Hans-Böckler-Stiftung - 13.06.2017
Neue Studie
Nicht nur mehr Geld: Arbeitsbedingungen und Arbeitszufriedenheit von
Niedriglohnbeschäftigten mit Mindestlohn verbessert
Der gesetzliche Mindestlohn hat die Arbeitsbedingungen und die Arbeitszufriedenheit von Beschäftigten im Niedriglohnsektor positiv beeinflusst. Das betrifft nicht nur die bessere Bezahlung. Beschäftigte, die vom Mindestlohn erfasst sind, konstatieren zwar oft gestiegene Ansprüche an ihre Arbeit, aber auch eine größere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie, ein verbessertes Betriebsklima und höhere Wertschätzung durch Vorgesetzte. Das zeigt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
"Die gestiegene Arbeitsplatzqualität und -zufriedenheit der Mindestlohnempfänger ist ein weiteres Argument, das zu einer insgesamt positiven Bewertung des gesetzlichen Mindestlohns beiträgt", schreiben WSI-Arbeitsmarktforscher Dr. Toralf Pusch und Dr. Miriam Rehm von der Arbeiterkammer Wien in ihrer Untersuchung, die in der Fachzeitschrift "Wirtschaftsdienst" erscheint.(*) Dafür haben die Wissenschaftler detaillierte Befragungsdaten von mehr als 340 Beschäftigten ausgewertet, die 2014 weniger als 8,50 Euro in der Stunde verdienten und nach dem 1.1. 2015 im gleichen Job weiterarbeiteten. Die Daten stammen aus dem Panel Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung (PASS), für das die Bundesagentur für Arbeit repräsentativ ausgewählte Niedriglohnbeschäftigte jedes Jahr befragt. Um kontrollieren zu können, welche Effekte wirklich auf dem neuen Mindestlohn beruhen, verglichen Pusch und Rehm die Antworten der zum Mindestlohn Beschäftigten mit denen von rund 440 vergleichbaren Arbeitnehmern, die 2014 zwischen 8,50 und 13 Euro in der Stunde erhielten.
Der Mindestlohn greift - meistens.
Von 2014 auf 2015 stieg der Stundenlohn der befragten Niedrigstverdiener
beträchtlich: von durchschnittlich 6,70 Euro brutto pro Stunde auf im
Mittel 8,20 Euro. Der Mittelwert unterhalb von 8,50 Euro zeigt zwar, dass
der Mindestlohn im Jahr seiner Einführung noch nicht überall gezahlt
wurde. Die Verbesserung um gut 22 Prozent übertraf trotzdem das
durchschnittliche Lohnwachstum in der Vergleichsgruppe (3,7 Prozent) um
ein Vielfaches.
Mehr Einkommen bei kürzerer Arbeitszeit.
Entsprechend wuchs der durchschnittliche monatliche Verdienst der
Mindestlohn-Beschäftigten spürbar - von durchschnittlich 839 auf 994 Euro.
Und das, obwohl die Befragten im Mittel pro Woche anderthalb Stunden
weniger arbeiteten. Der Anteil der Beschäftigten mit überlangen
Arbeitswochen von mehr als 45 Stunden ging deutlich zurück, während er in
der Kontrollgruppe anstieg. In den geringeren Arbeitszeiten sehen die
Forscher einen wichtigen Grund dafür, dass die Befragten der Vereinbarkeit
von Berufstätigkeit und Familie nach Einführung des Mindestlohns
signifikant bessere Noten geben als zuvor.
Verdichtung, aber auch Aufwertung der Arbeit.
Vor Einführung des Mindestlohnes hatten manche Ökonomen dramatische
Beschäftigungsverluste prognostiziert. Diese blieben ebenso aus wie
drastische Preissteigerungen. Offensichtlich ist es vielen Arbeitgebern
gelungen, die höheren Lohnkosten auszugleichen, etwa durch eine höhere
Produktivität. Indizien dafür erkennen Pusch und Rehm in den PASS-Daten:
Mindestlohn-Beschäftigte berichten über mehr und anspruchsvollere Arbeit.
Zugleich geben sie an, seltener in ihrer Tätigkeit gestört zu werden.
Außerdem empfinden sie das Klima zwischen ihren Kollegen und das
Verhältnis zu Vorgesetzten als besser - lauter Trends, die sich bei der
Kontrollgruppe nicht so ausgeprägt zeigen. Lediglich ihre Aufstiegschancen
schätzen Mindestlohn-Beschäftigte etwas negativer ein als Angehörige der
Kontrollgruppe.
"Diese Erkenntnisse können als Anhaltspunkte gewertet werden, dass Unternehmen einerseits auf Arbeitsverdichtung und andererseits auf verstärkte Motivation setzen", schließen Pusch und Rehm. So würden gering bezahlte Tätigkeiten etwa durch bessere Organisation "aufgewertet". Unter dem Strich empfänden das die Mindestlohn-Beschäftigten als überwiegend positiv.
Anmerkung:
(*) Toralf Pusch, Miriam Rehm: Positive Effekte des Mindestlohns auf
Arbeitsplatzqualität und Arbeitszufriedenheit, in: Wirtschaftsdienst, 97.
Jg. (2017), Heft 6, S. 409-414.
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution621
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 13.06.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2017
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang