3.000 angezeigten Vergewaltigungen führte der zentralindische Bundesstaat Madhya Pradesh 2009 die Statistik an.

Gesondert registrierte die indische Kriminalstatistik von 2009 über 25.000 Fälle von entführten oder verschleppten Frauen sowie mehr als 38.000 Anzeigen wegen sexueller Belästigung.

Für den besorgniserregenden Anstieg von sexuellen Übergriffen auf Frauen gibt es nach Ansicht von Experten vielerlei Ursachen wie die Auflösung der Familienverbände, die fortschreitende Urbanisierung und den uneingeschränkten Zugang zur Pornographie.

Entscheidend sei vor allem der in den vergangenen zehn Jahren bei Jugendlichen zu beobachtende Wertewandel, erklärte der angesehene Sexualforscher K. Pramodu gegenüber IPS. Der Direktor des 'Promod's Sexual and Marital Health Institute' in Kochi im südindischen Bundesstaat Kerala kritisierte die einschlägigen Sex-Seiten im Internet, verwies aber auch auf die erfolgreiche Arbeit der Strafverfolgungsbehörden, die Mädchen und Frauen ermutigten, Vergewaltiger anzuzeigen.


Die meisten Vergewaltigungen in Neu-Delhi

In keiner der 35 indischen Megametropolen wurden 2009 mehr Frauen vergewaltigt als in der Hauptstadt Neu-Delhi. Der Polizei wurden 404 Fälle gemeldet. Außerdem zeigten 1.379 Frauen Entführungen und weitere 500 sexuelle Belästigungen an. Nach Angaben einer 2010 durchgeführten UN-Studie fürchten sich 85 Prozent der befragten Frauen vor sexuellen Übergriffen auf Neu-Delhis Straßen und Marktplätzen, bei Busfahrten und an Bushaltestellen.

"In der Hoffnung auf bessere Arbeits- und Lebensbedingungen ziehen derzeit viele Menschen aus ganz Indien, vor allem aber aus dem Norden, in die Hauptstadt", sagte die in Neu-Delhi arbeitende Journalistin Archna Rajeev. "Die rasante Urbanisierung, der höhere Bildungsstand und der starke Einfluss der Medien verändern hier auch die Werte junger Leute. Auch wenn immer mehr junge Frauen die guten Arbeitschancen nutzen und sich einen Job suchen, bleiben sie weithin schutzlos", stellte sie fest.

Wie die 23-jährige Buchhalterin Soumya, die auf der Heimfahrt von der Arbeit in Kochi von einem berüchtigten jugendlichen Gewalttäter aus dem Zug gestoßen, mit einem Stein fast erschlagen und vergewaltigt worden war. Der Täter lies sein Opfer bewusstlos am Bahndamm liegen. Fünf Tage später starb die junge Frau an ihren schweren Verletzungen. Sie hatte den Lebensunterhalt für ihre Familie verdient.


Bei Inzest schweigen die Opfer

Auch wenn Indiens amtliche Kriminalstatistik 2009 mehr Fälle von Inzest (404 gegenüber 309 2008) registrierte, ist die Dunkelziffer innerfamiliärer sexueller Übergriffe nach Ansicht von Experten besonders hoch. "Die Opfer schweigen, und die Täter lügen", stellte der Kriminologe Arun Kumar aus Bangalore fest

Indische Autorinnen klagen, die zunehmende sexuelle Gewalt gegen Frauen sei nicht zuletzt eine Folge der in den Medien verbreiteten Obszönitäten und der Kommerzialisierung zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Kolumnistin O. V. Usha forderte: "Wir alle, auch die Regierung, müssten mehr tun, damit die an Frauen begangenen Gräueltaten ein Ende haben." (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2011