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INTERNATIONAL/163: Jemen - Alltagsdroge Khat gefährdet Wirtschaft, Wasserversorgung und Gesundheit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Januar 2014

Jemen: Ein Land kaut sich zu Tode - Alltagsdroge Khat gefährdet Wirtschaft, Wasserversorgung und Gesundheit

von Cam McGrath


Bild: © Cam McGrath/IPS

Für den Jemen ist Khat der Zukunftskiller
Bild: © Cam McGrath/IPS

Sanaa, 31. Januar (IPS) - Die jemenitische Hauptstadt Sanaa gehört zu den ältesten Städten der Welt. Sie wurde angeblich vor mehr als 2.500 Jahren besiedelt und ist das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. Doch der Countdown für den Untergang läuft.

Bei fortgesetztem Armutstrend wird bis zum Jahr 2030 mehr als die Hälfte der bis dahin geschätzten vier Millionen Einwohner nicht mehr in der Lage sein, sich mit den grundlegenden Nahrungsmitteln zu versorgen. Und schon vorher geht der Stadt das Trinkwasser aus.

"Die Geschwindigkeit des Wasserverbrauchs lässt der Natur keine Zeit, die Wasserbestände zu regenerieren", warnt Noori Gamal, Hydrologe im Ministerium für Wasser und Umwelt. "Der Grundwasserspiegel sinkt sechs Meter pro Jahr. Bis 2025 könnte Sanaa die erste Hauptstadt der Welt sein, die auf dem Trockenen sitzt."

Der Jemen ist ein arides Land, und die Niederschlagsmenge in Sanaa beschränkt sich auf jährlich 20 Zentimeter. Doch Schuld an den rückläufigen Grundwasserreserven hat nicht das Klima, sondern der Mensch mit seinem Suchtverhalten. Der Khat-Konsum zwingt die Wirtschaft in die Knie und stürzt die Stadt in die Wasserkrise.

Noch vor 30 Jahren wurden die leicht narkotisierenden, bitter schmeckenden Blätter des Khat-Strauchs ausschließlich zu besonderen Anlässen gekaut. Doch nun sind sie integraler Bestandteil des täglichen Lebens in dem 26 Millionen Menschen zählenden verarmten arabischen Staat. Angenommen wird, dass 72 Prozent der Männer und ein Drittel der Frauen die Droge regelmäßig konsumieren. Einer Studie zufolge geben Jemeniten pro Tag insgesamt 20 Millionen US-Dollar für das Rauschmittel aus. Zudem gehen durch den Khat-Konsum 80 Millionen Arbeitsstunden verloren.


Mehr Geld für Khat als für Nahrungsmittel

"Im Jemen dreht sich alles ums Khat", bestätigt Ali Ayoub, ein Lederwarenverkäufer, der nach eigenen Angaben pro Tag vier Stunden lang Khat kaut. An Feiertagen oder zu Hochzeiten können es noch mehr werden. "Ab 14.00 Uhr findet man niemanden mehr in der Stadt, der einer Arbeit nachgeht. Alle sind unterwegs, um sich die Blätter zu besorgen."

Wie viele Arme im Land gibt auch Ayoub mehr Geld für Khat als für die Ernährung seiner Familie aus. Khat wirke stimulierend und lasse die Menschen die Härten des Lebens vergessen, rechtfertigt er sich. Bittere Armut, hohe Arbeitslosigkeit und die fortgesetzten politischen Konflikte im Land seien dann leichter zu ertragen. "Oft wird gesagt, dass Khat die Wurzel all unserer Probleme ist. Doch in Wahrheit ist es nur ein Symptom", fügt Ayoub hinzu.

Die erhöhte Nachfrage nach den Blättern hat dazu geführt, dass viele Farmer in Erwartung höherer Einnahmen die traditionelle Landwirtschaft aufgegeben haben und stattdessen auf die lukrativere Khat-Produktion umgestiegen sind. War die Pflanze nach offiziellen Angaben 1997 noch auf einer Fläche von insgesamt 80.000 Hektar kultiviert worden, waren es 2012 bereits 250.000 Hektar. Und jährlich dehnt sich die Anbaufläche um zehn Prozent aus. Durch die Verdrängung der traditionellen Agrarerzeugnisse steigen die Nahrungsmittelpreise. Gerade für die Armen im Lande, die 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen, ist das eine Katastrophe.

"Bis in die 1980er Jahre hinein wurden 90 Prozent der im Lande konsumierten Nahrungsmittel lokal produziert. Doch wegen Khat muss der Jemen nun 90 Prozent seiner Nahrungsmittel importieren", berichtet Gamal. Er geht davon aus, dass der Khat-Anbau pro Hektar doppelt so viel Wasser verschlingt wie diejenigen Nahrungspflanzen, die die Droge verdrängt hat.

Die Bauern bewässern ihre Khat-Plantagen mit dem Wasser aus den unterirdischen Aquiferen, die sich über Tausende von Jahren immer wieder selbst aufgefüllt haben. Aus Regierungskreisen ist zu hören, dass im letzten Jahr mehr als eine Milliarde Kubikmeter der kostbaren Ressource zur Bewässerung der Khat-Felder verwendet wurde. Das entsprach in etwa einem Drittel des gesamten nationalen Grundwasserkonsums.


Lebensgefahr durch Wassermangel

Der Jemen hat mit 125 Kubikmetern einen der weltniedrigsten Wasseranteile pro Kopf und Jahr. Der weltweite Durchschnittswert liegt bei 7.500 Kubikmetern. Erwartet wird, dass ohne entsprechende Gegenmaßnahmen der jährliche Wasseranteil bis 2030 auf 55 Kubikmeter pro Kopf fallen wird.

Eine Bevölkerung, der jährlich weniger als 1.000 Kubikmeter pro Kopf zur Verfügung stehen, ist von Wasserknappheit bedroht. Ein Mensch braucht jährlich etwa 100 Kubikmeter Wasser zum Überleben.

Der steigende Khat-Konsum geht zudem mit der Zunahme relevanter Krankheiten einher. So wies eine Studie der Aden-Universität darauf hin, dass bei der Khat-Produktion mehr als 100 unterschiedliche Pestizide zum Einsatz kommen, von denen viele in den menschlichen Organismus gelangen und von Frauen über die Muttermilch an ihre Säuglinge weitergegeben werden.

Dem jemenitischen Gesundheitsministerium zufolge sind krebserregende Agrargifte, wie sie von den Khat-Bauern verwendet werden, für 70 Prozent aller neuen Krebsfälle im Land verantwortlich. Mund- und Kehlkopfkrebs ist im Jemen verbreitet und geht weit über internationale Vergleichswerte hinaus.

Nasser Al-Shamaa von der unabhängigen Eradah-Stiftung für ein Khat-freies Land zieht Parallelen zwischen dem Khat- und dem Zigarettenkonsum. Solange die Praxis sozial akzeptiert sei, hätten Anti-Khat-Initiativen kaum eine Chance auf Erfolg.

Die Bemühungen werden zudem von Regierungsbeamten torpediert, die ein Interesse an der Herstellung und Verteilung des Rauschmittels hätten. Sie kassierten Steuer- und Bestechungsgelder. "Es wird eine Zeit dauern, die Einstellung der Menschen zu Khat zu verändern", so Al-Shamaa. "Doch wir haben keine Zeit, denn Khat zerstört unsere Zukunft." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/01/nation-chewing-death/

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IPS-Tagesdienst vom 31. Januar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2014