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ARBEIT/2227: Arbeitslosigkeit durch Hartz-IV-Reform nicht gesunken (idw)


Johannes Gutenberg-Universität Mainz - 07.11.2013

Arbeitslosigkeit durch Hartz-IV-Reform nicht gesunken

Beitrag der Hartz-IV-Reform zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland insgesamt außergewöhnlich niedrig



Die Hartz-IV-Reform des Arbeitsmarktes ist eine der politisch umstrittensten Reformen, die seit der Wiedervereinigung in der Bundesrepublik durchgeführt wurden. Mit ihr werden Gefährdungen des Lebensstandards bis hin zu Armut verbunden. Gleichzeitig konnte die Bundesrepublik ihre Arbeitslosenquote über die letzten Jahre so stark senken wie fast kein anderes Land in Europa oder der OECD. Welche Rolle spielen die Hartz-Reformen in dieser Erfolgsgeschichte? Eine aktuelle Veröffentlichung von Juniorprof. Andrey Launov und Prof. Klaus Wälde von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zeigt, dass die Hartz-IV-Gesetze de facto keinen erwähnenswerten Beitrag zur Reduktion der Arbeitslosigkeit lieferten. Gleichzeitig waren die anderen Reformen, Hartz I bis Hartz III, umso hilfreicher.

Seit Jahrzehnten nutzen Regierungen Arbeitslosenunterstützungen als ein wichtiges Instrument zur Regulierung des Arbeitsmarktes. Viele Ökonomen haben in der jüngeren Vergangenheit argumentiert, dass zu hohe Arbeitslosenunterstützungen in den meisten europäischen Ländern zu starren und ineffizienten Arbeitsmärkten geführt haben. Sie vermindern den Anreiz für Arbeitslose, sich um neue Stellen zu bemühen und führen zu hohen und persistenten Arbeitslosenquoten, so das Argument. Zwischen Anfang der 1990er und den frühen 2000er Jahren stieg die Arbeitslosenquote in fast allen großen europäischen Volkswirtschaften auf die Marke von über 10 Prozent. Einige europäische Regierungen haben darauf mit verschiedenen Arbeitsmarktreformen reagiert. Die Kürzung der Arbeitslosenunterstützungen wurde dabei, wie zu erwarten war, zu einem Herzstück der Reformen.

Deutschland unterschied sich nicht sehr von seinen europäischen Nachbarn. Zwischen 2003 und 2005 wurden die Hartz-Reformen des Arbeitsmarktes durchgeführt. Darunter auch die Hartz-IV-Reform im Jahre 2005, welche die Arbeitslosenhilfe für die Mehrzahl der Erwerbstätigen verringerte. Durch diese Reform wurde auch die Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld verringert. Während die Regierung mit Hartz IV eine Reduktion der Arbeitslosigkeit anstrebte, bestand gleichzeitig die Gefahr, dass die am wenigsten sozial Geschützten, wie zum Beispiel die Langzeitarbeitslosen, nach der Reform finanziell noch schlechter dastehen würden. In der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit hatte die Reform tatsächlich sehr schnell ein negatives Image bekommen. Hartz IV wurde weitgehend als "das Ende des Sozialstaates" und als primär nachteilig für die Arbeitnehmerschaft empfunden.

Eine Studie von Launov und Wälde, die in dem renommierten Fachmagazin International Economic Review veröffentlicht wurde, beschäftigt sich detailliert mit den verschiedenen Auswirkungen der Hartz-IV-Reform. Es werden sowohl die gesamte Volkswirtschaft als auch die Implikationen für die verschieden Beschäftigungsgruppen untersucht. Diese Studie zeigt, dass der Beitrag der Hartz-IV-Reform zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland insgesamt außergewöhnlich niedrig war. Tatsächlich führte Hartz IV zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit um weniger als 0,1 Prozentpunkte.

Der Grund dafür liegt in den tatsächlichen Änderungen der Lohnersatzleistungen durch die Reform. Der Anreizeffekt durch niedrigere Lohnersatzleistungen während einer Langzeitarbeitslosigkeit ist für gut ausgebildete Arbeitnehmer sehr gering. Diese Beschäftigtengruppen finden neue Stellen, lange bevor die Unterstützungskürzungen durch Hartz IV auf sie zukommen. Daher ist Hartz IV für diese Gruppe im Wesentlichen unbedeutend. Für geringer qualifizierte Arbeitnehmer, die den größten Teil der Langzeitarbeitslosen ausmachen, ist der Unterschied zwischen ihren Unterstützungsleistungen vor Hartz IV (Arbeitslosenhilfe) und nach Hartz IV (Arbeitslosengeld II) oft zu gering, um sich tatsächlich auszuwirken. Objektive Schwierigkeiten mit der Vermittelbarkeit solcher Arbeiter reduzieren die Effekte der Reform auf die Reduktion der Arbeitslosigkeit noch weiter.

Die Reform hat in den neuen Bundesländern einen stärkeren Effekt auf den Arbeitsmarkt erzielt als in den alten Bundesländern. Jedoch waren die Auswirkungen in den neuen Bundesländern nicht in einem Ausmaß, wie man es anfänglich erwartet hat.

Wie ist dann aber der starke Rückgang der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik seit Einführung der Hartz-Reformen zu verstehen? Wie aktuelle Forschungen von Launov und Wälde zeigen, liegt der Erfolg vielmehr in Hartz I bis III begründet. Dabei sticht vor allem die Reform der vormaligen Bundesanstalt und jetzigen Bundesagentur für Arbeit hervor. Die Einrichtung von Jobcentern, die Einführung einer einzigen Kontaktperson für einen Arbeitslosen, die Reduktion der Anzahl der Arbeitslosen pro Arbeitsvermittler in den Jobcentern und weitere Maßnahmen von Hartz III führten zu einer Reduktion der Arbeitslosigkeit um 1,3 bis 2 Prozentpunkten. Die Reform der Vermittlungsbehörde war also etwa vier bis fünf Mal effektiver als die Reduktion der Lohnersatzleistungen. Die beiden Wirtschaftswissenschaftler Launov und Wälde kommen zu dem Schluss, dass zwar Reformen des Arbeitsmarktes dringend geboten waren, es aber entscheidend ist, wie man eine Reform genau gestaltet. "Auf verteilungspolitisch schwierige Bestandteile wie eine Reduktion der Lohnersatzleistungen kann dabei offenbar verzichtet werden", so die beiden Ökonomen.

Veröffentlichung:
Andrey Launov, Klaus Wälde
Estimating Incentive and Welfare Effects of Non-Stationary Unemployment Benefits
International Economic Review, 25. Oktober 2013
DOI: 10.1111/iere.12032

Weitere Links:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/iere.12032/abstract

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http://idw-online.de/de/institution218

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Petra Giegerich, 07.11.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2013