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INTERNATIONAL/157: Kambodscha - Das Dorf der Alten und Kinder, Land Grabbing entvölkert Chouk (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2013

Kambodscha: Das Dorf der Alten und Kinder - Land Grabbing entvölkert Chouk

von Michelle Tolson


Bild: © Michelle Tolson/IPS

Eb Mon heißt Freiwillige der Hilfsorganisation CamASEAN in der kambodschanischen Ortschaft Chouk willkommen
Bild: © Michelle Tolson/IPS

Provinz Koh Kong, Kambodscha, 9. Oktober (IPS) - Das Dorf Chouk, das inmitten von Wäldern in den kambodschanischen Kardamombergen nahe der thailändischen Grenze liegt, macht einen idyllischen Eindruck. Doch der Schein trügt. Seitdem die Bewohner einen Großteil ihrer Ländereien an eine kommerzielle Zuckerrohrplantage abtreten mussten, ist das Überleben in der Ortschaft schwierig geworden. In den einfachen Holzhäusern wohnen fast ausschließlich Kinder und ältere Menschen. Alle anderen haben die Gegend verlassen.

Die 270 Familien in Chouk ('Lotus') haben zwar ein Dach über dem Kopf, jedoch nicht genug Land, um davon zu leben. Jahrzehntelang ernährten sich die Einwohner der Provinz Koh Kong im Südwesten Kambodschas von dem, was sie selbst anbauten. Doch seitdem sich der reiche Geschäftsmann und Senator Ly Yong Phat 2006 eine Konzession für eine Zuckerrohrplantage auf einer Fläche von etwa 20.000 Hektar sichern konnte, sind die Felder der Dorfbewohner auf ein Minimum geschrumpft.

Einst pflanzten die Familien Reis, Gemüse und Wassermelonen auf Parzellen von 2,5 bis 5 Hektar an. Ihnen ist jedoch nur noch jeweils ein halber Hektar geblieben, nachdem das Unternehmen das Gros ihrer Anbauflächen zerstört und vereinnahmt hat. Als Entschädigung erhielten die Bewohner von Chouk umgerechnet 50 US-Dollar pro Hektar, obwohl der marktübliche Preis eigentlich bei 500 bis 1.000 Dollar pro Hektar liegt.


Land Grabbing als Erbe der Gewaltherrschaft der Roten Khmer

Während der Gewaltherrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 wurden Landeigentumstitel abgeschafft. Land Grabbing trifft heute somit kaum auf Hindernisse. Noun Sidara, der in der Jugendgruppe 'CamASEAN' aktiv ist, erzählt, dass seine Eltern bei drei Mikrokreditorganisationen verschuldet sind. Um das Darlehen zurückzuzahlen, müssten sie im benachbarten Thailand als Tagelöhner arbeiten. CamASEAN bemüht sich, den entrechteten Bauern zu helfen.

Manche Eltern kommen überhaupt nicht mehr wieder. Dann sind es die Großeltern, die für ihre Enkel sorgen. Srun Srorn, ein Gründungsmitglied von CamASEAN, berichtet von einer 72-jährigen Frau, die drei Enkel versorgt. Sie fand zwar Arbeit auf der Zuckerplantage, verdient dort aber nur etwa 1,5 Dollar am Tag. Für jeweils 20 geerntete Zuckerrohre werden zwei Cent bezahlt. "Eine starke Person kann 2,5 Dollar täglich verdienen, andere müssen sich mit knapp einem Dollar begnügen", erklärt Srun.

Srun, der 13 Geschwister hat, wuchs in den 1980er Jahren während einer großen Hungersnot in Kambodscha auf. Diese Erfahrung war ausschlaggebend für den Wunsch anderen zu helfen und für die Menschenrechte einzutreten.

Dass die Kleinbauern aus dem Dorf abwandern, hat auch damit zu tun, dass sie seit 2010 nicht mehr von dem Plantagenunternehmen angeworben werden. Als Begründung wurden Proteste der Dorfbewohner gegen die Plantage angeführt. Die Beschäftigten kommen nun meist aus anderen Ortschaften.

Der Bau einer Zuckerrohrfabrik hat dazu geführt, dass der Fluss, der an Chouk vorbeifließt, inzwischen aufgrund der dort eingeleiteten Abwässer verseucht ist. Die Kühe der Dorfbewohner wurden krank, und die Fische im Fluss verendeten. Familien, die keine andere Wasserquelle hatten, erkrankten an Durchfall. Sie sammeln nun Regenwasser in Containern oder kaufen Wasser.

Die Bewohner von Chouk ernähren sich fast ausschließlich von Reis. Das Angebot auf dem Dorfmarkt ist bescheiden, und die nächste Stadt ist vier Fußstunden oder anderthalb Autostunden entfernt. Um ihren Eiweißbedarf zu decken, essen die Menschen oft Eier und Fischsauce, die sie aus weiter flussaufwärts gefangenen Fischen herstellen.

In der Hauptstadt Phnom Penh kosten Eier pro Stück acht bis zehn Cent, in Chouk doppelt so viel. Gemüse kommt so gut wie nie auf den Tisch, wie Noun erläutert. Er will den Bauern zeigen, wie sie mit alternativen Anbaumethoden mehr aus ihren kargen Feldern herausholen können.


Armut, Hunger, Bildungsnotstand

Untersuchungen des Welternährungsprogramms WFP belegen, dass trotz einer Erholung der Wirtschaftslage immer noch 40 Prozent aller Kinder in dem südostasiatischen Staat mangelernährt sind. Gefährdet sind vor allem Kinder armer Bauern, die zu wenig oder gar kein Land haben. Armut führt zu Hunger, Nahrungsunsicherheit und Unterernährung, was wiederum die kognitive und die körperliche Entwicklung von Kindern hemmt.

In Chouk herrscht zudem ein Bildungsnotstand, denn die nächstgelegene staatliche Schule ist fünf Kilometer entfernt. Seit ihre Eltern ihr Land verloren haben, besuchen viele Kinder aus Kostengründen nicht mehr den Unterricht. Auch die Lehrer sind in einer schwierigen Lage, da sie nur zwischen 40 und 50 Dollar im Monat verdienen. Ohne Hilfe von ihren Familien kommen sie nicht über die Runden.

Vor einem Jahr lernte Srun den 77-jährigen Dorfbewohner Eb Mon kennen, der 67 Kinder in einem Raum unterrichtete. Das Bildungsministerium hatte auf seine Bitte, ihn bei der Einrichtung eines Klassenraumes behilflich zu sein, nicht geantwortet. Unterstützung kam schließlich von CamASEAN, die Unterrichtsmaterialien, Kleidung, Reisnudeln und Brot bereitstellte. Kürzlich waren die Freiwilligen zum fünften Mal vor Ort - die Einzigen, die regelmäßig kämen, wie Eb Mon berichtet, der bei der Explosion einer Landmine ein Bein verloren hat.

Für das abgelegene Dorf haben sich die sozialen Netzwerke als hilfreich erwiesen. Auf diese Weise kam Chouk mit internationalen Gebern in Kontakt. Die französische Nichtregierungsorganisation SIFAR hilft inzwischen beim Bau einer Schule. Eb Mon und seine Frau erhalten zudem ein Monatseinkommen von 30 Dollar. Zudem hat ein Malaysier im Juni die erste und einzige Wasserpumpe in dem Dorf gebaut. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://babcambodia.org/developmentwatch/cleansugarcampaign/bittersweet.pdf
http://camasean.org/
http://www.wfp.org/countries/cambodia/overview
http://www.fao.org/docrep/013/al936e/al936e00.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/10/some-rice-served-with-rainwater/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2013