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AGRAR/1738: Handelspolitik schafft Agrarmärkte für wenige (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 390 - Juli/August 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Handelspolitik schafft Agrarmärkte für wenige
Bäuerliche Strukturen und Wertschöpfung vor Ort brauchen Vorrang vor Konzerninteressen

Von Christine Weißenberg


Den Welthunger bekämpfen und bäuerliche Landwirtschaft stärken, das schreiben sich erst einmal viele Politiker, Interessensgruppen aber auch Unternehmen auf die Fahnen. Was das dann genau für sie heißt und ob und wie sie es umsetzen, steht auf ganz anderen Blättern. Meist geht es am Ende eben doch wieder nur darum, die wirtschaftlichen Interessen der Industrienationen zu wahren, in dem Zusammenhang setzen sich auch Politiker gern für Konzerninteressen ein, besonders wenn diese ihr wirtschaftliches Anliegen mit humanitärer Rhetorik verbrämen. Bäuerlicher Landwirtschaft hilft das meist wenig, hier gilt die alte Formel Hilfe zur Selbsthilfe weit mehr. Und Umwelt-, Klima- und Tierschutz stehen meist auch nicht ganz oben auf der To-Do-Liste multinationaler Unternehmen.


Die Ernährungswirtschaft in Europa und besonders auch in Deutschland betont die wachsende Bedeutung von Exporten auf neue Märkte außerhalb der EU. Bäuerinnen und Bauern bekommen zu hören, auf diese Weise könne sich das Wachstum bei gesättigtem EU-Markt fortsetzen und mit steigenden Mengen Gewinne erzielen lassen. Dabei ist die Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten, die im Lebensmittelbereich neben der gesundheitlichen Unbedenklichkeit vor allem durch Kostenführerschaft entschieden wird, erkauft: Weil die europäischen Direktzahlungen zur Einkommensstützung der Betriebe dienen und u. a. Investitionen in Stallbauten gefördert werden, werden Kosten verlagert und den Verarbeitern stehen die landwirtschaftlich erzeugten Rohstoffe günstig zur Verfügung. "Es ist immer wieder erkennbar: Ein Interesse an hohen Erzeugerpreisen haben nur die Bauern und Bäuerinnen", stellt Ottmar Ilchmann, Milchbauer und stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) die Interessenlage klar: "Und wenn damit erwünschte Qualitäten verknüpft sind, dann sind auch die Verbraucher mit im Boot." Weltweit gesehen herrscht grundsätzlich weitgehend Einigkeit darüber, dass Entwicklungsländer Entfaltungsmöglichkeiten und Unterstützung brauchen - neben der Notwendigkeit, globalen Herausforderungen wie Hunger und Klimawandel gemeinsam zu begegnen. Kurzfristig setzen sich jedoch in viel stärkerem Maß die handelspolitischen Interessen der Einzelstaaten durch, ihrer Wirtschaft Vorteile zu verschaffen. Für Entwicklungsländer zeigt sich eine erheblich schwächere Verhandlungsposition, die nach Beobachtungen von Nichttegierungsorganisationen (NGOs) häufig zu Ergebnissen führt, die den Aufbau und die Stärkung eigener, inländischer Wertschöpfungsstrukturen und die angepasste Weiterentwicklung bäuerlicher Strukturen behindern.

Eigeninteressen gehen vor

Globale Verhandlungen, wie sie in der Welthandelsorganisation (WTO) geführt werden, um einen gemeinsamen Rahmen für internationalen Handel zu finden, sind ins Stocken geraten; es scheint der kleinste gemeinsame Nenner erreicht. Mittlerweile haben sich die Verhandlungen auf bilaterale Ebene zwischen einzelnen Staaten oder Regionen verschoben. Relativ neu sind die Entwicklungen in der Entwicklungspolitik, massiv auf die Einbindung privater Unternehmen zu setzen, um nötiges Investitionskapital für die Landwirtschaft hinzuzuziehen. So haben die G8-Industriestaaten 2012 die Neue Allianz für Ernährungssicherheit gegründet, an der multinationale Konzerne mit großer, konzentrierter Marktmacht beteiligt sind: u. a. bekannte wie BASF, Monsanto und Unilever, aber auch öffentlich weniger präsente wie das Handelsunternehmen Cargill oder der Agrartechnikkonzern AGCO.

Breite Unternehmensschultern

Auf Grund der schlechten öffentlichen Meinung und negativer Schlagzeilen über diese Public-Private-Partnerships (PPP) ist in Deutschland mittlerweile wenig darüber zu hören, obwohl sich die Bundesregierung nicht von der Initiative distanziert hat. Auf den Weg gebracht wurde hierzulande als eigenes Programm die German Food Partnership, in die rund 35 Unternehmen mit etwas engeren Grenzen als in der G8-Initiative eingebunden sind. Weitere Aktivitäten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wie die Grünen Innovationszentren oder die Sonderinitiative "Eine Welt ohne Hunger" gelten als ebenfalls unternehmensfreundlich, auch wenn diese stärker getrennt sind.

In der Breite schultern

Neben der grundsätzlichen Kritik von NGOs, dass Unternehmen, die ihr eigenes Interesse verfolgen und sich neue Märkte erschließen, aus Töpfen der Entwicklungshilfe gefördert werden, besteht zudem ein Problem mit der Transparenz, um Projekte und Ziele beobachten und auswerten zu können, weil die Unternehmen auf der Geheimhaltung ihrer Geschäftsdaten bestehen. Entwicklungspolitische Organisationen wie Brot für die Welt, Misereor, FIAN, Inkota, Oxfam und Germanwatch fordern gemeinsam mit agrarpolitischen Verbänden wie der AbL, das Recht auf Nahrung und das Konzept der Ernährungssouveränität in den Vordergrund zu stellen. Das erfordert Aufmerksamkeit und Investitionen auf breiterer Ebene zur Förderung der bäuerlichen Produktivität und zum Aufbau regionaler Wertschöpfungsstrukturen - nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in Industrieländern.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 390 - Juli/August 2015, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
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Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2015

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