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ARBEIT/2443: Die Löhne in Deutschland steigen weiter - aber auch die Ungleichheit wächst (idw)


Bertelsmann Stiftung - 25.06.2015

Die Löhne in Deutschland steigen weiter - aber auch die Ungleichheit wächst

Hohe Beschäftigung und stabiles Wachstum: Deutschland geht es wirtschaftlich gut. Dazu beigetragen hat auch die Lohnzurückhaltung im vergangenen Jahrzehnt. Nun findet eine Trendumkehr statt: Die Löhne steigen. Doch die ungleiche Verteilung der Lohnzuwächse erhöht die soziale Ungleichheit. Gesucht sind neue Konzepte für inklusives Wachstum.


Gütersloh, 25. Juni 2015. Die Lohneinkommen der Beschäftigten in Deutschland werden bis 2020 steigen. Allerdings wird gleichzeitig die Lohnungleichheit zunehmen. Geringverdiener, Sozialberufe, Dienstleister und Haushalte mit Kindern profitieren unterdurchschnittlich. An dieser Entwicklung ändert auch das aktuelle staatliche Umverteilungssystem nichts. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der Prognos AG.


Steigende Löhne treiben das durchschnittliche verfügbare Jahreseinkommen für einen Beschäftigten im Jahr 2020 gegenüber 2012 inflationsbereinigt um 2.200 Euro nach oben. Zu dieser Prognose kommen die Wirtschaftswissenschaftler in einer aufwändigen Simulationsberechnung künftiger Arbeitseinkommen auf der Grundlage von Vorausschätzungen zu Wirtschafts-, Produktivitäts- und Lohnentwicklungen in Deutschland und einer Analyse der aktuellen Ausgangslage. So wird sich das jährlich verfügbare Einkommen der Beschäftigten, deren Verdienst im oberen Fünftel liegt, im Durchschnitt um real 5.300 Euro erhöhen. Die unteren 20 Prozent können nur mit einem durchschnittlichen Zuwachs von 750 Euro rechnen. 2012 lag das durchschnittliche Einkommen nach Steuern und Transfers im oberen Fünftel bei 54.700 Euro, im unteren Fünftel bei 7.200 Euro. Die steigenden Löhne führen der Studie nach bis 2020 zu einem Anstieg bei den Top-20-Prozent auf 60.000 Euro beziehungsweise der unteren 20 Prozent auf 7.950 Euro.


Demographie und Fachkräftebedarf treiben die Löhne

Ganz neu ist das Ende der Lohnzurückhaltung nicht, denn schon seit 2010 werden Wachstumsgewinne wieder stärker an die Arbeitnehmer weitergegeben. Die Studie geht davon aus, dass dieser Trend auch in den kommenden Jahren anhalten wird. Ursachen sind der demographische Wandel und der Fachkräftemangel, die höhere Lohnabschlüsse begünstigen. Dies treibt die Löhne allerdings nicht in allen Wirtschaftszweigen gleichermaßen, denn entscheidend für die konkrete Lohnentwicklung sind die jeweiligen Produktivitätszuwächse. Und die fallen von Branche zu Branche unterschiedlich aus.

Deshalb weichen auch die zu erwartenden Lohnzuwächse in den einzelnen Branchen zum Teil erheblich voneinander ab. So wird das durchschnittliche verfügbare Jahreseinkommen pro Beschäftigtem im Gesundheits- und Sozialwesen im Jahr 2020 lediglich 1.050 Euro höher sein als 2012. Die Beschäftigten in der chemischen und pharmazeutischen Industrie hingegen können in diesem Zeitraum von einem Anstieg um 6.200 Euro ausgehen.


Trend benachteiligt Familien mit Kindern

Überdurchschnittlich steigen werden die verfügbaren Haushaltseinkommen in kinderlosen Haushalten: Ein-Personen-Haushalte werden im Schnitt 2.000 Euro im Jahr mehr zur Verfügung haben als noch 2012, Paare ohne Kinder sogar 2.100 Euro. Paare mit Kindern können dagegen nur einen Zuwachs von 1.650 Euro im verfügbaren Haushaltseinkommen erwarten, Alleinerziehende von lediglich 1.300 Euro. Eine der Ursachen ist, dass Alleinerziehende häufig im Einzelhandel und Gesundheits- beziehungsweise Sozialwesen beschäftigt sind - Branchen mit langsamer wachsenden Löhnen. Bei den fünf Branchen mit den höchsten Produktivitätszuwächsen handelt es sich ausschließlich um Sektoren aus dem verarbeitenden Gewerbe. Die Branchen mit den geringsten prozentualen Produktivitätsanstiegen sind überwiegend im Dienstleistungssektor angesiedelt.

Die Bertelsmann Stiftung sieht in ihrer aktuellen Analyse frühere Studien bestätigt, nach denen sich der Trend zu wachsender Lohnungleichheit in Deutschland auch während der kommenden Jahre fortsetzen wird. Wie der Blick auf die verfügbaren Jahreseinkommen zeigt, wird diese Entwicklung auch durch das aktuelle System staatlicher Umverteilung in Deutschland nicht aufgehalten. Benachteiligt sind Geringverdiener, Sozial- und Dienstleistungsberufe und Haushalte mit Kindern.

"Diese Entwicklung ist bedenklich, denn wachsende Ungleichheit beeinträchtigt die Zukunftschancen sowohl der Menschen als auch unserer Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes", sagt Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Die große Herausforderung der kommenden Jahre für Politik, Sozialpartner und die gesamte Gesellschaft sei es deshalb, Wege für ein inklusives Wachstum zu finden und die steigende Ungleichheit zu bremsen oder sogar zu verringern. "Deutschland braucht Wachstum und muss international wettbewerbsfähig sein. Aber gleichzeitig dürfen nicht ganze Einkommensgruppen immer weiter abgehängt werden", sagt De Geus.


Zusatzinformationen
Die vorliegende Studie verbindet das makroökonomische Modell VIEW der Prognos AG mit einem mikroökonomischen Modell des deutschen Steuer- und Transfersystems der Prognos AG sowie Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und des Statistischen Bundesamtes. Auf dieser Basis wird die wahrscheinliche Lohneinkommensentwicklung in Deutschland für Branchen bis 2020 berechnet und daraus bei Konstanz aller anderen Einkommensarten das verfügbare Einkommen unterschiedlicher Haushaltstypen und Einkommensgruppen abgeleitet. Zusätzlich wurden Varianten berechnet, in denen die Lohnentwicklung gegenüber dieser Basisberechnung nach oben oder unten abweicht. Auch für diese beiden Szenarien kommen die Wirtschaftswissenschaftler zu ähnlichen Schlüssen: Die Ungleichheit wird sich verstärken, und dieselben Branchen, Haushaltstypen und Einkommensgruppen sind benachteiligt.


Weitere Informationen unter:
http://www.bertelsmann-stiftung.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution605

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Bertelsmann Stiftung, Maria Droop, 25.06.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2015

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