Unabhängige Bauernstimme, Nr. 390 - Juli/August 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern
Handelspolitik schafft Agrarmärkte für wenige
Bäuerliche Strukturen und Wertschöpfung vor Ort brauchen Vorrang vor
Konzerninteressen
Von Christine Weißenberg
Den Welthunger bekämpfen und bäuerliche Landwirtschaft stärken, das schreiben sich erst einmal viele Politiker, Interessensgruppen aber auch Unternehmen auf die Fahnen. Was das dann genau für sie heißt und ob und wie sie es umsetzen, steht auf ganz anderen Blättern. Meist geht es am Ende eben doch wieder nur darum, die wirtschaftlichen Interessen der Industrienationen zu wahren, in dem Zusammenhang setzen sich auch Politiker gern für Konzerninteressen ein, besonders wenn diese ihr wirtschaftliches Anliegen mit humanitärer Rhetorik verbrämen. Bäuerlicher Landwirtschaft hilft das meist wenig, hier gilt die alte Formel Hilfe zur Selbsthilfe weit mehr. Und Umwelt-, Klima- und Tierschutz stehen meist auch nicht ganz oben auf der To-Do-Liste multinationaler Unternehmen.
Die Ernährungswirtschaft in Europa und besonders auch in
Deutschland betont die wachsende Bedeutung von Exporten auf neue
Märkte außerhalb der EU. Bäuerinnen und Bauern bekommen zu hören, auf
diese Weise könne sich das Wachstum bei gesättigtem EU-Markt
fortsetzen und mit steigenden Mengen Gewinne erzielen lassen. Dabei
ist die Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten, die im
Lebensmittelbereich neben der gesundheitlichen Unbedenklichkeit vor
allem durch Kostenführerschaft entschieden wird, erkauft: Weil die
europäischen Direktzahlungen zur Einkommensstützung der Betriebe
dienen und u. a. Investitionen in Stallbauten gefördert werden, werden
Kosten verlagert und den Verarbeitern stehen die landwirtschaftlich
erzeugten Rohstoffe günstig zur Verfügung. "Es ist immer wieder
erkennbar: Ein Interesse an hohen Erzeugerpreisen haben nur die Bauern
und Bäuerinnen", stellt Ottmar Ilchmann, Milchbauer und
stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche
Landwirtschaft (AbL) die Interessenlage klar: "Und wenn damit
erwünschte Qualitäten verknüpft sind, dann sind auch die Verbraucher
mit im Boot." Weltweit gesehen herrscht grundsätzlich weitgehend
Einigkeit darüber, dass Entwicklungsländer Entfaltungsmöglichkeiten
und Unterstützung brauchen - neben der Notwendigkeit, globalen
Herausforderungen wie Hunger und Klimawandel gemeinsam zu begegnen.
Kurzfristig setzen sich jedoch in viel stärkerem Maß die
handelspolitischen Interessen der Einzelstaaten durch, ihrer
Wirtschaft Vorteile zu verschaffen. Für Entwicklungsländer zeigt sich
eine erheblich schwächere Verhandlungsposition, die nach Beobachtungen
von Nichttegierungsorganisationen (NGOs) häufig zu Ergebnissen führt,
die den Aufbau und die Stärkung eigener, inländischer
Wertschöpfungsstrukturen und die angepasste Weiterentwicklung
bäuerlicher Strukturen behindern.
Globale Verhandlungen, wie sie in der Welthandelsorganisation (WTO) geführt werden, um einen gemeinsamen Rahmen für internationalen Handel zu finden, sind ins Stocken geraten; es scheint der kleinste gemeinsame Nenner erreicht. Mittlerweile haben sich die Verhandlungen auf bilaterale Ebene zwischen einzelnen Staaten oder Regionen verschoben. Relativ neu sind die Entwicklungen in der Entwicklungspolitik, massiv auf die Einbindung privater Unternehmen zu setzen, um nötiges Investitionskapital für die Landwirtschaft hinzuzuziehen. So haben die G8-Industriestaaten 2012 die Neue Allianz für Ernährungssicherheit gegründet, an der multinationale Konzerne mit großer, konzentrierter Marktmacht beteiligt sind: u. a. bekannte wie BASF, Monsanto und Unilever, aber auch öffentlich weniger präsente wie das Handelsunternehmen Cargill oder der Agrartechnikkonzern AGCO.
Auf Grund der schlechten öffentlichen Meinung und negativer Schlagzeilen über diese Public-Private-Partnerships (PPP) ist in Deutschland mittlerweile wenig darüber zu hören, obwohl sich die Bundesregierung nicht von der Initiative distanziert hat. Auf den Weg gebracht wurde hierzulande als eigenes Programm die German Food Partnership, in die rund 35 Unternehmen mit etwas engeren Grenzen als in der G8-Initiative eingebunden sind. Weitere Aktivitäten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wie die Grünen Innovationszentren oder die Sonderinitiative "Eine Welt ohne Hunger" gelten als ebenfalls unternehmensfreundlich, auch wenn diese stärker getrennt sind.
Neben der grundsätzlichen Kritik von NGOs, dass Unternehmen, die ihr eigenes Interesse verfolgen und sich neue Märkte erschließen, aus Töpfen der Entwicklungshilfe gefördert werden, besteht zudem ein Problem mit der Transparenz, um Projekte und Ziele beobachten und auswerten zu können, weil die Unternehmen auf der Geheimhaltung ihrer Geschäftsdaten bestehen. Entwicklungspolitische Organisationen wie Brot für die Welt, Misereor, FIAN, Inkota, Oxfam und Germanwatch fordern gemeinsam mit agrarpolitischen Verbänden wie der AbL, das Recht auf Nahrung und das Konzept der Ernährungssouveränität in den Vordergrund zu stellen. Das erfordert Aufmerksamkeit und Investitionen auf breiterer Ebene zur Förderung der bäuerlichen Produktivität und zum Aufbau regionaler Wertschöpfungsstrukturen - nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in Industrieländern.
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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 390 - Juli/August 2015, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2015
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