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ARBEIT/2028: Gesetzliche Grundlage der Leiharbeit massiv verändert (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 5 vom 3. Februar 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Gesetzliche Grundlage der Leiharbeit massiv verändert Jetzt sind die Betriebsräte gefordert

von Manfred Dietenberger


Lautlos und bisher fast unbemerkt trat am ersten Dezember 2011 das neue Gesetz zur Arbeiterüberlassung in Kraft. In Zukunft dürfen Leiharbeiter nur noch vorübergehend und nicht als Ersatz für Stammpersonal auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzt werden. Wie viele sind davon betroffen? Niemand von denen, die es könnten, wollen ganz genau sagen, wie viele Leiharbeitsverhältnisse derzeit bestehen. Die IG Metall geht von rund einer Million aus und liegt damit wohl richtig.

Unter den insgesamt rund 41 Millionen Lohnabhängigen sind sie aber nicht die einzigen, die zu Niedriglöhnen in diesem unserem Lande arbeiten. Ohne verstärkte und entschlossenere gewerkschaftliche Gegenwehr wird das Heer der "Sklavenarbeiter" noch weiter drastisch anwachsen. Darauf deutet die Tatsache, dass es sich bei mehr als jeder dritten bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten offenen Stelle mittlerweile um ein Angebot einer Leiharbeitsfirma handelt. Dank des bisher schon erzeugten gewerkschaftlichen Druck, sieht die Bevölkerung mehr und mehr in der Leiharbeit eine moderne Form der Sklavenarbeit und lehnt sie daher ab.

Auf den öffentlichen Druck hin wurde das Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung geschaffen und im letzten Jahr gleich mehrfach verändert, um den Missbrauch von Leiharbeit einzudämmen und an die europäische Zeitarbeits-Richtlinie (RL) anzupassen. Was sind nun die wichtigsten Änderungen, was bedeuten sie für die Betriebsratspraxis? Künftig dürfen in der Bundesrepublik Arbeiter in der Regel nur noch mit Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit Dritten überlassen werden. Diese Erlaubnis benötigten bisher aber nur Kapitalisten, die ihre Arbeiter "gewerbsmäßig", also mit Gewinnerzielungsabsicht, Dritten überlassen haben. Bisher waren sogenannte Personalservicegesellschaften von Unternehmensgruppen, die Leiharbeiter zum Selbstkostenpreis an die Unternehmen der eigenen Gruppe überlassen, von dieser Pflicht ausgenommen. Seit der Neuregelung ist für die Erlaubnispflicht Voraussetzung, dass der Verleiher "im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit" Arbeiter überlässt. Dies führt in der betrieblichen Alltagswirklichkeit zu einer erheblichen Ausweitung der Erlaubnispflicht. Die erlaubnispflichtige Arbeiterüberlassung wird künftig zum Regelfall - Ausnahmen sind fast ausgeschlossen. Hat das verleihende Unternehmen keine Überlassungserlaubnis, entsteht kraft Gesetz automatisch ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeiter und dem Kapitalisten, bei dem er eingesetzt ist.

Das neue AÜG schränkt damit auch die erlaubnisfreie Überlassung von Arbeitern innerhalb eines Konzerns wesentlich ein. Sie ist ab dem 1. 12. 2011 nur noch dann möglich, wenn der Arbeiter "nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt oder beschäftigt wird". Diese wichtige Einschränkung begrenzt die Fälle einer erlaubnisfreien Überlassung ausschließlich auf Notsituationen, wie z. B. kurzfristiges, zeitlich beschränktes Aushelfen. In allen anderen Fällen benötigen die Kapitalisten zukünftig eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis.


Hebel für Betriebsräte

Mit dem neuen Gesetz kann künftig die dauerhafte Entleihung und damit der schleichenden Austausch von Stammarbeitern durch Leiharbeiter verhindert werden. Der Betriebsrat kann hierfür an einer kleinen, aber weitreichenden Ergänzung des Gesetzestextes den Hebel ansetzen. Denn nach der Neuregelung lautet der neue § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG wie folgt: "Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend." Eine genauere Definition was eine "vorübergehende Überlassung" ist, gibt das Gesetz nicht. Da ist der entschiedene Gestaltungswille des fortschrittlichen Betriebsrats gefragt, der im Interesse der Kollegen davon ausgeht, dass "vorübergehend" im Sinne von "bei vorübergehendem Bedarf" zu verstehen ist. Passt der Personalabteilung diese Auslegung nicht, wird diese Frage durch die Arbeitsgerichte entschieden werden müssen.

Erste Stellungnahmen von Unternehmerverbänden zeigen aber schon jetzt, dass der Anwendungsbereich der Leiharbeit durch diese Änderung massiv eingeschränkt werden kann. Und das ist gut so. Zuvor trat schon zum ersten Mai 2011 die sogenannte "Drehtürklausel" in Kraft. Die soll verhindern, dass Arbeiter entlassen werden und anschließend gleich oder bald danach (weniger als 6 Monaten) als Leiharbeiter - aber zu mieseren Arbeitsbedingungen - wieder bei ihrem ehemaligen Kapitalisten eingesetzt werden. In diesen Fällen müssen seit Mai letzten Jahres dem Leiharbeiter die gleichen Arbeitsbedingungen und damit auch der gleiche Lohn gewährt werden, wie sie bei seinem alten Kapitalisten, bei dem er nun wieder als Leiharbeiter eingesetzt wird, gelten. Diese neue gesetzliche Regelung gilt auch für den Fall, dass beim neuen Zeitarbeitsunternehmen, tarifvertraglich in der Regel niedrigere Löhne gelten.

Achtung: Bisher konnten Zeitarbeitsunternehmen Arbeitslose in den ersten sechs Wochen für ein Nettoarbeitsentgelt in Höhe des Arbeitslosengeldes einstellen. Dieses "Privileg" ist ihnen jetzt gesetzlich ersatzlos gestrichen worden. Da Leiharbeiter auch während der Zeit ihrer Arbeit bei einem Entleiherbetrieb Angehörige des entsendenden Betriebs des Verleihers nach § 14 Abs. 1 AÜG bleiben, sind sie diesem betriebsverfassungsrechtlich grundsätzlich auch weiterhin zugeordnet. Ob bei Maßnahmen, die Leiharbeiter betreffen, der Betriebsrat des Verleiherbetriebs, oder derjenige des Entleiherbetriebs zu beteiligen ist, richtet sich danach, ob der Vertragsarbeitgeber oder der Entleiher die mitbestimmungspflichtige Entscheidung trifft (BAG v. 19. 6. 2001).


Betriebsrat muss zustimmen

Die Übernahme eines Leiharbeiters zur Arbeitsaufnahme beim Entleiher ist betriebsverfassungsrechtlich wie eine Einstellung zu behandeln. Der Kapitalist hat in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig zur Betriebsratswahl wahlberechtigten Arbeitern vor jeder Einstellung den Betriebsrat zu unterrichten und Auskunft zu geben sowohl über die Person des Leiharbeiters als auch, unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen, über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme. Er hat weiterhin die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen (§ 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Auch bei einem kurzfristigen Ersatz für einen bereits eingesetzten Leiharbeiter durch einen anderen oder bei einer zwischen Verleiher und Arbeitgeber nur nach qualifikationsbezogenen Kriterien vereinbarten Gestellung von Leiharbeitern handelt es sich um mitbestimmungspflichtige Einstellungsmaßnahmen.

Die Besonderheiten der Arbeitnehmerüberlassung ändern nichts an der vorschriftsmäßigen Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers bei Einstellungen. Daher ist der Arbeitgeber auch verpflichtet, dem Betriebsrat vor der Übernahme eines Leiharbeiters zur Arbeitsleistung dessen Namen mitzuteilen. Der Unternehmer ist gehalten und es ist ihm zur Erfüllung seiner Unterrichtungspflicht grundsätzlich auch zuzumuten, die Personalien des einzusetzenden Leiharbeiters bei Bedarf beim Verleiher zu erfragen oder bei diesem auf eine so rechtzeitige Auswahlentscheidung zu drängen, dass er seinen Pflichten rechtzeitig nachkommen kann (BAG v. 9.3.2011). Zu den dem Betriebsrat vorzulegenden Unterlagen gehört vor allem die schriftliche Erklärung des Verleihers, dass er eine Erlaubnis besitzt. Der Arbeitgeber ist ferner verpflichtet, Mitteilungen des Verleihers über den Zeitpunkt des Wegfalls der Erlaubnis dem Betriebsrat unverzüglich bekanntzugeben (§ 14 Abs. 3 AÜG).

Zwar ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Einstellungen an sich kein Instrument zur umfassenden Vertragsinhaltskontrolle. Daher kann der Betriebsrat des Entleiherbetriebs die Zustimmung zur Beschäftigung eines Leiharbeiters nur verweigern, wenn der Verleiher keine Erlaubnis besitzt. Er kann die Zustimmung jedoch nicht wegen z. B. der Unterbezahlung des Leiharbeiters verweigern. Ebenso wenig ist die Begründung, die Arbeitsbedingungen des Leiharbeiters verstießen gegen das Gleichstellungsgebot, ein Zustimmungsverweigerungsgrund. Verlangt der Betriebsrat, dass sämtliche neu zu besetzende Arbeitsplätze innerbetrieblich auszuschreiben sind, besteht die Ausschreibungspflicht des Unternehmens auch für Arbeitsplätze, die der Arbeitgeber dauerhaft mit Leiharbeitern zu besetzen beabsichtigt. Nach § 99 BetrVG ist an der Eingruppierung des Leiharbeiters für die Tätigkeit im Entleiherbetrieb ausschließlich der Betriebsrat des Verleiherbetriebs zu beteiligen. Entsprechendes gilt, wenn sich die Tätigkeit des Leiharbeiters im Entleiherbetrieb ändert und er aus diesem Grund umgruppiert wird. Der Betriebsrat des Entleiherbetriebs ist in der Regel für die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten zuständig (§ 87 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3, 6, 7, 8, 12 BetrVG).


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Spielräume müssen genutzt werden

Es gibt also jetzt ein neues Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), das den Kampf gegen die Lohnsklaverei etwas erleichtert. Und es heißt: "Was Du Schwarz auf Weiss besitzest, das kannst Du getrost nach Hause tragen" doch das gilt am allerwenigsten bei Gesetzen, die Arbeiterrechte beschreiben.

Sie kommen nur auf Druck der Arbeiterschaft zustande und haben nur Bestand wenn sie auch ständig wahrgenommen und werktäglich in betriebliche Wirklichkeit umgesetzt werden. Arbeiterrechte sind ständig umstritten. Wie ist also ein neues Gesetz im Interesse der Kollegen von einem fortschrittlichen Betriebsrat auszulegen? Karl Marx würde wohl auch hier hilfreich antworten: "Die Frage löst sich auf in der Frage nach dem Kräfteverhältnis der Kämpfenden." Eins ist sicher, die Personalabteilungen der Unternehmer werden versuchen über die arbeitsgerichtliche Rechtssprechung, möglichst schnell die Deutungshoheit bei der Auslegung des neuen AÜG zu erlangen und ihre eigene Version im Betrieb durchzusetzen. Dieser Versuch muss entschieden abgewehrt werden.

Zur Durchsetzung hilft ein konsequenter Betriebsrat, aktive Vertrauensleute und ein hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad der Belegschaft Rechtsquellen: Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), §§ 81, 82, 84, 85, 87, 99 BetrVG


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 5 vom 3. Februar 2012, Seite 5
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2012