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INTERNATIONAL/127: Indien - Senioren ohne Sicherheitsnetz, demographisches Problem vernachlässigt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. November 2012

Indien: Senioren ohne Sicherheitsnetz - Demographisches Problem vernachlässigt

von K. S. Harikrishnan


Seniorinnen vor einem der wenigen Altenheime in Kanyakumari Tamil Nadu - Bild: © K. S. Harikrishnan/IPS

Seniorinnen vor einem der wenigen Altenheime in Kanyakumari Tamil Nadu
Bild: © K. S. Harikrishnan/IPS

Neu-Delhi, Thiruvananthapuram, 9. November (IPS) - In der Nacht des 12. Oktobers wurde der 91-jährige George Puthenveettil aus der Ortschaft Kalanjur im Bezirk Pathanamthita im südindischen Bundesstaat Kerala brutal von seinem Sohn misshandelt und aus dem Haus geworfen, "weil er kein Geld verdient".

Der alte Mann irrte stundenlang durch die Straßen seines Dorfes, bis er von einem Nachbarn aufgegriffen und in eine Schutzstelle in Pathanapuram gebracht wurde. Die Polizei erklärte nach der Aufnahme von Ermittlungen, dass der betagte Witwer bereits des Öfteren von seinem Sohn geschlagen und beschimpft worden sei.

Für viele Inder wird der Lebensabend zu einer traumatischen Erfahrung, wenn die Betroffenen in Ermangelung eines Sozialversicherungs- und Rentensystems in völlige Abhängigkeit von der Familie oder Freunden geraten. Die Einkommenssicherheit älterer Menschen sei eines der drängendsten Probleme des südasiatischen Landes, meint dazu der Demographie-Experte Irudaya Rajan von der Abteilung für die Erforschung der internationalen Migration im Ministerium für indische Überseeangelegenheiten.

Vor Jahren hatten traditionelle Werte und religiöse Anschauungen älteren Menschen einen sicheren Lebensabend gewährleistet, sagt Rajan. Doch inzwischen würden massive wirtschaftliche Probleme und die zunehmende Fokussierung vieler Menschen auf die Kernfamilie der Unterstützung Älterer den Boden entziehen. "Die Mehrheit der Senioren arbeitet aus Mangel an einer angemessenen Sozialversicherung und an finanziellen Ressourcen im Rentenalter weiter."


Arbeiten bis zum Umfallen

Aus einem vom UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) in Neu-Delhi veröffentlichten Bericht über die Situation der alternden Gesellschaft geht hervor, dass in Indien im letzten Jahr 90 Millionen ältere Menschen gezählt wurden. Bis 2026 werden es den Prognosen zufolge 173 Millionen sein. Von den 90 Millionen Senioren sind 30 Millionen alleinstehend und 90 Prozent arbeiten, um sich ein Auskommen zu verschaffen. Experten schätzen, dass nur acht Prozent der 460 Millionen Beschäftigten über ihre Arbeitgeber sozialversichert sind.

Mehr als 94 Prozent der indischen Arbeitskräfte sind in der Schattenindustrie tätig. "Für diese Menschen, die immerhin die Hälfte des indischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaften, gibt es kein soziales Sicherheitsnetz", kritisiert Gopal Krishnan, ein Wirtschaftswissenschaftler aus Chennai. Laut Weltbank belief sich Indiens BIP im letzten Jahr auf 1,8 Billionen Dollar.

Bereits 2006 hatte die Nationale Kommission für Unternehmen im informellen Sektor der Zentralregierung die Einführung eines nationalen Sozialversicherungssystems angeraten, damit die Beschäftigten auf diese Weise im Rentenalter wenigstens minimal abgesichert sind.

Doch bisher hat Neu-Delhi keine politischen Entscheidungen zugunsten der Alten getroffen. Das Ministerium für soziale Gerechtigkeit hatte 1999 zwar ein nationales Maßnahmenpaket entwickelt, es aber nie umgesetzt.


Leid allerorten

Analysten zufolge sieht sich Indiens alternde Gesellschaft mit zahlreichen Schwierigkeiten gesundheitlicher, familiärer, wirtschaftlicher und sozialer Art konfrontiert. Auch Geschlechterungerechtigkeiten, das Stadt-Land-Gefälle, Vertreibungen und eine slumartige Wohnsituation verschärfen die ohnehin prekäre Situation vieler Senioren.

Udaya Shankar Mishra vom Zentrum für Entwicklungsstudien in Thiruvananthapuram ist der Meinung, dass das sich die besorgniserregende Situation vieler alter Menschen leicht verändern ließe. "Mit begrenzten finanziellen Mitteln könnten wir die Krise der Betagten überwinden, indem wir Maßnahmen ergreifen, die dazu beitragen, dass ältere Menschen aktiv und gesund altern."

Gesundheitsexperten zufolge sind Senioren extrem anfällig für Herz- und Atemwegserkrankungen, Nierenleiden, Diabetes, hohen Blutdruck und neurologische Probleme. Zudem leidet jeder zweite indische Senior unter mindestens einer chronischen Krankheit, die die lebenslange Einnahme von Medikamenten erforderlich macht. 75 Prozent hören und/oder sehen nicht mehr gut, haben sprachliche und/oder Gehprobleme und/oder leiden unter Senilität. (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/11/no-social-protection-for-indias-elderly/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. November 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2012