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ARBEIT/1915: Fragwürdige Arbeitslosenstatistik (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 4 vom 28. Januar 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Fragwürdige Arbeitslosenstatistik
IG BAU entlarvt Trixereien der Arbeitsagenturen

Von Manfred Dietenberger


Die Gewerkschaft IG Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) kämpft kontinuierlich und konsequent gegen die Rente mit 67 und die zu deren Begründung von der Regierung vorgelegten statistischen Trixereien. So auch jüngst, als die IG BAU Anfang Januar 2011 bundesweit die Arbeitsagenturen anprangerte, die Zahl der älteren Arbeitslosen zu schönen.

Die IG BAU machte bekannt, dass bundesweit derzeit 88.504 Langzeitarbeitslose nicht in der Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit geführt werden; allein in Baden-Württemberg seien es rund 7.100. Die Bundesregierung trickse an allen Ecken und Enden, um die Beschäftigungsquote älterer Menschen künstlich hochzurechnen. So werde die Rente mit 67 auf Biegen und Brechen gerechtfertigt. Auf die örtlichen Arbeitsagenturen heruntergebrochen bedeutet das zum Beispiel, dass im Dezember 2010 im Bereich der Arbeitsagentur Lörrach 257 Ältere in der offiziellen Arbeitslosenzahl nicht berücksichtigt wurden, im Bereich Herford waren es im gleichen Monat 241 Ältere die in der offiziellen Arbeitslosenzahl fehlten. Der Grund hierfür: Arbeitslose verschwinden nach einem Jahr aus der Statistik der Agentur für Arbeit, wenn sie in dieser Zeit kein Stellenangebot bekommen haben. Davon betroffen sind auch Hartz-IV-Empfänger, die älter als 58 Jahre sind.

Mit ihrem Bundesvorsitzenden kritisierte auch die IG BAU Südbaden und viele andere Bezirke, die absurde Logik dieser Regelung: Es würden völlig falsche Anreize gesetzt. Wenn z. B. ein Jobvermittler die Arbeitslosenzahl in seinem Bereich senken will, erreicht er das derzeit am leichtesten dadurch, dass er die älteren Arbeitslosen einfach ein Jahr lang links liegen lässt, bis sie so automatisch aus der Statistik fallen. Dass diese Menschen in den meisten Fällen arbeitslos bleiben, stört dann offensichtlich keinen mehr, so Armin Hänßel, Vorsitzender des IG BAU Bezirksverbandes Südbaden. Für Hänßel ist, wie auch für den Vorsitzenden des IG BAU Bezirksverbandes Ostwestfalen-Lippe Heinrich Echterdiek, die geltende Regelung eine üble Trickserei mit der Arbeitslosenstatistik. Mit so geschönten Zahlen entstehe ein verzerrtes Bild von der Beschäftigungssituation Älterer. Es sei nicht lange her, dass Arbeitsministerin von der Leyen ältere Menschen zu den Gewinnern am Arbeitsmarkt erklärt hat. Genau das war auch ihr Argument für die Rente mit 67, ein Argument, das jetzt auf sehr wackligen Beinen stehe, meint Hänßel. IG-BAU-Bezirksvorsitzender Echterdiek forderte daher eine grundlegende Reform des Rentensystems. "Was wir brauchen ist eine Rentenkasse, in die alle einzahlen - Arbeiter und Angestellte genauso wie Beamte und Selbstständige. Was wir bekommen ist die Rente mit 67 - und eine fragwürdige Arbeitslosenstatistik", so Heinrich Echterdiek abschließend.

Schon im Dezember 2010 forderte die IG BAU die Bundesregierung auf, endlich eine ehrliche Bilanz zur Rente mit 67 vorzulegen. "Die Bedingungen für eine längere Lebensarbeitszeit sind nicht erfüllt", so der IG-BAU-Bundesvorsitzende Klaus Wiesehügel. "Deshalb muss die Rente mit 67 gestoppt werden." Die IG BAU kritisiert, dass der Bericht auf die falschen und dann auch noch auf Durchschnittszahlen abstellt, was die Realität verzerre. Korrekt wäre es, so die IG BAU, dass lediglich 23,4 Prozent der 60 bis 64-jährigen 2009 sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Und ebenso richtig sei es, dass es viele Berufe gäbe, in denen die Beschäftigten es noch nicht einmal bis zur Rente mit 65 schaffen. "Die Arbeit am Bau ist ein Knochenjob", sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Wiesehügel. "Viele Bauarbeiter müssen deshalb vor 65 aus ihrem Beruf ausscheiden." Auf hundert 30-jährige in der Branche kämen gerade einmal rund zehn Arbeitnehmer im Alter von 64. Im Durchschnitt aller Berufe sind es dagegen 15 - und damit ein Drittel mehr.

Den Betroffenen drohe der soziale Abstieg und Altersarmut. Sie werden arbeitslos oder beziehen später eine viel zu geringe Erwerbsminderungsrente. Deshalb fordere die IG BAU für diejenigen, die durch ihre Arbeit so krank geworden sind, dass sie es nicht mehr schaffen, bis zur Rente weiterzuarbeiten, eine angemessene soziale Absicherung. Das gelte bei der Altersgrenze von 65 Jahren - erst recht aber für die Rente mit 67. "Menschen, die mit ihrer Arbeit letztendlich auch für das Gemeinwohl ein hohes Invaliditätsrisiko eingehen, haben ein Recht auf eine solidarische Absicherung", sagte der IG-BAU-Bundesvorsitzende. Dazu gehört ein erleichterter Zugang zur Erwerbsminderungsrente ebenso wie ein faires Rentenniveau. Es ist aus Sicht der IG BAU untragbar, dass Menschen mit Gesundheitsproblemen die Erwerbsminderungsrente verweigert wird, nur weil theoretisch noch ein Arbeitsplatz für sie denkbar wäre. Diese Stellen gibt es aber in der Realität so gut wie nie. Deshalb fordert die IG BAU die Bundesregieru ng auf, den Zugang zur Erwerbsminderungsrente zu erleichtern. Wer krank ist und keinen Arbeitsplatz mehr findet, darf von der Solidargemeinschaft nicht im Stich gelassen werden. Zu einem fairen Umgang mit den Betroffenen zählt auch, dass die Erwerbsminderungsrente zum Leben reicht. Im Durchschnitt erhalten die Betroffenen 643 Euro im Monat. "Das kann nicht das Ergebnis einer Lebensarbeitsleistung sein", betonte Wiesehügel. "Hier muss nachgebessert werden. Zumindest müssen die Abschläge von bis zu 10,8 Prozent gestrichen werden."


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang,
Nr. 4 vom 28. Januar 2011, Seite 5
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2011