Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → UNO


ORGANISATION/549: Mit zehn Krisen-Hotspots überfordert - UN fordern "kollektive Kraftanstrengung" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. April 2015

UN: Mit zehn Krisen-Hotspots überfordert - Weltorganisation fordert 'kollektive Kraftanstrengung'

von Thalif Deen


Bild: © Marco Dormino/UN

Ein nigrischer UN-Blauhelm
Bild: © Marco Dormino/UN

New York, 22. April (IPS) - Im Kampf gegen die politischen und humanitären Krisen in zehn der größten Konfliktherde der Welt stehen die Vereinten Nationen derzeit auf verlorenem Posten. Noch nie in ihrer 70-jährigen Geschichte sah sich die Weltorganisation so gefordert wie heute. Es steht zu befürchten, dass ohne ein Mehr an Solidarität und Unterstützung von Seiten der UN-Mitgliedstaaten Chaos und Gewalt weiter zunehmen werden.

Mit den derzeitigen schweren Krisen sind die UN hoffnungslos überfordert. Auch Mitgliedstaaten wie die USA, so reich und mächtig sie auch sein mögen, seien nicht in der Lage, hier Abhilfe zu schaffen, warnte kürzlich UN-Generalsekretär Ban Ki-moon.

Zu den derzeitigen politischen Hotspots gehören Syrien, der Irak, Libyen, der Jemen, der Südsudan, Somalia, Afghanistan, die Ukraine, die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik (CAR). Hinzu kommt eine Vielzahl weiterer Gefahrenzonen wie Westafrika, das seinen eigenen Krieg gegen die tödliche Krankheit Ebola führt.

Historisch gesehen hatten die UN in aller Regel mit ein bis zwei Krisen gleichzeitig zu kämpfen. Doch die Konfrontation mit zehn auf einen Streich sei in der Geschichte der UN beispiellos, warnte der UN-Chef. Auch wenn die internationale Gemeinschaft in Sachen Krisenlösung in Richtung UN blicke, seien diese nicht in der Lage, Abhilfe zu schaffen. "Was wir brauchen, sind eine kollektive Kraftanstrengung und Solidarität. Ansonsten werden wir noch größere Problem bekommen."

Doch ausgerechnet in dieser kritischen Lage lässt es die Welt an kollektiver Kraftanstrengung missen. Dazu meint Shannon Scribner von der US-Sektion der internationalen Hilfsorganisation 'Oxfam', dass 2013 mit 51 Millionen Flüchtlingen ein trauriger Rekord gebrochen worden sei.


Unzureichende Geberhilfe

2014 hatten die UN Hilfsgelder für 81 Millionen Menschen einschließlich Vertriebener und anderer Opfer von Konflikten und Naturkatastrophen angemahnt. Doch reichen die Mittel nur aus, um auf vier der schlimmsten Krisenherde zu reagieren. Dazu zählen die Vereinten Nationen die CAR, den Irak, den Südsudan und Syrien. Allein in diesen vier Ländern sind 20 Millionen Menschen, was Unterernährung, Krankheiten, Gewalt und Tod angeht, extrem gefährdet, bestätigt Scribner.

Als weiteres Krisenland ist der Jemen zu nennen, in dem zwei von drei Einwohnern auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Die westafrikanischen Staaten Liberia, Sierra Leone und Guinea brauchen nach eigenen Angaben acht Milliarden Dollar, um sich von der Ebola-bedingten Krise zu erholen.

In Somalia wurden die Auslandsüberweisungen der Exil-Somalier in Höhe von jährlich 1,3 Milliarden Dollar, Rettungsleine von Millionen Menschen, aufgrund einer Entscheidung international tätiger Banken, ihre Geschäfte zu beschränken, gekappt. Hinzu kommt die Migrations- und Flüchtlingskrise, die das Mittelmeer zum Massengrab gemacht hat.

Die Vereinten Nationen brauchen nach eigenen Angaben 16 Milliarden Dollar, um die globalen humanitären Herausforderungen wie die Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Notunterkünften und Medikamenten für das inzwischen auf mehr als 55 Millionen Menschen angestiegene Flüchtlingsheer bewältigen zu können. Fast alle UN-Nothilfeeinsätze seien unterfinanziert, erklärte der UN-Sprecher Stephane Dujarric am 20. April vor Journalisten.

Auf der Geberkonferenz für Syrien im letzten Monat in Kuwait kamen mehr als 3,8 Milliarden Dollar zusammen. Doch die UN brauchen nach eigenen Angaben einen deutlich höheren Betrag und halten an ihrem Ziel, bis Jahresende 8,4 Milliarden Dollar für Syrien aufzubringen, fest. "Es bedarf mehr Unterstützung und finanzielle Hilfe", betonte Dujarric. "Doch was besonders wichtig ist: Wir brauchen politische Lösungen."

Dass die meisten Konflikte nicht gelöst sind, liegt in erster Linie an der Uneinigkeit innerhalb des UN-Sicherheitsrates, dem einzigen politischen UN-Gremium, das mit dem Mandat ausgestattet ist, militärische Auseinandersetzungen zu beenden.


Krisenlösung aufgrund der unterschwelligen Probleme schwierig

Nach Ansicht von Scribner gibt es keinen Königsweg, um die Krisen weltweit zu lösen, zu zahlreich seien die Probleme, die sie verursacht hätten. Dazu zählten Armut, schlechte Regierungsführung und Stellvertreterkriege ebenso wie das Ausspielen geopolitischer Interessen, eine von Waffenlieferungen gestärkte Kriegswirtschaft und ethnische Spannungen. Das derzeitige Hilfssystem sei nicht für die Krisen des 21. Jahrhunderts gemacht.

Oxfam zufolge gilt es drei Ziele anzusteuern: die Wirksamkeit der humanitären Hilfe durch eine frühzeitigere Bereitstellung der Mittel und durch Investitionen in lokale Führungsqualitäten zu steigern, politischen Lösungen und der Diplomatie den Vorrang zu geben und die nachhaltigen Entwicklungsziele zu nutzen, um Armut und Ungleichheit zu verringern. Das gesamte Vermögen des einen Prozents der reichsten Menschen weltweit wird, wenn der derzeitige Trend anhält, bis zum nächsten Jahr das Vermögen der restlichen 99 Prozent aller Menschen übersteigen.

Die Konflikte in den Hotspots haben zur Folge, dass immer mehr Menschen aus den Kriegsländern versuchen, sich in europäischen Ländern in Sicherheit zu bringen. Gleichzeitig steigt die Zahl der humanitären Helfer der UN und anderer Organisationen, die bei ihren Hilfseinsätzen getötet werden.

Am dritten Aprilwochenende ertranken hunderte Flüchtlinge und Migranten, die vom kriegszerstörten Libyen aus Europa erreichen wollten. Am 20. April wurden vier Mitarbeiter des Kinderhilfswerks UNICEF in Somalia bei einem Anschlag auf das Fahrzeug, in dem sie in dem ostafrikanischen Land unterwegs waren, getötet. Vier weitere wurden lebensgefährlich verletzt.

Dazu meint Ian Richards, Vorsitzender des Koordinierungsausschusses der internationalen Personalgewerkschaften und Personalverbände des UN-Systems (CCISUA): "Wir sind erschüttert über den Verlust unserer vier Kollegen im somalischen Garowe und sorgen uns um die vier Verletzten. Sie alle sind wahre Helden, die an einem der gefährlichsten Plätze der Welt großartige Arbeit geleistet haben."

Die UN werde ihre Arbeit in Somalia fortsetzen, "weil wir dort gebraucht werden", fügte er hinzu. Gleichzeitig unterstrich er die Notwendigkeit, die Bedingungen, unter denen UN-Mitarbeiter arbeiten müssten, an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Gerade die lokalen Helfer und ihre Familien würden aufgrund ihrer Arbeit zunehmend zur Zielscheibe von Gewalt. Dies mache es erforderlich, dass der UN- Generalsekretär und die UN-Vollversammlung ihre Schutzvorkehrungen für UN-Mitarbeiter an lebensgefährlichen Orten überprüften.


Wachsende Gewalt gegen lokale Helfer

Scribner von Oxfam zufolge ist die Zahl der Anschläge auf humanitäre Helfer in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen: von 90 Übergriffen im Jahr 2001 auf 308 im Jahr 2011. Mehrheitlich sind lokale Hilfskräfte betroffen. Ihnen wird ihre Arbeit vor allem deshalb häufig zum Verhängnis, weil sie sich besser in ihrem Umfeld auskennen und mit Kultur und Lokalsprache vertraut sind.

Wie die 'New York Times' im letzten Jahr anlässlich des Internationalen Tages der humanitären Hilfe berichtete hatte, kam es 2013 zu 460 Übergriffen auf humanitäre Helfer. Das sei die höchste Zahl solcher Angriffe seit 1997. "Diese mutigen Männer und Frauen geben nicht auf, weil sie in ihren Ländern etwas bewirken wollen", so Scribner. "Sie sollten von der internationalen Gemeinschaft stärker als bisher unterstützt werden." (Ende/IPS/kb/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/04/u-n-helpless-as-crises-rage-in-10-critical-hot-spots/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 22. April 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang