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ARBEIT/2796: Der schweizerische Arbeitsmarkt aus psychologischer Sicht (idw)


Universität Bern - 22.03.2018

Der schweizerische Arbeitsmarkt aus psychologischer Sicht


Berner Forschende des Instituts für Psychologie haben die Entwicklung des schweizerischen Arbeitsmarktes seit 1991 analysiert und stellen fest: Frauen und Männer arbeiten seit über zwanzig Jahren insbesondere in typisch «weiblichen», beziehungsweise «männlichen» Berufen.

Frauen arbeiten mehrheitlich in pflegend-erzieherischen Berufen, wohingegen Männer überwiegend in handwerklich-technischen Berufen tätig sind - daran hat sich in den letzten 23 Jahren auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt kaum etwas geändert. Verschiebungen gab es hingegen bei der Verteilung der Berufstypen: Berufe mit handwerklich-technischer Ausrichtung machen zwar immer noch den grössten Anteil am Arbeitsmarkt aus, aber die Anzahl führend-verkaufender Berufe stieg seit zwei Jahrzehnten stark an.

Dies zeigt eine Untersuchung von Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung von über einer halben Million Berufstätigen über einen Zeitraum von 23 Jahren. Anhand von sechs beruflichen Interessenstypen haben Forschende um Anja Ghetta und Andreas Hirschi vom Institut für Psychologie der Universität Bern die Entwicklung des schweizerischen Arbeitsmarktes von 1991 bis 2014 aus psychologischer Sicht analysiert. Die Ergebnisse wurden im «Swiss Journal of Psychology» publiziert.

Psychologie des Schweizer Arbeitsmarktes

Das persönliche Interesse ist einer der wichtigsten Faktoren für die Berufswahl. Um einen passenden Beruf zu finden, ist es einerseits wichtig, die eigenen Interessen zu kennen und andererseits zu wissen, wie sich diese Interessen im Arbeitsmarkt verwirklichen lassen. Arbeitsmärkte werden typischerweise basierend auf Branchen oder Wirtschaftssektoren beschrieben. Innerhalb dieser Branchen und Sektoren gibt es jedoch wesentliche Unterschiede in den Interessen, die in bestimmten Berufen verwirklicht werden können. So weisen Köche beispielsweise ganz andere berufliche Interessen auf als Hotelfachfrauen, auch wenn sie in der gleichen Branche arbeiten. Bisher wusste man wenig darüber, wie stark bestimmte berufliche Interessenstypen im schweizerischen Arbeitsmarkt vertreten sind und wie sich diese in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben.

Berufe des Typs «handwerklich-technisch» zeichnen sich dadurch aus, dass Personen darin gerne mit Gegenständen und Materialien arbeiten und Werkzeuge einsetzen oder Maschinen bedienen. Dazu gehören Berufe wie Tontechniker, Landwirtin oder Schreiner. Die Resultate zeigen, dass zwischen 1991 und 2014 der prozentuale Anteil an diesen Berufen auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt abnahm. Allerdings stellte dieser Typ durchgehend das Interessensfeld mit den meisten Beschäftigten dar; 2014 arbeiteten 30% in einem handwerklich-technischen Beruf.

Personen in Berufen des Typs «untersuchend-forschend» beschäftigen sich gerne mit Ideen und möchten mit wissenschaftlichen Methoden und logischem Denken etwas Neues herausfinden. Beispiele von Berufen sind Wissenschaftlerin, Detektiv oder Psychologin. Berufe dieses Typs wuchsen über die letzten Jahre prozentual stark an, jedoch auf tiefem Niveau (9% in 2014).

In Berufen des Typs «künstlerisch-kreativ» interessieren sich Personen typischerweise für Kunst, Sprache und abstrakte Konzepte und möchten kreativ etwas erschaffen oder gestalten. Typische Berufe sind Sänger, Grafikerin oder Autor. Dieser Berufstyp verharrte während den analysierten 23 Jahren auf sehr tiefem Niveau; 2014 arbeiteten 3% in einem künstlerisch-kreativen Beruf.

Personen in Berufen des Typs «erziehend-pflegend» arbeiten gerne mit Menschen, welche sie unterstützen, beraten, pflegen oder erziehen möchten. Dazu gehören Berufe wie Lehrerin, Pfleger oder Sozialarbeiterin. Dieser Berufstyp ist in den letzten Jahren stark gewachsen und stellt aktuell 16% des Arbeitsmarktes dar.

Der Berufstyp «führend-verkaufend» reflektiert ein Interesse an wirtschaftlichen und unternehmerischen Aktivitäten, wie es beispielsweise in Berufen wie Werbefachmann, Unternehmerin oder Verkäufer der Fall ist. Dieses Interessenfeld ist seit 1991 von allen am stärksten gewachsen und stellt 2014 mit 25% den zweitgrössten Bereich auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt dar.

Berufe des Typs «ordnend-verwaltend» sind zum Beispiel Archivarin, Sekretär oder Juristin. Personen in diesen Berufen interessieren sich für gewissenhaftes und strukturiertes Arbeiten mit Daten und Fakten. Prozentual ist dieses Berufsfeld über die letzten 23 Jahre leicht geschrumpft auf 18% in 2014.

Insgesamt zeigte sich, dass der schweizerische Arbeitsmarkt für Personen mit unterschiedlichen Interessen unterschiedliche Möglichkeiten bereithält. Personen mit handwerklich-technischen Berufsinteressen finden nach wie vor einen grossen Arbeitsmarkt vor. Jedoch weist der starke Anstieg an Berufen des erziehend-pflegenden sowie führend-verkaufenden Interessentyps auf wichtige zukünftige Beschäftigungsmöglichkeiten für Personen mit entsprechenden Interessen hin. «Diese Resultate können in der Berufswahl und Laufbahnberatung eine wichtige Rolle spielen», sagt Andreas Hirschi.

Stabile Unterschiede zwischen Männern und Frauen

Frauen und Männer sind unterschiedlich stark in den verschiedenen Interessensfeldern tätig und diese Unterschiede waren über die untersuchten 23 Jahre erstaunlich stabil. In Berufen mit handwerklich-technischem Interesse waren Männer konstant in der Mehrheit, wohingegen Berufe mit erziehend-pflegenden Interessen immer grossmehrheitlich von Frauen ausgeübt wurden. Am ausgeglichensten ist das Geschlechterverhältnis in Berufen mit führend-verkaufenden Interessen, in welchen seit 1991 ungefähr die Hälfte der Beschäftigen Frauen sind. Verglichen mit Männern sind Frauen weniger stark auf ein Interessensfeld konzentriert, sondern in einem breiteren Berufsspektrum tätig - jede Vierte bis Fünfte arbeitet in einem erzieherisch-pflegenden, führend-verkaufenden, ordnend-verwaltenden, bzw. handwerklich-technischen Beruf. Bemerkenswert ist, dass während den letzten 23 Jahren trotz zunehmender Gleichberechtigung in der Gesellschaft keine grossen Schwankungen der Frauen- und Männeranteile in den sechs Berufstypen zu verzeichnen war. «Die Resultate legen nahe, dass die Ausübung von Berufen anhand geschlechtstypischer Berufsinteressen äusserst stabil ist», so Anja Ghetta.


Publikation:
Ghetta, A., Hirschi, A., Herrmann, A., & Rossier, J.:
A Psychological Description of the Swiss Labor Market from 1991 to 2014: Occupational Interest Types, Gender, Salary, and Skill Level.
Swiss Journal of Psychology. März 2018, 77, 83-94.
doi:10.1024/1421-0185/a000206

Weitere Informationen unter:
http://www.unibe.ch/aktuell/medien/media_relations/medienmitteilungen/2018/medienmitteilungen_2018/der_schweizerische_arbeitsmarkt_aus_psychologischer_sicht/index_ger.html
http://www.unibe.ch/unibe/portal/content/e796/e803/e59463/e805/e631076/e631078/e664369/media_service664377/files664380/20180222_BeilageUniBE_Arbeitsmarktbeschrieb_ger.pdf

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution57

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bern, Nathalie Matter, 22.03.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2018

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