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INTERNATIONAL/178: Mexiko - Aus den USA abgeschobene Migranten stranden im Slum nahe der Grenze (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. August 2014

Mexiko: Vorhölle 'El Bordo' - Aus den USA abgeschobene Migranten in Slum nahe Grenze gestrandet

von Daniela Pastrana


Bild: © Daniela Pastrana/IPS

Ein aus den USA Deportierter unter einer Brücke am Tijuana-Fluss
Bild: © Daniela Pastrana/IPS

Tijuana, Mexiko, 26. August (IPS) - Entlang der Grenze zwischen Mexiko und den USA fließt der schmale Tijuana-Fluss durch einen von Beton eingefassten Kanal, über den tief hängende Brücken führen. Unter ihnen campieren Obdachlose. Viele von ihnen sind aus den USA abgeschobene illegale Einwanderer. Ein Abschnitt von etwa zwei Kilometern Länge, der sich östlich der Stadt Tijuana bis zu der Mauer an der Grenze zu den USA erstreckt, ist inzwischen zu einer riesigen Freiluft-Kloake verkommen.

In dem Slum, der auch 'El Bordo' genannt wird, hausen Hunderte Menschen in primitiven Stoffzelten, Pappkartonverschlägen, tunnelähnlichen Löchern und Abwasserrinnen. An den Ufern des Kanals türmt sich Müll, der in den ohnehin schon zum Himmel stinkenden Fluss gespült wird. Dort lungern auch Drogenabhängige herum, die für jeweils zwei US-Dollar eine neue Dosis Heroin für den nächsten 'Schuss' kaufen können.

In El Bordo leben diejenigen, um die sich niemand kümmert. Unter den Brücken und an den Ufern des Kanals warten die Menschen zum Teil seit Jahren auf den nächstbesten Moment, um erneut über die streng gesicherte Grenze in die USA zu gelangen. In der Zwischenzeit leben sie von Gelegenheitsarbeiten. Sie putzen Windschutzscheiben, bringen Kunden Einkäufe nach Hause, packen auf Baustellen an, sammeln Müll für die Wiederaufbereitung oder gehen in der Stadt Tijuana betteln.

"Die Bevölkerung von El Bordo ist ein Beispiel für die extremen Bedingungen, denen besonders verletzliche Einwanderer ausgesetzt sein können", heißt es in einem neuen Bericht des Studienzentrums 'Colegio de la Frontera Norte' (COLEF) über das Leben der Menschen am Rande des Flusses.


Von Familien getrennt

Demnach hielten sich im August und September 2013 zwischen 700 und 1.000 Menschen in dem Gebiet auf. Überwiegend handelt es sich um Männer zwischen 40 und 50 Jahren, die während der vergangenen vier Jahre aus den USA abgeschoben wurden und keine Ausweispapiere besitzen. Einige von ihnen sind in El Bordo in die Drogenabhängigkeit abgerutscht. Die meisten haben Kinder in Mexiko oder in den USA zurücklassen müssen.

"Familien werden auseinandergerissen", geht aus der von der Wissenschaftlerin Laura Velasco geleiteten Studie 'Schätzungen und Charakteristika über die in El Bordo am Tijuana-Fluss-Kanal lebende Bevölkerung', hervor.


Obama-Regierung hält Abschiebungsrekord

Tijuana liegt im Bundesstaat Baja California im äußersten Nordwesten Mexikos, 2.780 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Auf der anderen Seite der Grenze befindet sich die kalifornische Stadt San Diego. 2012 kamen in Tijuana 59.485 der insgesamt 409.489 illegalen Einwanderer an, die von der US-Regierung zurückgeschickt worden waren. Seit Beginn der zweiten Amtszeit von Präsident Barack Obama 2009 sind mehr als zwei Millionen Menschen aus den USA abgeschoben worden. Allein 2012 wurden somit stündlich im Schnitt sieben Personen des Landes verwiesen. Damit hält die Obama-Regierung einen fragwürdigen Rekord.

In der Stadt Tijuana mit rund 1,7 Millionen Einwohnern leben im Verhältnis mehr Drogenabhängige als in anderen Städten Mexikos. Tijuana ist die Hochburg der geschwächten Drogenkartelle und gilt als eine der gefährlichsten Städte der Welt. Jahrzehntelang war sie der wichtigste Transitort für Migranten mit Ziel USA.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington hatten die US-Regierung zu einer Verschärfung ihrer Einwanderungspolitik bewogen. Die Grenze zu Mexiko wurde abgeriegelt. Zwischen den Jahren 2005 und 2013 stieg die Zahl der Grenzschützer von etwa 3.500 auf 21.000. Immigranten versuchen seitdem auf immer riskanteren Wegen über die rund 3.500 Kilometer lange Grenze von Mexiko in die USA zu gelangen.

Der Bundesstaat Baja California, der an die US-Staaten Kalifornien und Arizona angrenzt, nimmt etwa ein Drittel der Abgeschobenen auf. In keinem anderen mexikanischen Staat leben so viele Zuzügler. In Mexicali, der 177 Kilometer östlich von Tijuana gelegenen Hauptstadt von Baja California, gibt es ebenfalls ein Viertel, in dem abgeschobene Migranten leben. Der Wohnkomplex Montealbán wurde bei einem Erdbeben 2010 schwer beschädigt.


Obdachlose hausen in Abrisshäusern

In den abrissreifen Gebäuden am ehemaligen Ostufer des inzwischen ausgetrockneten Rio Nuevo, nahe der historischen Altstadt, haben sich etwa 80 Obdachlose und abgeschobene Migranten niedergelassen. Fast alle sind rauschgiftsüchtig. Immer wieder werden in den Ruinen Tote gefunden. Zuletzt wurde am 15. April eine Leiche entdeckt. Schussgefechte und Polizeirazzien sind dort an der Tagesordnung.

"Ich lebe hier, weil ich sonst nirgendwo anders hingehen kann", sagt der 33-jährige Guatemalteke Josué, der im August 2013 abgeschoben wurde und unbedingt wieder in die USA zurückkehren will. Vergeblich hat er versucht, die Grenze in Nogales im mexikanischen Staat Sonora zu überqueren. In Mexicali sei es einfacher, hat er gehört. Nun will er abwarten, bis sich die große Hitze mit Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius gelegt hat. "Mit zehn Jahren bin ich nach Kalifornien gekommen", erzählt er. "Mit Guatemala verbindet mich nichts mehr."

Eine andere COLEF-Studie über die Gesundheit abgeschobener mexikanischer Migrantinnen klingt alarmierend. Symptome psychischer Krankheiten seien bei ihnen fast 20 Mal häufiger zu beobachten als bei denjenigen, die freiwillig zurückkehrten, heißt es in dem Bericht, der sich auf Daten einer umfassenden Untersuchung stützt. Demnach erklärten etwa 40 Prozent der auf der Straße lebenden mexikanischen Migranten, dass sie psychische Probleme hätten. Zwölf Prozent von ihnen haben bereits an Selbstmord gedacht.

In den vergangenen fünf Jahren sind immer mehr Familien an den tragischen Verhältnissen zerbrochen. Laut einer Statistik mussten im Jahr 2007 20 Prozent der abgeschobenen Migranten ohne ihre Familien nach Mexiko zurückkehren. 2012 waren es 77 Prozent. "Die Betreuung der Rückkehrer ist nicht offiziell geregelt", kritisiert der Aktivist Sergio Tamai, Direktor der Notunterkunft 'Albergue Hotel Migrante' in Mexicali und einer der Leiter der Organisation 'Angeles sin Fronteras' (Engel ohne Grenzen). "Als Abgeschobene zu Hunderten kamen, war keine Institution darauf vorbereitet."


Neues Gesetz in Baja California soll Migranten schützen

Von August bis November 2013 war Tamai Anführer einer Gruppe von etwa 800 Demonstranten, die in Mexicali Unterstützung für Migranten, Abgeschobene und Obdachlose verlangten. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen und kirchliche Gruppen übten erfolgreich Druck auf die Behörden in Baja California aus.

Seit dem 7. August dieses Jahres ist ein neues Gesetz in Kraft, das die Rechte von Migranten in dem Bundesstaat schützt. Baja California ist damit zum Vorreiter geworden, nachdem das nationale Parlament 2011 ein neues Einwanderungsgesetz gebilligt hatte, das das alte von 1947 ersetzt und auch die Menschen schützt, die Mexiko als Transitland Richtung USA durchqueren. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/08/migrants-deported-from-the-u-s-in-limbo-on-the-mexican-border/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2014