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KRIMINALITÄT/054: Bürgernahe Polizei in Nicaragua hält Verbrechensrate niedrig (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. September 2011

Zentralamerika: Bürgernahe Polizei in Nicaragua hält Verbrechensrate niedrig

Von Danilo Valladares


Guatemala-Stadt, 7. September (IPS) - Das sogenannte nördliche Dreieck Zentralamerikas, das El Salvador, Honduras und Guatemala bilden, ist eine der gefährlichsten Regionen der Welt. Im benachbarten Nicaragua hält sich die Kriminalität dagegen in Grenzen. Und das, obwohl das Land ebenfalls von Armut betroffen ist und eine Bürgerkriegsvergangenheit hat.

Politische Beobachter sehen den Unterschied in einem stärkeren Zusammenhalt der Gesellschaft und einer gut funktionierenden Bürgerpolizei in Nicaragua. "Im nördlichen Dreieck hingegen, wo die USA großen Einfluss ausübten, half die Polizei den Streitkräften und unterstützte den Staat bei seiner Unterdrückungsstrategie", erläuterte Helen Mack, die Vorsitzende der unabhängigen Stiftung Myrna Mack. In Nicaragua habe sich die Regierung nach der Revolution am kubanischen Modell mit dem Menschen im Mittelpunkt orientiert.

In Nicaragua hatte die linke Guerilla hatte am 19. Juli 1979 nach einem mehrjährigen Bürgerkrieg die Hauptstadt Managua eingenommen. Die Sandinisten veränderten daraufhin die politischen und wirtschaftlichen Strukturen des zentralamerikanischen Landes, das ein halbes Jahrhundert lang vom Clan des Diktators Somoza beherrscht worden war.

Unter der Regierung der Sandinisten konnten die Bürger über Politik, Wirtschaft, Soziales und Kultur mitbestimmen. In der Phase des Aufstands wurden die sogenannten Komitees für Zivilschutz gegründet. Nach der Machtübernahme der Sandinisten traten die Sandinistischen Verteidigungskomitees in Aktion, die 1988 in der Nicaraguanischen Bürgerbewegung aufgingen.


Verbrechensprävention statt Repression in Nicaragua

Um die öffentliche Gewalt im Zaum zu halten, wurde 1979 die Bürgerpolizei gegründet. Seit dem Aufstand gegen Somoza habe Nicaragua ein Polizeimodell beibehalten, das vor allem auf die Prävention von Verbrechen abziele, erklärte Mack. Dies änderte sich auch 1990 nicht, als die Sandinisten eine Wahlniederlage erlitten. Im nördlichen Dreieck hätten die Regierungen längst auf eine repressive interne Sicherheitsstrategie gesetzt. Dies habe dazu geführt, dass die Region inzwischen zu den gefährlichsten der Welt gehöre, meinte Mack.

Laut einer Studie des UN-Entwicklungsprogramms UNDP von 2010 lag die Mordrate in Honduras bei 78 pro 100.000, in El Salvador bei 62 pro 100.000 und in Guatemala bei 41 pro 100.000 Einwohner. In Nicaragua hingegen kam es nur zu 13 Morden pro 100.000 Einwohner.

Die Gewaltbereitschaft in den Ländern des Dreiecks steigt den Statistiken zufolge proportional zur Armut. In Honduras sind 60 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen, in Guatemala die Hälfte und in El Salvador 37 Prozent. In Nicaragua, wo sich die Kriminalität in Grenzen hält, leben allerdings 44,7 Prozent der Bevölkerung in Armut.

Die sandinistische Revolution in Nicaragua habe einen großen sozialen Zusammenhalt geschaffen, sagte Arturo Chub von der unabhängigen Vereinigung zur Förderung der Sicherheit in der Demokratie. Ausschlaggebend sei auch die Ausbildung der Polizei, die sich auf Werte wie den Dienst an der Gesellschaft stütze. In den drei anderen Ländern sind die Folgen der Bürgerkriege noch deutlich spürbar. Die Gesellschaft ist dort seither zersplittert, und die Armut hat rapide zugenommen.

Im blutigen Konflikt zwischen der Guerilla und den Sicherheitskräften starben in Guatemala von 1960 bis 1996 etwa 250.000 Menschen oder 'verschwanden'. In Salvador forderte der Bürgerkrieg von 1980 bis 1992 rund 75.000 Menschenleben und weitere 8.000 wurden verschleppt. In Honduras herrschte zwar kein Bürgerkrieg, doch das Land stand fortwährend unter dem direkten Einfluss der USA. Oppositionelle bewaffnete Bewegungen konnten dort nicht entstehen.


Kriminelle Banden respektierten Friedensabkommen

Jeannette Aguilar von der Zentralamerikanischen Universität José Simeón Cañas in San Salvador sieht nicht nur die unterschiedliche Ausrichtung der Polizei in Nicaragua als Grund dafür, dass in dem Land weniger Gewalt herrscht. In der dortigen Gesellschaft gebe es auch weniger Ungleichheit als in anderen Staaten der Region, meinte sie. "In Nicaragua gibt es zwar seit 30 Jahren bewaffnete Banden. Sie haben aber nicht die gleichen kriminellen Strukturen wie in den Ländern des nördlichen Dreiecks."

Nach Ansicht von Roberto Orozco vom nicaraguanischen Institut für politische Strategien haben die Verbrecherbanden in dem Land das Friedensabkommen respektiert. Dies sei ausschlaggebend für die Sicherheitslage gewesen. Seit den achtziger Jahren sei die Polizei zudem eng an die Gemeinden angebunden. "Die Polizisten und alle Familien am Ort kennen sich. Dieses Modell hat gegenseitiges Vertrauen geschaffen." (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2011