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INTERNATIONAL/125: Indonesien - Frühere politische Gefangene fordern Rehabilitierung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Oktober 2012

Indonesien: Jahrzehntelang geächtet - Frühere politische Gefangene fordern Rehabilitierung

von Alexandra Di Stefano Pironti


Ehemalige politische Gefangene in Indonesien - Bild: © Alexandra Di Stefano Pironti/IPS

Ehemalige politische Gefangene in Indonesien
Bild: © Alexandra Di Stefano Pironti/IPS

Jakarta, 31. Oktober (IPS) - Gäbe es in Indonesien ein Kastensystem, dann gehörten ehemalige politische Gefangene sicherlich zu den Unberührbaren. In einer Villa in der Innenstadt von Jakarta leben zehn Senioren zusammen, die nach anti-kommunistischen 'Säuberungsaktionen' jahrzehntelang keine Arbeit fanden und ihre Kinder nicht zur Universität schicken konnten. Noch bis 2005 war in ihren Personalausweisen vermerkt, dass sie aus ideologischen Gründen im Gefängnis saßen.

Die Zehn haben 1965 und 1966 die Militärrazzien gegen die verbotene Indonesische Kommunistische Partei (PKI) überlebt. Damals wurden unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 500.000 und drei Millionen Menschen ermordet. Tausende erlitten Folter und kamen ohne Gerichtsverfahren in Haft.

Sie sind gesellschaftlich geächtet, seit General Suharto Ende 1965 Präsident Sukarno stürzte, der Indonesien zwei Jahrzehnte zuvor in die Unabhängigkeit geführt hatte. Während der 20 Jahre andauernden Suharto-Diktatur wurden Kommunisten in dem Land gnadenlos verfolgt. Die zehn Bewohner der Villa in der Kramat-Straße haben traumatische Erinnerungen an ein blutiges Kapitel in der Geschichte des südostasiatischen Landes.

Pak Rosidi, ein 86-jähriger ehemaliger Agraringenieur, der in Australien studiert hatte, erzählt in perfektem Englisch, welche Gräuel er bis 1980 in dem berüchtigten Gefangenenlager auf der Insel Baru erlebte. Untersuchungen haben kürzlich ans Licht gebracht, dass Menschen dort wie Sklaven gehalten wurden.


Geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert

"Ich verlor 1970 meine Stelle in der Abteilung für Landwirtschaft und wurde festgenommen, weil ich ein Anhänger Sukarnos war, nicht ein Kommunist", sagt er. "Im Gefängnis wurde ich geschlagen und stundenlang mit Elektroschocks gefoltert. Ich habe drei Kinder und war vor meiner Inhaftierung verheiratet. Als ich zurückkam, wollte meine Frau aber nichts mehr von mir wissen."

Auch andere erlebten, wie sehr die Gefangenschaft ihre Familienbeziehungen belastete. Aus Angst stellten sich Kinder gegen ihre Eltern, um nicht ihr Leben lang diskriminiert zu werden.

Wie viele andere Häftlinge hatte Rosidi nach der Freilassung wegen des Vermerks 'Ex Tapol' (Ex-Gefangener) in seinem Ausweis große Schwierigkeiten, sich eine neue Existenz aufzubauen. Eine Laufbahn als Anwalt, Politiker oder Offizier war den ehemaligen politischen Gefangenen versperrt. Auch andere gute Jobs standen ihnen nicht offen. Ihre Kinder konnten sich nicht an Hochschulen einschreiben.

Rosidis Nachbarin Ibu Snanto, inzwischen 85 Jahre alt, saß von 1966 bis 1975 im Gefängnis, weil ihr Mann Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen war. "Ich war nur Hausfrau, trotzdem wurde ich festgenommen, mit Elektroschocks traktiert und vergewaltigt", erzählt sie. "Deswegen leide ich jetzt an Herzproblemen und einem Trauma."

Dieses düstere Kapitel indonesischer Geschichte, das vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zu sehen ist, begann 1965 mit der Entführung und Ermordung von sechs Armeegenerälen durch eine Gruppe von Militärs mit dem Namen 'Bewegung des 30. September', die dadurch einen Putsch gegen den mit den Kommunisten sympathisierenden Sukarno verhindern wollte. Wie viele Menschen daraufhin inhaftiert, gefoltert oder getötet wurden, steht ebenso wenig fest wie die Zahl der Überlebenden der Razzien.

"Wir haben zwei Jahre lang recherchiert, ohne Klarheit darüber zu gewinnen, wie viele Menschen getötet wurden. Vom Militär war keine Hilfe zu erwarten", berichtet Nur Kholis von der Nationalen Indonesischen Menschenrechtskommission (Komnas HAM).


Menschenrechtsverstöße erst kürzlich offiziell anerkannt

In dem ersten offiziellen Bericht, der auf Gesprächen mit 349 ehemaligen Gefangenen basiert und im vergangenen Juli veröffentlicht wurde, spricht 'Komnas HAM' von "schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen" wie Morden, Sklaverei, Folter, sexuellem Missbrauch, Verschwindenlassen, 'Säuberungen', Vertreibungen und Verfolgungen".

Der Report empfiehlt der Regierung des Landes mit der weltweit größten muslimischen Bevölkerung einen nationalen Aussöhnungsprozess in Gang zu bringen. Die Verantwortlichen für die Verbrechen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, fordert die staatliche Kommission.

Kholis berichtet von einem Zeugen, der mit angesehen hat, wie Soldaten auf der Insel Sumatra etwa 100 halbverhungerte Gefangene ins Meer trieben. Eine überlebende Frau aus Medan im Norden Sumatras habe ihm außerdem erzählt, dass ihr Soldaten Bündel angezündeter Streichhölzer in die Vagina gesteckt hätten, sagt er.

In indonesischen Schulbüchern ist von den damaligen Massakern nicht die Rede. Der Kommunismus ist bis heute ein Tabu-Thema. Noch 2008 wurde eine Gruppe von Künstlern auf Bali angeklagt, weil sie während einer Aufführung Symbole der Kommunistischen Partei gezeigt hatten.

Obwohl Indonesien nach dem Sturz Suhartos 1998 den Weg zur Demokratie eingeschlagen hat, zögert der amtierende Präsident Susilo Bambang Yudhoyono, ein ehemaliger Armeegeneral, alte Wunden aufzureißen.

Die zehn Bewohner der Villa in der Kramat-Straße erwarten indes nur noch, dass ihr guter Ruf wiederhergestellt wird. "Ich wünsche mir, dass wir von dem Stigma befreit werden und die Regierung erklärt, dass wir anständige Leute sind", sagt die 87-jährige Ibu Pujiati, die 14 Jahre wegen arbeitsrechtlicher Aktivitäten im Gefängnis saß.

Die größte muslimische Organisation in Indonesien, 'Nahdlatul Ulama' (NU), deren Mitglieder sich mit dem Militär an der Verfolgung und Ermordung mutmaßlicher Kommunisten beteiligt hatten, würde das Kapitel am liebsten schließen. "Sie sollten keine Entschädigung verlangen", sagt As'ad Said Ali, ein hohes NU-Mitglied. "Der Konflikt sollte vergessen werden." (Ende/IPS/ck/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/10/indonesias-blood-soaked-chapter-still-open/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2012