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KIND/050: Usbekistan - Kinder zur Baumwollernte gezwungen, internationaler Boykott gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Oktober 2011

Usbekistan: Kinder zur Baumwollernte gezwungen - Internationaler Boykott gefordert

von Pavol Stracansky


Bischkek, 24. Oktober (IPS) - Ein 13 Jahre alter Junge ist das bisher letzte Opfer der staatlich unterstützten Kinderarbeit in Usbekistan geworden. Menschenrechtsgruppen wollen verhindern, dass die EU dem zentralasiatischen Land Vorteile bei der Einfuhr von Textilien gewährt.

Wie Nadeja Ataeva von der Vereinigung für Menschenrechte in Zentralasien kritisierte, wird das Land "in jeder Erntezeit zu einem stalinistischen Arbeitslager. Millionen einfacher Bürger und ihre Kinder verwandeln sich in Sklaven des herrschenden Regimes." Neben Unfällen komme es zudem zu Lebensmittelvergiftungen und anderen Gesundheitsschäden, sagte Ataeva. Die Behörden hielten aber alle Informationen darüber zurück.

Schätzungsweise 2,5 Millionen Schulkinder werden Jahr für Jahr gezwungen, Baumwolle zu ernten. Die jüngsten von ihnen sind erst zehn. Einige Gruppen von Helfern werden in Bussen von Dörfern und Städten aus zu den Feldern gebracht. Am Ort müssen sie in behelfsmäßigen Unterkünften übernachten, die laut Menschenrechtlern ebenso dürftig sind wie die Baracken in Arbeitslagern.

Bakhodir Pardaev aus der Provinz Kaschkadarya im Süden Usbekistans fiel ins Koma, nachdem er von einem Auto überfahren worden war. Gemeinsam mit anderen Schülern war er auf dem Heimweg von der staatlich angeordneten Feldarbeit. Wie viele Erntehelfer hatte der Junge keine andere Wahl, als am Rand einer Autobahn zur Arbeit und wieder nach Hause zu laufen. Menschenrechtsgruppen zufolge fallen jedes Jahr zahlreiche Kinderarbeiter derartigen Unfällen zum Opfer.


Baumwollexportindustrie profitiert von Kinderarbeit

Usbekistan ist mit rund 850.000 Tonnen pro Jahr einer der weltgrößten Exporteure von Baumwolle. Die Branche erwirtschaftet jährlich mehr als eine Milliarde US-Dollar. Die Ernte steht daher im Fokus des nationalen Interesses.

Mehr als 90 Prozent der Baumwolle wird mit der Hand gepflückt. Um die erforderlichen Mengen sicherzustellen, sind die Behörden dazu übergegangen, Kinder zwangsweise zu der Arbeit heranzuziehen. Schulen und Universitäten werden während der Ernteperiode auf staatliche Anordnung geschlossen.

Familien, die sich weigern, ihre Kinder auf die Felder zu schicken, riskieren den Verlust ihrer sozialen Absicherung. Auch ihre Gas-, Wasser und Stromversorgung wäre in dem Fall gefährdet. Den Kindern droht der dauerhafte Ausschluss vom Unterricht.

Seit mehr als zehn Jahren kämpfen Menschenrechtsgruppen dagegen, dass Kinder zur Baumwollernte gezwungen werden. Staatspräsident Islam Karimows diktatorisches Regime hält diesbezügliche Zusagen jedoch nicht ein. Die Regierung in Taschkent hat internationale Abkommen gegen Kinderarbeit unterzeichnet und offiziell erklärt, dass Minderjährige seit 2008 nicht mehr an der Ernte beteiligt sind.

Doch Vertreter des Weltkinderhilfswerks UNICEF in Usbekistan versicherten gegenüber IPS, dass bei der letzten Ernte noch etwa eine Million Kinder mitarbeiten mussten. IPS liegen außerdem Dokumente des Usbekisch-Deutschen Forums für Menschenrechte vor, denen zufolge die Provinzbehörden in der Presse Aufrufe veröffentlicht haben, um Zehntausende Schüler und Hochschüler zu mobilisieren.


ILO-Mission unerwünscht

Beobachtungsteams der Internationalen Arbeitsorganisation ILO hat das zentralasiatische Land bisher nicht zugelassen. Wohl aber wächst der Druck auf das Regime. So haben zahlreiche internationale Firmen bereits gegen die Kinderarbeit protestiert. Im September verkündeten Unternehmen wie Walmart, Walt Disney, H&M und Adidas, dass sie sich einem Boykott gegen usbekische Baumwolle angeschlossen hätten. Mehr als 60 internationale Firmen haben sich ebenfalls zu einem solchen Schritt verpflichtet.

Menschenrechtler befürchten allerdings, dass dieser Protest zu keinen größeren Veränderungen führen wird. Viele globale Handelsketten räumten bereits ein, dass die Herkunft der von ihnen verarbeiteten Baumwolle oft nur schwer zu klären sei. Branchenkenner sind außerdem davon überzeugt, dass usbekische Baumwolle nach wie vor viele Käufer findet.

Im Oktober fand in dem Land wieder die internationale Baumwollmesse statt, die Usbekistan Verträge im Umfang von mehr als 500 Millionen Dollar einbrachte. Mehr als 300 Unternehmen nahmen an der Messe teil. Taschkent traf erst kürzlich Vereinbarungen mit verschiedenen asiatischen Staaten, darunter Pakistan. Von dem Boykott zeigen sich die Behörden unbeeindruckt. Die Maßnahme werde für Usbekistan keine ernsten Konsequenzen haben, sagte ein Beamter russischen Medien.

Als Karimow in diesem Jahr von EU-Kommissionspräsident José Barroso empfangen wurde, war die allgemeine Entrüstung groß. Kurz darauf wurde bekannt, dass der Europäische Rat ein Handelsprotokoll gebilligt hat, das usbekischen Textilien Zollvorteile bei der Einfuhr in die EU garantiert. Über die Übereinkunft muss noch das Europaparlament entscheiden. Nach Ansicht der Menschenrechtsaktivistin Ataeva sollte Brüssel Taschkent ein klares Signal senden und das Handelsprotokoll kippen.

Die USA wiederum wollen ihre Zusammenarbeit mit Usbekistan ausbauen, um sich Nachschubwege für die Versorgung ihrer Truppen in Afghanistan zu sichern, nachdem Pakistan zu unsicher geworden ist. Auch die Bundesrepublik ist an einer fortgesetzten Zusammenarbeit mit Taschkent interessiert. Zwei Gründe dürften ausschlaggebend dafür sein: die geografisch-strategische Lage des usbekischen Handelspartners und der Umstand, dass die Bundeswehr in Usbekistan einen Stützpunkt unterhält, der den Nachschub für die deutschen Soldaten in Afghanistan gewährleistet. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.hr-uzbekistan.info/index.php?option=com_content&view=article&id=307:hrinca&catid=51:em-contacts&Itemid=49
http://www.ilo.org/global/lang--en/index.htm
http://www.unicef.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105514

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. Oktober 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2011