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INTERNATIONAL/077: Chile - Isoliert und vernachlässigt, Sozialproteste in Südregion Aysén (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Februar 2012

Chile: Isoliert und vernachlässigt - Sozialproteste in Südregion Aysén

von Marianela Jarroud

Proteste vor Sitz der Regierung von Aysén - Bild: © Sozialbewegung für die Region Aysén

Proteste vor Sitz der Regierung von Aysén
Bild: © Sozialbewegung für die Region Aysén

Santiago, 27. Februar (IPS) - In der südchilenischen Region Aysén protestiert die Bevölkerung seit mehr als zwei Wochen mit Straßenblockaden und Demonstrationen gegen Vernachlässigung, Armut, Unterbezahlung und hohe Preise. Sie will solange weitermachen, bis ihre Forderungen erfüllt werden. Doch bisher zeigt die Regierung von Staatspräsident Sebastián Piñera kein Interesse an direkten Verhandlungen.

"Unsere Rechte werden mit Füßen getreten", meinte der Vorsitzende der Vereinigung der Fischer von Puerto Aysén, Henry Angulo. Seit Jahrzehnten glänze der chilenische Staat mit Abwesenheit, und die Menschen ächzten unter der Last der Preise, die ihnen für Grundnahrungsmittel, Energie, Benzin, Holz und andere Güter abverlangt würden.

Die Hafenstadt Aysén am gleichnamigen Fluss liegt 1.640 Kilometer von der chilenischen Hauptstadt Santiago entfernt. Vom Rest des Landes weitgehend abgeschnitten, mangelt es den Menschen an einer grundlegenden Infrastruktur, an Bildungsangeboten und medizinischer Versorgung. Die Kosten für viele Güter sind exorbitant hoch, weil sie von weit her angeliefert werden müssen.

So kostet der Liter Benzin fast zwei US-Dollar und das Kilo Brot drei Dollar. 200 Dollar müssen die Menschen im Monat für Holz bezahlen, auf das sie in der unwirtlichen und kalten Region angewiesen sind. Eine Kilowattstunde Strom kostet doppelt so viel wie in Santiago.


Elf-Punkte-Forderungskatalog

Die Einwohner von Aysén haben einen Elf-Punkte-Katalog aufgestellt, in dem sie unter anderem Verbindungsstraßen und andere Infrastrukturmaßnahmen fordern. Darüber hinaus wollen sie künftig an der Ausbeutung der Rohstoffe in ihrer Region stärker beteiligt werden. Auch verlangen sie eine Verbesserung der Gesundheits- und Bildungsversorgung sowie eine Senkung der Preise für Güter des täglichen Bedarfs.

"Ein Volk, das sich erhoben hat und in der Lage ist, sich die Hände zu reichen und sich zu organisierten, kann man nur schwerlich auseinander reißen", sagte Julio López, der Regionalvertreter der Nationalen Vereinigung der Verwaltungsangestellten, der sich den Protesten angeschlossen hat.

Die zur Sozialbewegung der Region Aysén zusammengeschlossenen Bauern-, Fischer-, Indigenen-, Gewerkschafts- und anderen Verbände wollen den gesamten Forderungskatalog durchsetzen. "Es gibt nicht einen einzigen Punkt, den wir auslassen können", sagte Henry Angulo. Die Punkte spiegeln die Probleme der Menschen wie Armut, Vernachlässigung und schlechte Löhne wider. "Wir sind arm und werden als Billigkräfte hemmungslos ausgebeutet."

Am 23. Februar ernannte die Regierung die in der Region umstrittene Gouverneurin Pilar Cuevas zur einzigen Gesprächspartnerin. Die Forderung der Demonstranten, direkt mit dem chilenischen Finanzminister Felipe Larraín zu verhandeln, wies dieser am 24. Februar als "unnötig" zurück.


Polizeigewalt

Inzwischen weiten sich die Straßenblockaden aus, und es drohen Versorgungsengpässe. Außerdem kommt es zunehmend zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei. Wie von Seiten der Protestbewegung zu hören ist, wurden 150 Zivilisten verletzt.

Die versuchte Unterdrückung der Sozialproteste verbittert die Menschen. Die rechte Piñera-Regierung sei die Fortsetzung der Diktatur der Jahre 1973 bis 1990, meinte Angulo. Ihr gehe es lediglich darum, ihre Macht zu benutzen, um die Bevölkerung zu knechten.

Wie López berichtet, gehen die Sicherheitskräfte sogar mit Schrotgewehren gegen die Demonstranten vor. Ein nationaler Rundfunksender berichtete, die Polizei habe am 24. Februar in Aysén mehrere Presseteams angegriffen, die über die Ereignisse vor Ort berichten wollten.

Die Gewalt gegen Zivilisten hat auch Menschenrechtsorganisationen auf den Plan gerufen. So berichtete die Chile-Sektion von 'Amnesty International' von Anzeigen über die Misshandlung festgenommener Personen und Engpässe bei der medizinischen Versorgung Verletzter. "Wir haben von einem unangemessenen Einsatz von Tränengas und Schrotkugeln sowie von Festnahmen gehört, die willkürlich erfolgt sein könnten", sagte die Leiterin von Amnesty Chile, Ana Piquer. (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Februar 2012