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KIND/117: Afghanistan - Kein Ort für Kinder (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2015

Afghanistan: Kein Ort für Kinder

Von Kanya D'Almeida


Bild: Britisches Entwicklungsministerium DFID / CC-BY-2.0

Kriegsversehrte Kinder erhalten Hilfe von einem Netzwerk aus orthopädischen Zentren, das von Großbritannien finanziell unterstützt wird
Bild: Britisches Entwicklungsministerium DFID / CC-BY-2.0

NEW YORK (IPS) - In Afghanistan haben die fortgesetzten bewaffneten Kämpfe in vier Jahren 2.302 Mädchen und Jungen das Leben gekostet, weitere 5.047 wurden verletzt und zum Teil verstümmelt. Dies geht aus dem neuen Bericht des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon hervor, der das vergangene Jahr als das bisher schlimmste für die Kinder des 30 Millionen Einwohner zählenden Landes seit Aufzeichnung der Vorfälle bezeichnete.

Im Untersuchungszeitraum vom 1. September 2010 bis zum 31. Dezember 2014 wurden weitere 5.047 junge Menschen schwer verletzt, viele von ihnen für immer verkrüppelt. Bodeneinsätze erwiesen sich für Heranwachsende als die größte Gefahr. Sie rissen im Jahr 2014 insgesamt 331 Kinder in den Tod, weitere 920 wurden verletzt. Somit haben sich die Zahlen seit 2013 verdoppelt.

Der Einsatz improvisierter Sprengsätze in bewohnten Gebieten, wie sie die bewaffneten Gruppen verwenden, forderte 664 Kinderleben. Durch Selbstmordattentate wurden 214 Mädchen und Jungen getötet. Gegenüber dem Vorjahr war dies ein Anstieg von 80 Prozent.

Der Bericht weist ferner darauf hin, dass übriggebliebene Sprengsätze aus dem Bürgerkrieg 328 Kindern das Leben kosteten, 38 starben an den Folgen internationaler Luftangriffe inklusive Drohneneinsätzen oder wurden verletzt.

Hauptverantwortlich für so viel Leid sind dem Bericht zufolge die Taliban und die Terrrorgruppe 'Hizb-e-Islami', allerdings dicht gefolgt von den afghanischen Sicherheitskräften, die den Tod von 126 und die Verletzung von 270 Minderjährigen verursacht haben.

Fünf respektive 52 Kinder wurden von Raketen aus dem Nachbarland Pakistan getötet beziehungsweise verletzt. Die UN konnten den Tod von 173 und die Verletzung von 505 Minderjährigen keiner Konfliktpartei zuordnen.

"Diese tragisch hohe Zahl von Vorfällen zeigt, dass Kinder die Hauptlast des Konflikts zu tragen haben. Der Trend dürfte sich angesichts der Verschlechterung der Sicherheitslage 2015 verschärfen", erklärte Leila Zerrougui, die Sondervertreterin des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte in einer jüngsten Pressemitteilung.


Gewalt von allen Seiten

Verschiedene Akteure, insbesondere die Taliban und andere bewaffnete Gruppen, haben zudem 68 Kinder zwangsrekrutiert. Die Kämpfer schrecken nicht davor zurück, die Kinder als Selbstmordattentäter einzusetzen beziehungsweise sie für lebensbedrohliche Aufgaben zu verwenden. So werden sie als Spione oder Bombenleger losgeschickt.

Auch werden Minderjährigen Festnahmen und Folter nicht erspart. Derzeit werden nach Angaben des Justizministeriums 258 Jungen in Jugendhaftanstalten festgehalten, weil sie angeblich eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen und/oder den bewaffneten Gruppen zugeordnet wurden.

Zwischen Februar 2013 und Dezember 2014 hatten die UN 105 inhaftierte Kinder befragt. 44 gaben an, schlecht behandelt oder gar gefoltert worden zu sein.

Ein weiterer Aspekt des Konflikts, der sich direkt auf die Kinder des Landes auswirkt, sind die fortgesetzt systematischen Angriffe auf die Bildungseinrichtungen. Die UN-Forscher stellten 163 Vorfälle fest. So wurden Sprengsätze auf dem Gelände von Schulen ausgelegt, die Gebäude, wenn sie als Wahllokale dienten, unter Beschuss genommen. Darüber hinaus richteten sich zahlreiche Drohungen, Propaganda und Übergriffe gegen die Mädchenbildung.

Die UN schätzen, dass 469 afghanische Schulen infolge der schwierigen Sicherheitslage geschlossen werden mussten. Schätzungen zufolge sind landesweit zwischen 30.000 und 35.000 Taliban-Kämpfer aktiv.


Zielscheiben von Sexualverbrechen

Etliche Kinder wurden zudem Zielscheiben sexueller Übergriffe. In der Überprüfungsperiode traf dies für acht Jungen und sechs Mädchen zu. Vier dieser Verbrechen wurden Mitgliedern der nationalen Polizei und eines dem Kommandanten einer Pro-Regierungs-Miliz zugeordnet. Ferner wurden 24 Jungen und Mädchen bei 17 verschiedenen Gelegenheiten entführt, mindestens vier von ihnen wurden von den Taliban getötet. Zwei Mädchen wurden von Angehörigen der örtlichen Polizei und ein Junge von einer Pro-Regierungs-Miliz vergewaltigt.

Da sich die neue Regierung darum bemüht, die Lage im Land unter Kontrolle zu bringen, hoffen UN-Experten, dass es doch noch Möglichkeiten gibt, das Ruder herumzureißen. "Ich freue mich darauf, insbesondere mit Blick auf die Umsetzung des Aktionsplans zur Beendigung der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern, mit der afghanischen Regierung zusammenzuarbeiten", meinte Zerrougui bei der Vorstellung des Berichts am 18. Juni. (Ende/IPS/kb/29.05.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/06/afghanistan-no-place-for-children/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2015

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