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RENTE/570: Entgeltumwandlung und die Folgen (spw)


spw - Ausgabe 2/2011 - Heft 183
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Entgeltumwandlung und die Folgen
Ein langsamer und unaufhaltbarer Rückzug der Arbeitgeber/innen aus
der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung?

Von Judith Kerschbaumer


Die sogenannte Riester-Rentenreform hat die bis dahin noch immer grundsätzlich geltende Statik in der Alterssicherungspolitik, nämlich die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) - paritätisch finanziert von Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen - an einem Sicherungsziel auszurichten, zum Einsturz gebracht. Mit dem Altersvermögensgesetz[1] wurde ab dem Jahr 2002 ein Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung in der 2. Säule, der betrieblichen Altersversorgung (bAV), eingeführt, der das sinkende Rentenniveau in der GRV künftig kompensieren sollte (vgl. den Beitrag von Blank). Bis zu diesem Zeitpunkt wurde unter bAV grundsätzlich eine zusätzliche Arbeitgeberleistung zum Aufbau einer Betriebsrente verstanden. Mit dem Entgeltumwandlungsanspruch haben Arbeitnehmer/innen den Rechtsanspruch erhalten, eigenes Entgelt oder Entgeltbestandteile in eine bAV einzubringen. Um die Motivation der Beschäftigten, aber auch der Arbeitgeber/innen zu stärken, wurden finanzielle Anreize geschaffen. Die umgewandelten Beträge sollten für eine Anlaufphase bis Ende 2008 sozialversicherungs- und steuerfrei eingebracht und erst in der Rentenphase nachgelagert besteuert und dann nur noch in der Kranken- und Pflegeversicherung verbeitragt werden. Die Vorteile lagen sowohl für Arbeitnehmer/innen als auch Arbeitgeber/innen auf der Hand: eine gemeinsame Ersparnis von rd. 40% des Gesamtsozialversicherungsbeitrages und ein "späteres" Versteuern in der Rentenphase. Durch die damals hohen Zinsen auf dem Kapitalmarkt war insbesondere die "Befreiung" von Sozialversicherungsbeiträgen und die kapitalgedeckte Anlage in der bAV ein kaum zu schlagendes Argument.

Schnell war jedoch auch absehbar, dass, je mehr Personen sozialversicherungsfreie Entgeltumwandlung betreiben, den sozialen Sicherungssystemen zum Teil die finanzielle Basis entzogen werden würde. In der GRV geht mit einer Reduzierung des Beitrages auch eine Reduzierung der erworbenen Entgeltpunkte und damit der späteren Rente einher. Bei dem in der Kranken- und Pflegeversicherung herrschenden Sachleistungsprinzip entstehen Leistungsansprüche unabhängig vom gezahlten Beitrag (Ausnahme z.B. Krankengeld). Sinkende Beitragseinnahmen bei weitgehend gleichem Leistungsanspruch führen aber zu Finanzierungsproblemen.

Die damalige Bundesgesundheitsministerin reagierte auf die sich abzeichnenden sinkenden Beitragseinnahmen in der Erwerbsphase und verdoppelte die bis dahin halben Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf Betriebsrenten[2]. Auch kursierten damals Berechnungen, dass diejenigen, die ab den 1970er und 1980er Jahren gute Anwartschaften auf Betriebsrenten erworben hatten, in den nächsten Jahren in Rente gehen und so höhere Beiträge in der Rentenphase generiert werden könnten. Letztendlich war dies aber auch nur eine Verlagerung der Beitragslast aus der Erwerbsphase in die Rentenphase und damit von den Arbeitgeber/innen zu den Versicherten.

Dass die befristete Sozialversicherungsfreiheit nur ein Einstieg war, wurde deutlich, als sich verschiedene Akteure nach der Einführung für eine Aufhebung der Befristung stark machten. Gegen die Bedenken der Sozialpolitiker/innen in den eigenen Reihen setzten sich dann BDA und DGB Mitte Juni 2007 für die Entfristung der Beitragsbefreiung ein. Die Bemühungen waren erfolgreich und schlugen sich im Entwurf eines Gesetzes zur "Förderung der betrieblichen Altersversorgung" nieder:

"Neue Forschungsergebnisse belegen, dass das seit 2002 zu verzeichnende kräftige Wachstum der betrieblichen Altersversorgung in erster Linie auf die Steuer- und Beitragsfreiheit der Entgeltumwandlung zurückzuführen ist, Dieses Wachstum hat sich im Jahre 2006 merklich abgeschwächt, was unmittelbar mit dem bevorstehenden Wegfall der Beitragsfreiheit zusammenhängen dürfte. Das Ziel der Flächendeckung der freiwilligen kapitalgedeckten zusätzlichen Altersvorsorge ist jedoch noch nicht erreicht. Dies ist eine Daueraufgabe, die sichere und langfristig geltende Rahmenbedingungen voraussetzt. [...]

Lösung: Die Förderbedingungen für die Entgeltumwandlung bleiben auch über 2008 hinaus unverändert bestehen. Hierzu wird die Beitragsfreiheit der Entgeltumwandlung auf Dauer festgeschrieben. [...] Finanzierung: Die Unternehmen und Beschäftigten werden durch die Beibehaltung der Beitragsfreiheit der Entgeltumwandlung entlastet. Dieser Entlastung stehen Beitragsausfälle in der Sozialversicherung in gleicher Höhe gegenüber."[3]

Diese Konstruktion hatte von Anfang an zu Auseinandersetzungen zwischen Sozial- und Tarifpolitiker/innen geführt. Sozialpolitiker/innen haben die Beitragsausfälle in den Sozialversicherungssystemen und die damit verbundenen Leistungseinschränkungen bei den Versicherten, die Entlastung der Arbeitgeber/innen sowie die ungleiche tatsächliche Inanspruchnahme kritisiert. Tarifpolitisch eröffneten die sozialversicherungsfreie Entgeltumwandlung und die damit verbundene Entlastung der Arbeitgeber/innen jedoch Gestaltungsspielräume.

Im Folgenden werden die privilegierte Behandlung der Entgeltumwandlung bei Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern skizziert (I.), die aktuellen Zahlen zur Inanspruchnahme analysiert (II.), ein Blick auf Lösungsansätze geworfen (III.) und abschließend ein Fazit gezogen (IV.).


I. Privilegierte Behandlung der Entgeltumwandlung bei Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern

Die Vor- und Nachteile der Entgeltumwandlung sind vielschichtig. Zum einen sparen Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen Sozialversicherungsbeiträge auf den umgewandelten Betrag bis in Höhe von 2.640 Euro jährlich. Bei einem Gesamtsozialversicherungsbeitrag von rd. 40% sind dies immerhin max. rd. 530 Euro jeweils für Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen. Wird ein Betrag darüber bis zur Beitragsbemessungsgrenze (BBG)[4] umgewandelt, sind Sozialversicherungsbeiträge fällig. Arbeitgeber/innen haben die Möglichkeit, diese Ersparnis an die Beschäftigten weiterzugeben. Davon macht die Mehrheit der Arbeitgeber/innen keinen oder nur geringen Gebrauch. In der Rentenphase trägt dann der/die Betriebsrentner/in den vollen Beitragssatz in der Kranken- und Pflegeversicherung[5] alleine.

In steuerlicher Hinsicht profitieren Arbeitnehmer/innen von der Steuerfreiheit in der Arbeitsphase. Die nachgelagerte Besteuerung bewirkt, dass die Steuerschuld aufgeschoben ist ("Stundungseffekt"). Ein weiterer Vorteil ergibt sich dadurch, dass die zu versteuernden Beträge in der Rentenphase regelmäßig geringer sind als die Einkünfte in der Arbeitsphase.

Die nachfolgende Übersicht verdeutlicht das Zusammenspiel von Verbeitragung und Versteuerung bei den Aufwendungen zu einer Entgeltumwandlung:



Arbeits-/
Beitragsphase



Bis 4% BBG
(2011: 2.640)
Zusätzlich bis 1.800
darüber
Sozialversicherung

frei
pflichtig
pflichtig
Steuer

frei
frei
pflichtig
Rentenphase



Volle Verbeitragung
in der KV und PflV
Nachgelagerte
Besteuerung

Eigene Darstellung


Die Nachteile der Entgeltumwandlung bestehen in den geringeren Beiträgen zur Sozialversicherung und damit in der geringeren Leistungshöhe in der gesetzlichen Rentenversicherung. Daneben wird aber auch der Rückzug der Arbeitgeber/innen aus der Finanzierung der Sozialversicherung und damit eine einseitige Risiko- und Finanzierungsverlagerung hin zu den Arbeitnehmer/innen manifestiert.


II. Aktuelle Zahlen zur Inanspruchnahme der Entgeltumwandlung

Das Statistische Bundesamt hat im Rahmen der Arbeitskostenerhebung, die alle vier Jahre durchgeführt wird, berechnet, dass im Jahr 2008 rund sieben Mio. Euro über eine Entgeltumwandlung in bAV investiert wurden. Damit entgehen der Sozialversicherung - unterstellt der gesamte Betrag bleibt sozialversicherungsfrei - knapp drei Mrd. Euro, der GRV damit rd. 1,5 Mrd. Euro. Weiterhin wurde festgestellt, dass von Beschäftigten in Branchen mit hohem Verdienstniveau höhere Beträge umgewandelt wurden als von Beschäftigten in Niedriglohnbranchen. Beschäftigte in der Finanzbranche wandelten jährlich durchschnittlich 889 Euro um, in der Leiharbeitsbranche nur 29 Euro[6].


III. Sozialpolitische Lösungsansätze

Bereits zur Diskussion um die Entfristung der Sozialversicherungsfreiheit im Jahr 2007 haben sich einige Tarif- und Sozialpolitiker/innen auf Eckpunkte und ein Modell geeinigt, die die Vereinbarkeit der tarifpolitisch geforderten Verbreiterung der bAV mit der Forderung verbindet, dass die Verbeitragung in der GRV nicht verhindert werden darf und Beiträge aus Betriebsrenten zur Kranken- und Pflegeversicherung einmal voll fällig werden. Dazu sollen in der Erwerbsphase nur Beiträge zur GRV und in der Rentenphase volle Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung erhoben werden[7].


IV. Fazit

Mit der sozialversicherungsfreien Entgeltumwandlung wurde ein bewusster Schritt von der umlagefinanzierten solidarischen kapitalgedeckten GRV hin zu einer kapitalgedeckten, in aller Regel von den Beschäftigten alleine finanzierten, Altersversorgung umgesetzt. Vielfach werden die (unerwünschten) sozial- und verteilungspolitischen Wirkungen übersehen. Von der Entgeltumwandlung profitieren Arbeitgeber/innen und gut verdienende (zumeist männliche und vollzeitbeschäftigte) Arbeitnehmer. Weil ihnen der finanzielle Gestaltungsspielraum fehlt, nehmen Frauen, Teilzeit- und Niedriglohnbeschäftigte Entgeltumwandlung seltener bzw. wenn, dann in geringerem Umfang, in Anspruch. Über die geringeren Beitragseinnahmen und die damit verbundenen Leistungseinschnitte müssen sie jedoch die Kosten (mit)finanzieren[8]. Ein ungleiches Spiel!

Dr. Judith Kerschbaumer, Rechtsanwältin, ist Leiterin des Bereichs Sozialpolitik in der ver.di Bundesverwaltung und Dozentin.



ANMERKUNGEN

[1] AVmG vom 14.11.2000, BT-Drucksache 14/4595

[2] Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) vom 19.11.2003, BGBl.I 2003, S. 2190-2258, geändert wurden die Paragraphen 229, 248 SGBV.

[3] Bundesrats-Drucksache 540/07 vom 10.8.2007

[4] Jährliche Beitragsbemessungsgrenzen RV für das Jahr 2011: alte Bundesländer 66.000 Euro; neue Bundesländer 57.600 Euro.

[5] Der Beitragssatz in der Krankenversicherung beträgt ab 1.1.2011 15,5%, wobei Arbeitgeber/innen 7,3% tragen, Versicherte 8,2%. In der Pflegeversicherung beträgt der Beitragssatz 1,95%, Versichertensonderbeitrag für Kinderlose 0,25%.

[6] Pressemitteilung Nr.482 des Statistischen Bundesamtes vom 21.12.2010.

[7] Kerschbaumer, Zur Zukunft der sozialversicherungsfreien Entgeltumwandlung, Soziale Sicherheit 9/2005, Seiten 299-303.

[8] Schmähl in: Abgabenfreie Entgeltumwandlung aus sozial- und verteilungspolitischer Perspektive, Berlin 2007, S. VII, IX.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2011, Heft 183, Seite 44-46
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2011