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AUFRUF/002: Fusionen stoppen, Konzernmacht begrenzen! (FUE)


Forum Umwelt & Entwicklung - Pressemitteilung vom 6. April 2017

Fusionen stoppen, Konzernmacht begrenzen!

Aufruf für schärfere Fusionskontrolle und Instrumente zur Konzernentflechtung von 24 zivilgesellschaftlichen Organisationen


Einen Tag nach der Bekanntgabe der EU-Kommission, auch die zweite Mega-Fusion der Agrarchemie- und Saatgutkonzerne zu genehmigen, rufen 24 Nichtregierungsorganisationen und Netzwerke dazu auf, das Wettbewerbsrecht schärfer zu fassen.

In der heute herausgegebenen Erklärung heißt es: "Große, international tätige Konzerne haben vielfältige Möglichkeiten, Preise für Verbraucher*innen anzuheben, Löhne zu senken und mit Patenten sowie anderen Formen geistigen Eigentums den Zugang zu landwirtschaftlichen Produktionsmitteln wie Saatgut und genetischen Ressourcen zu blockieren. Mit der Marktmacht steigt auch der direkte und indirekte Einfluss der Konzerne auf nationale und internationale Politik."

Anlässlich der aktuellen Fusionswelle im Agribusiness fordern die Organisationen im Forum Umwelt und Entwicklung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen heutiger Fusionskontrolle dringend zu reformieren, um Mega-Fusionen wie die jüngst genehmigten von Dow und DuPont sowie ChemChina und Syngenta in Zukunft verhindern und rückgängig machen zu können. Sie erklären: "Seit den 1970er Jahren hat sich die Zahl der Fusionsanmeldungen verdoppelt und das Volumen der einzelnen Fusionen deutlich vergrößert. Gleichzeitig werden immer weniger Fusionen untersagt. Von den jährlich nahezu 1000 angemeldeten Fusionen stoppt das Bundeskartellamt weniger als 10. Das ungebrochene Wachsen und Fusionieren der großen Konzerne wird seit Jahrzehnten von der Öffentlichkeit zwar wahrgenommen - die Regeln dahinter werden aber viel zu wenig diskutiert." Im Jahr 2015 hatte das Europäische Wettbewerbs-Kommissariat von über 300 Fusionsanträgen keinen einzigen abgelehnt, nur in 18 Fällen erteilte es Auflagen für die Unternehmen.

Dabei kritisiert der Aufruf auch die blinden Flecken des Wettbewerbsrechts: "Obwohl die Macht der großen Konzerne gravierende Auswirkungen auf die Länder des globalen Südens hat, verharrt Wettbewerbspolitik auf nationaler Ebene und betrachtet vor Entscheidungen die Folgen von Fusionen in Drittstaaten nicht."

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Aufruf
Fusionen stoppen, Konzernmacht begrenzen

Bereits heute dominiert eine Handvoll globaler Konzerne den internationalen Saatgut- und Pestizidmarkt. Durch Fusionen und Übernahmen werden diese Konzerne immer größer. Sie bauen damit ihre Machtposition gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen, Bauern und Bäuerinnen, Arbeiter*innen und Züchter*innen weltweit aus. Eine Verschärfung der Fusions- und Missbrauchskontrolle ist unerlässlich, um die Macht der Konzerne zu begrenzen.

Die Gewinne von Großkonzernen sind in den letzten Jahrzehnten deutlich schneller gewachsen als die Gewinne durchschnittlicher Unternehmen. Die Unterschiede in der Rendite zwischen den größten 10 Prozent der Konzerne und mittleren Firmen derselben Branche haben sich im Durchschnitt von zwei zu eins im Jahr 1990 auf fünf zu eins im Jahr 2014 vergrößert. In vielen Branchen ist der Anteil der vier größten Konzerne am Marktumsatz von 1997 bis 2015 um 30 Prozent gestiegen. Die Marktanteile der Großkonzerne wachsen stetig und damit auch die Gewinne und Profitraten.

Marktmacht zerstört Vielfalt und gefährdet Demokratie

Große, international tätige Konzerne haben vielfältige Möglichkeiten, Preise für Verbraucher*innen anzuheben, Löhne zu senken und mit Patenten sowie anderen Formen geistigen Eigentums den Zugang zu landwirtschaftlichen Produktionsmitteln wie Saatgut und genetischen Ressourcen zu blockieren.

Mit der Marktmacht steigt auch der direkte und indirekte Einfluss der Konzerne auf nationale und internationale Politik. Durch verschiedenste Formen von Lobbyarbeit gelingt es Agrarkonzernen und ihren Interessensverbänden, politische Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen - beispielsweise wenn es um die Risikobewertung und Regulierung von Pestiziden oder um die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen geht.

Unzureichende Wettbewerbsregeln

Seit den 1970er Jahren hat sich die Zahl der Fusionsanmeldungen verdoppelt und das Volumen der einzelnen Fusionen deutlich vergrößert. Gleichzeitig werden immer weniger Fusionen untersagt. Von den jährlich rund 1000 angemeldeten Fusionen stoppt das Bundeskartellamt weniger als 10. Das ungebrochene Wachsen und Fusionieren der großen Konzerne wird seit Jahrzehnten von der Öffentlichkeit zwar wahrgenommen - die Regeln dahinter werden aber viel zu wenig diskutiert.

Wettbewerbspolitik führt heute ein Schattendasein. Die Berichte des Bundeskartellamtes werden im Bundestag nicht debattiert. Die Politik des Kartellamts gegen Großkonzerne hat bisher kaum Unterstützung. "Wettbewerbspolitik hat keine Lobby", klagt das Kartellamt selbst. Im internationalen Vergleich ist das Bundeskartellamt mit 345 Mitarbeiter*innen kaum ausreichend ausgestattet. "Wenn der Markt [...] einmal liberalisiert worden ist, scheitern Versuche, den Wettbewerb wieder einzufangen." (Bundeskartellamt 2009)

Obwohl die Macht der großen Konzerne gravierende Auswirkungen auf die Länder des globalen Südens hat, verharrt Wettbewerbspolitik auf nationaler Ebene und betrachtet vor Entscheidungen die Folgen von Fusionen in Drittstaaten nicht.

Auf deutscher und europäischer Ebene ebenso wie in den USA machten Unternehmen und der Glaube an den Markt das Wettbewerbsrecht Schritt für Schritt konzernfreundlicher. Die Erzählung vom freien Wettbewerb der Marktkräfte zum Wohle aller wurde zum Dogma erhoben, eine Gefahr durch die Konzentration von Konzernen hingegen herunter gespielt. Wettbewerbsbehörden und ihre Befugnisse wurden verkleinert. Die Auswirkungen großer Marktkonzentration auf die Politik spielten bei der ursprünglichen Gesetzgebung noch eine starke Rolle, heute ist der Demokratie-Aspekt nicht mehr Teil von Fusions-Prüfungen. Angesichts der wirtschaftlichen Globalisierung wollen die USA und die EU ebenso wie die exportorientierten Nationalstaaten "ihre" Großkonzerne als nationale Champions im internationalen Wettbewerb erfolgreich sehen. Tatsächlich birgt dieser wirtschaftliche Standort-Nationalismus große Gefahren für Menschen und Umwelt, die Nachteile hinnehmen müssen, weil die Regierungen Umwelt- und Arbeitnehmer*innenschutz zu Gunsten der Konzerninteressen nach hinten stellen.

Folgen für Bauern & Bäuerinnen, Arbeiter*innen, Züchter*innen und Umwelt

Fast jede Fusion bringt deutlichen Arbeitsplatz-Abbau mit sich, da die Konzerne Strukturen zusammenlegen und Prozesse rationalisieren. Große Konzerne brauchen große Absatzmärkte. Im Agrarsektor geht das einher mit einem industriellen Landwirtschaftsmodell, das nicht zukunftsfähig ist, kleinere und mittlere Betriebe unter starken wirtschaftlichen Druck setzt, artgerechte Tierhaltung unmöglich macht und Artenvielfalt zerstört. Um ihre Marktmacht abzusichern, treiben die Agrarkonzerne die Patentierung von Leben voran. Dies und die Weiterentwicklung von Saatgut, das stärker auf wenige umsatzträchtige Sorten und Eigenschaften verengt wird, drängt immer mehr kleine und mittlere Züchter*innen aus den Märkten. Eine fatale Entwicklung für die bäuerlichen Betriebe hier und besonders für kleinbäuerliche Erzeuger*innen im Globalen Süden, denn die Weiterentwicklung lokal angepasster Saatgutsysteme wird behindert.


Unsere Forderungen
1. Die aktuellen Megafusionen im Agrarsektor stoppen!

Die aktuell beantragten Fusionen im Agrarsektor müssen untersagt werden.

2. Regeln zum Stopp von Fusionen verschärfen!

Kartellämter sollten künftig bereits ab 20 Prozent (anstatt wie heute bei 40 Prozent) Marktanteil eines einzelnen Unternehmens eine Fusion verbieten können. Bei der Fusionskontrolle sind auch Auswirkungen auf Zulieferer, Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte sowie auf die Umwelt zu prüfen; insbesondere im Globalen Süden. Auch Patente, die Indikatoren für zukünftige Marktmacht darstellen, müssen Prüfkriterium sein. Ebenso wie in anderen Märkten muss ein Trennungsgebot eingeführt werden. Kein Unternehmen darf gleichzeitig relevante Marktmacht über Saatgut, genetische Ressourcen, Pestizide und Agrardaten halten.

3. Marktmacht und Firmenstrukturen transparent machen!

Detaillierte Informationen über Marktanteile und weitere zentrale Indikatoren der Marktmacht eines Konzerns (Patente, Lobbyausgaben und - tätigkeiten, Besitz- und Firmenstruktur) müssen öffentlich zugänglich sein. Die Berichterstattung der Wettbewerbsbehörden ist auszubauen.

4. Rechtsinstrumente für Entflechtung ausbauen!

Instrumente zur Entflechtung von Konzernen sind heute kaum noch vorhanden. Die EU und der Bundestag müssen die Rechtsinstrumente ausbauen.

5. Konzernmacht weltweit eingrenzen!

Auch auf globaler Ebene muss Wettbewerbspolitik koordiniert und müssen Instrumente der Fusionskontrolle gestärkt werden, um insbesondere der Macht der Großkonzerne im Globalen Süden wirksame Grenzen zu setzen. Zugleich ist das besondere Interesse von Ländern des Globalen Südens zu beachten, eigene Märkte und etwa vorhandene große Unternehmen in öffentlicher Hand zu schützen - sämtliche heute industrialisierten Länder hatten über lange Zeit bestimmte Bereiche staatlich organisiert.

6. Konzern-Kontrolleur*innen stärken!

Eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der zuständigen Behörden ist nötig, um der Konzernmacht etwas entgegen zu setzen. Die Bundesregierung und die Kommission der EU sind in der Pflicht. Ähnlich wie im Bereich der Steuerflucht gilt: Nicht-Handeln kommt uns teuer zu stehen, Personal-Aufstockung rechnet sich vielfach.

7. Ernährungssouveränität statt Agrarindustrie!

Stattdessen lautet das Gebot der Stunde, die Erhaltung und nachhaltige Weiterentwicklung von Saatgut als Gemeingut durch die öffentliche Hand zu fördern. Die Welt von heute und von morgen wird von bäuerlichen und handwerklichen Betrieben ernährt, nicht von Konzernen!

Dieser Aufruf wird gemeinsam herausgegeben von:

  • Forum Umwelt und Entwicklung
  • Aktion Agrar
  • Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW)
  • Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)
  • Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall
  • BUNDjugend
  • Christliche Initiative Romero (CIR)
  • Coordination gegen Bayer-Gefahren CBG
  • Die Bäcker - Zeit für Geschmack e.V.
  • Dorfkäserei Geifertshofen
  • Ecoland e.V.
  • FIAN - FoodFirst Informations- & Aktions-Netzwerk
  • Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL)
  • Gen-ethisches Netzwerk (GEN)
  • Goliathwatch (i.G.)
  • INKOTA-netzwerk e.V.
  • Konsum rEvolution Berlin
  • Naturfreunde Deutschlands
  • Netzwerk Solidarische Landwirtschaft
  • Save our Seeds (SOS)
  • Slow Food Deutschland
  • Stiftung Haus der Bauern
  • Stop Bayer-Monsanto
  • Züchtervereinigung Schwäbisch Hällisches Schwein

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Quelle:
Pressemitteilung, 6. April 2017
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. April 2017

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