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REDE/053: Ursula von der Leyen zum Haushaltsgesetz 2011, 23.11.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 23. November 2010 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!

Wir beschließen heute einen Haushalt, der drei Schritte umfasst: Wir sparen da, wo es vertretbar ist, wir setzen Schwerpunkte da, wo es klug ist, und wir behalten die Zukunftschancen der Menschen im Blick. Wir haben sowohl die Belastbarkeit, die Berechenbarkeit und die neuen Chancen für die Menschen im Blick behalten als auch die Notwendigkeiten der Haushaltskonsolidierung und der Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert ist, natürlich berücksichtigt. Der Einzelplan elf ist ein Spiegelbild dessen. Unser Haushalt trägt ein Drittel zum Sparpaket bei. Angesichts des Volumens unseres Haushalts - er umfasst immerhin die Hälfte des Bundeshaushalts - ist dieser Sparbeitrag angemessen. Ich glaube, gerade vor dem Hintergrund der besseren Arbeitsmarktlage ist dies auch gerechtfertigt.

Wir haben jahrelang ins Ausland geschaut, weil wir uns gefragt haben: Was machen die besser als wir? Inzwischen ist es so, dass das Ausland hierher schaut und sich fragt: Was machen wir hier besser, dass wir einen so robusten Arbeitsmarkt haben?

Herr Ernst, wenn Sie hier wieder Ihre Legenden verbreiten, dann müssen Sie natürlich damit rechnen, dass wir konsequent gegenhalten und Ihnen die Wahrheit und schlicht und einfach die Fakten und Tatsachen sagen. Von wegen massenhaft Aufstocker wegen eines nicht vorhandenen Mindestlohnes: 75 Prozent der Aufstocker arbeiten nicht Vollzeit, sondern Teilzeit oder haben 400-Euro-Jobs. Davon kann man den Lebensunterhalt nicht verdienen. Es ist nicht ein Problem der Lohnhöhe, es ist ein Problem der Zeit, die nicht gearbeitet wird.

Zweiter Punkt: Befristung. Herr Ernst, Sie haben natürlich unterschlagen: 91 Prozent der Arbeitsverträge in unserem Land sind unbefristet. 91 Prozent! Ja, es ist richtig, wie Sie sagten, dass die jungen Menschen beim ersten Arbeitsvertrag, den sie bekommen, in 40 Prozent der Fälle einen befristeten Arbeitsvertrag haben. Aber jeder Zweite davon hat dann im Anschlussarbeitsvertrag schon eine unbefristete Anstellung. Das sind Zustände, die sich die Menschen in anderen Ländern wünschen würden.

Dritter Punkt: Leiharbeit. Herr Ernst, Abweichen von Equal Pay in der Leiharbeit ist nicht möglich, wenn es einen von den Gewerkschaften mit verabredeten Tarifvertrag gibt. Sie sind doch einer der obersten Gewerkschafter. Dann sorgen Sie als Gewerkschafter dafür, dass diese Praxis ein Ende hat. Wenn man Ihnen zuhört, Herr Ernst, dann hat man den Eindruck, dass wir kurz vor dem Zusammenbruch des Arbeitsmarktes sind. Das Gegenteil ist der Fall.

Wie gesagt, das Ausland beneidet uns um diesen robusten Arbeitsmarkt nach der Krise. Wir haben jetzt so viele Erwerbstätige wie nie zuvor in einem dritten Quartal seit der Wiedervereinigung in Deutschland. Wir haben unter drei Millionen Arbeitslose, und, ja, Frau Pothmer, die Statistik, die Sie mit beschlossen haben, erfasst auch den Anteil der Unterbeschäftigung, also die Zahl der Menschen, die in Maßnahmen sind. Auch dort ist die Zahl der Unterbeschäftigung drastisch zurückgegangen. Ganz egal, wohin Sie gucken - in den Osten oder in den Westen, auf Männer oder Frauen, Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung -: Überall sind die Zahlen heruntergegangen. Das ist gut so. Wir haben am Arbeitsmarkt einen Aufschwung, der sich sehen lassen kann.

Wir haben zum Beispiel bei den arbeitslosen Jugendlichen den niedrigsten Oktoberwert seit 1991, wir haben bei den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen - das ist die Gruppe, die Sie eben auch angesprochen haben - den niedrigsten Oktoberwert seit 2005, also knapp nach der Einführung der Hartz-Reform. Mit anderen Worten: Die Schwerpunkte, die wir gesetzt haben, waren richtig, und das macht dieser Haushalt auch deutlich.

Wenn man auf die Arbeitsmarktmittel schaut, dann sieht man - na klar: weniger Ausgaben bei den passiven Leistungen, weil wir weniger Arbeitslose haben, weil wir weniger Bedarfsgemeinschaften haben. Aber auf der anderen Seite sehen wir auch, dass wir die richtigen Schwerpunkte bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik setzen. Darüber streiten wir die ganze Zeit. 9,5 Milliarden Euro stehen 2011 zur Verfügung. Ja, das sind 1,5 Milliarden Euro weniger als im laufenden Jahr. Wir alle wissen, dass der Haushalt für dieses laufende Jahr eine Krisenkalkulation aus 2009 war. Wir hätten uns Anfang des Jahres niemals träumen lassen, dass es am Arbeitsmarkt so gut läuft. Die 9,5 Milliarden Euro, die für 2011 zur Verfügung stehen, sind immer noch mehr als das, was in 2008, also in dem Jahr vor der Krise, zur Verfügung gestanden hat. Aber schon heute haben wir weniger Arbeitslose, weniger Bedarfsgemeinschaften. Das heißt, wir haben in der Arbeitsmarktpolitik für jeden einzelnen Arbeitslosen mehr Geld zur Verfügung, als es bisher der Fall gewesen ist.

Frau Pothmer, Sie haben die Situation in den OECD-Ländern angeführt und gesagt, in keinem OECD-Land gab es in der Krise einen so geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit wie bei uns. Sie sinkt auf allen Ebenen. Ich glaube, wir können stolz darauf sein, dass der Arbeitsmarkt im Augenblick so robust ist und sich als so krisenfest erwiesen hat.

Bei den Mitteln für die aktive Arbeitsmarktpolitik muss man immer schauen, ob sie zielgerichtet eingesetzt sind. Das ist ein kontinuierlicher Evaluationsprozess. Wir werden die Instrumentenreform im nächsten Jahr nahtlos anschließen.

Zweiter Teil unseres Haushaltes: Rente. 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in unserem Land vertrauen zu Recht auf den Sozialstaat. Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine der zentralen Säulen, in die 80 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt fließen. Diese Säule trägt. Frau Hagedorn, da Sie das gerade sagen: Wir haben auch hier die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Dank der Rentenreformen der Vergangenheit ist sie demografiefest. Dank einer erfolgreichen Krisenpolitik der Merkel-Regierung hat sich die Rücklage in der Rentenversicherung deutlich besser entwickelt als erwartet. Man sollte nicht vergessen, woher wir kommen. 2005 - an dieses Jahr werden Sie sich noch erinnern; da waren Sie kräftig mit an der Regierung - war die Reserve der Rentenkasse auf knappe drei Tage geschmolzen. Das haben Sie damals toleriert. Wir liegen bei der Schwankungsreserve Ende 2010 jetzt wieder bei 1,1 Monatsausgaben. Das heißt, die Rücklage wird in den nächsten Jahren - trotz des Wegfalls der Beitragszahlung für Arbeitsuchende in der Grundsicherung - solide anwachsen. Damit wird voraussichtlich 2014 eine Senkung der Rentenversicherungsbeiträge möglich sein. Solche Zahlen schaffen Vertrauen in die Verlässlichkeit unserer Rentenversicherung.

Zugleich wissen wir, wo wir etwas ändern müssen, nämlich beim Teufelskreis der vererbten Armut. Ich habe von der Opposition gehört, dass wir beim Bildungspaket für die Kinder mehr machen müssen. Manchmal frage ich mich: Wo sind Sie eigentlich bei der Gesetzgebung der Agenda 2010, bei der Einführung der Hartz-IV-Gesetze gewesen? Da gab es das alles nicht. Wir haben das Schulbedarfspaket in der Großen Koalition zusammen auf den Weg gebracht, aber alles andere gab es bisher nicht. Zum ersten Mal seit der Einführung von Hartz IV - ausgelöst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - unternimmt der Gesetzgeber konkret und gezielt etwas für die Bildungschancen, für die Teilhabechancen der bedürftigen Kinder, deren Eltern in Hartz IV sind oder von Sozialhilfe leben. Ich glaube, das sollten wir mit großem Konsens zusammen umsetzen.

Ab 2011 haben die Kinder ein Anrecht auf dieses Bildungspaket. Wir haben im Haushalt 833 Millionen Euro dafür vorgesehen, allein 722 Millionen im Haushalt des Arbeitsministeriums. Die Strecke, die wir vor uns haben, ist noch gewaltig; da müssen wir viel tun. Es ist nicht trivial, ein solches Bildungspaket auf den Weg zu bringen. Es wäre einfacher gewesen, das Geld im Rahmen von Hartz IV auszuzahlen. Ob das den Kindern geholfen hätte, ob das dazu geführt hätte, dass sie tatsächlich an den Leistungen teilhaben, wage ich zu bezweifeln.

Da Kinder aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ab Januar 2011 ein Recht auf Leistungen wie Teilhabe und Bildung haben, kann ich der Opposition nur zurufen: Arbeiten Sie konstruktiv mit, und verweigern Sie sich nicht der Umsetzung! Die Zeit ist knapp. Ich persönlich kann nicht verstehen, dass man sich aus formalen Gründen gar nicht erst an den Verhandlungstisch gesetzt hat. Ich muss Ihnen an dieser Stelle leider in Erinnerung rufen, was Ihr Altvorderer Herbert Wehner gesagt hat: Wer rausgeht, muss irgendwann auch wieder reinkommen. - Wer gar nicht erst reinkommt, wird sich irgendwann trotzdem an den Verhandlungstisch setzen müssen, und dann werden wir konkret verhandeln müssen.

Ich danke all jenen, die schon jetzt ganz konkret mit uns gemeinsam überlegen, was getan werden kann, damit den Kindern ab 2011 ein warmes Schulmittagessen, die Mitgliedschaft in einem Sportverein, der Besuch einer Musikschule und die Teilnahme an Schulausflügen ermöglicht werden kann. Ich danke den Lehrerinnen und Lehrern sowie den Vereinen und Verbänden, die sich schon jetzt beteiligen, den Kommunen, die tatkräftig mitmachen, und auch der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern vor Ort. Ich danke allen Menschen, die sagen: Für diese Kinder im Land muss sich etwas ändern, und wir arbeiten daran konkret mit.

Frau Pothmer, es steht genug Geld zur Verfügung. Im Rahmen der Verwaltungskosten wurden dafür 135 Millionen Euro angesetzt. Manchmal höre ich das Geschrei: Was? So viel für Bürokratie? - Nein, das ist keine Bürokratie. Wenn wir tatsächlich dafür sorgen wollen, dass Kinder von diesen Angeboten Gebrauch machen können, dass sie teilhaben können und sich beteiligen können, dann brauchen wir vor Ort Menschen, die sich darum kümmern. Ich bin stolz darauf - ich glaube, ich bin das erste Mitglied einer Bundesregierung, das stolz auf so etwas ist -, dass wir im Hinblick auf die Verwaltungskosten für die Umsetzung des Bildungspaketes 135 Millionen Euro in den Haushalt einstellen. Dieses Geld wird meines Erachtens an der richtigen Stelle eingesetzt, nämlich für die Kinder.

In den letzten 30 Sekunden meiner Rede möchte ich mich trotz der Auseinandersetzungen in der Sache, die es immer geben wird, bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern bedanken. Auch wenn wir im Einzelfall unterschiedlicher Meinung waren, waren die Beratungen ausgesprochen gut und konstruktiv. Dafür danke ich.

Herr Ernst, wir haben 40 Millionen Beschäftigte. 324.000 Aufstocker haben in der Tat einen Lohn, der zu gering ist. Wenn Sie daran etwas ändern wollen, dann arbeiten Sie mit uns zusammen an dem richtigen Weg, den wir in Deutschland eingeschlagen haben, nämlich branchenspezifische Mindestlöhne einzuführen. Arbeitgeber und Gewerkschaften setzen sich als Experten in der eigenen Sache zusammen und finden den richtigen Mindestlohn. Wenn der richtige Mindestlohn gefunden ist, dann ist er hilfreich. Wenn man hingegen einen Mindestlohn ansetzen würde, wie Sie ihn sich vorstellen, dann würde das Arbeitsplätze zerstören, und es gäbe noch viel mehr Menschen, die in Hartz IV landeten. Das ist etwas, was wir nicht wollen.

Zweiter Punkt - ich habe meinen Ohren nicht getraut -: Sie meinten, ich solle eine Initiative ergreifen, um zu verhindern, dass die Tarifverträge abgeschlossen werden, die Sie gerade geschildert haben. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich verhindere nicht die Tarifautonomie in diesem Land; sie ist mir wichtig.


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Quelle:
Bulletin Nr. 121-2 vom 23.11.2010
Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales,
Dr. Ursula von der Leyen, zum Haushaltsgesetz 2011
vor dem Deutschen Bundestag am 23. November 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2010