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BANK/514: Umwelt- und Sozialstandards der Weltbank werden überarbeitet (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014
Goldgräberstimmung
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Verbessern durch verwässern?
Die Umwelt- und Sozialstandards der Weltbank werden überarbeitet

Von Knud Vöcking


Die Umwelt- und Sozialstandards der Weltbank (Safeguards) sind Referenzrahmen für die meisten Akteure in der internationalen Wirtschaft. Jetzt sollen sie reformiert werden. Der vorliegende Entwurf steht nun unter massiver Kritik, nicht nur von Nichtregierungsorganisationen.


Fragt man bei Banken oder Wirtschaftsunternehmen nach, an welchen Umwelt- und Sozialstandards sie ihre Geschäftstätigkeit ausrichten, erhält man in den meisten Fällen die Antwort: Nach Weltbank-Standards. In Deutschland dienen sie unter anderem der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bei ihren Auslandsgeschäften oder Euler-Hermes bei Exportkreditgarantien als Referenzrahmen für ihre Projektprüfungen. Natürlich haben nach und nach fast alle Finanzinstitutionen eigene Standards entwickelt wie beispielsweise die Equator Priciples, die auf den Performance Standards des Weltbank-Privatsektorarms (Internationale Finanz-Corporation, IFC) beruhen. Nichtsdestotrotz waren die Safeguards des Bereichs der Weltbank, der den öffentlichen Bereich finanziert (Internationale Entwicklungsorganisation, IDA, und Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, IBRD), die ersten und haben damit weltweit Maßstäbe gesetzt.

Ohne Druck keine Standards

Es wäre ein Irrglaube anzunehmen, dass die Weltbank aus lauter Menschenfreundlichkeit und Sorge um die Umwelt Standards eingeführt hat. Auslöser waren vielmehr Proteste gegen Megaprojekte der Bank, die in den 1980ern von Betroffenen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) in die Hauptstädte der großen Anteilseigner USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien etc. getragen und auch bei den zweimal jährlich stattfindenden Weltbank-Tagungen in großen Demonstrationen artikuliert wurden. Jedes Mal, wenn die Weltbank wieder mit der Nase auf ein Problem gestoßen wurde, entstand ein neuer Standard.

Dieses "organische" Entstehen der Safeguards hatte zur Folge, dass sie lückenhaft und auch unterschiedlich präzise waren. 2010 stellte die interne unabhängige Evaluierungsabteilung (IEG) in einer Untersuchung zur Wirksamkeit der Standards innerhalb der gesamten Weltbank-Gruppe Verbesserungsbedarf heraus. Gleichzeitig wurde konstatiert, dass richtig angewandte Safeguards einen erheblichen Anteil an der Entwicklungswirkung von Weltbank-Projekten hätten.(1) Die Überarbeitung der Standards begann 2012 auf Beschluss des Verwaltungsrates der Weltbank und sollte eigentlich bereits Ende 2014 abgeschlossen werden. Nach der Amtsübernahme des neuen Weltbank-Präsidenten Jim Kim Mitte 2012 wurde allerdings erst eine interne Reorganisation der Bank in Angriff genommen. Deshalb geschah trotz der Erkenntnis, dass es Lücken und neue Themen ("emerging issues") wie Menschenrechte, Gender, Klima, LGBTI, Behinderte gebe, lange Zeit nichts. Fast das komplette, mit der Erarbeitung der neuen Standards befasste Team wurde ausgewechselt.

Ende Juli 2014 wurde dann der erste Entwurf der neuen Standards vom Verwaltungsrat zur weiteren öffentlichen Konsultation frei gegeben. Einige Verwaltungsratsmitglieder - wie die US-Exekutivdirektorin (ED) - und auch einige europäische EDs gaben allerdings zu Protokoll, dass dies keine inhaltliche Zustimmung zum Entwurf sei. Daraus ließ sich bereits zu diesem Zeitpunkt ableiten, dass es inhaltliche Bedenken gegen Struktur und Umfang der neuen Standards gab. Auch von NROs kam deutliche Kritik. Man war enttäuscht, dass die "emerging issues" nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Für Empörung sorgte, dass der Entwurf eine deutliche Verwässerung der bestehenden Standards darstellt, obwohl Weltbank-Chef Kim in öffentlichen Äußerungen mehrfach betont hatte, dass es keine Abschwächung der Standards geben würde ("no dilution"). Im September kam es zu Protestaktionen vor der Weltbank-Repräsentanz in Brüssel, als eine Vielzahl von AktivistInnen mit Masken erschienen, die Kim mit Pinocchio-Nase zeigten. Auch bei der Protestdemonstration während der Weltbank-Jahrestagung in Washington wurde dieses Motiv wieder aufgenommen. Der Zeitplan der Bank zur Überarbeitung der Standards ist damit schon jetzt erheblich ins Wanken geraten. Ursprünglich war geplant, einen Zweitentwurf nach einer Runde von Konsultationen auf allen Kontinenten Anfang 2015 vorzulegen. Nach weiteren Beratungen sollte der Verwaltungsrat dann im Frühjahr die neuen Standards beschließen, damit sie zu Beginn des neuen Geschäftsjahres am 1. Juli 2015 in Kraft treten.

Verantwortung abschieben

Alle Kritikpunkte ausführlich darzustellen, würde den Rahmen jedes Artikels sprengen. Einige Beispiele sollen an dieser Stelle ausgeführt werden. Obwohl die IEG beispielsweise in ihrer Untersuchung 2010 festgestellt hatte, dass die Bank zur Gewährleistung von Kohärenz die Safeguards nicht nur auf Investitionsprojekte beschränken, sondern auch auf Programm-basierte Kredite ausdehnen sollte, wurde dies nicht angegangen.(2) Im Portfolio der Bank (IDA und IBRD) sind nur knapp 50nvestitionskredite, mit fallender Tendenz.

Auch der generelle Ansatz, sämtliche Verantwortung von der Bank auf den Klienten, also das Kredit nehmende Land abzuwälzen, ist mehr als fragwürdig. Begründet wird dies damit, dass die Nehmerländer durch das Erstellen von Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen die Implementierung und das Monitoring ihrer Systeme stärken könnten und die Bank dabei helfen werde. Das gleiche Konzept wird seit 2005 im Privatsektor bei den Performance Standards der IFC verfolgt und wurde von der IEG stark kritisiert. Die Weltbank verabschiedet sich mit diesem Vorgehen von verbindlichen und nachprüfbaren Standards. Nach dem vorliegenden Entwurf reicht es aus, wenn die Systeme der Nehmerländer im Grundsatz dazu geeignet sind, die beim Projekt entstehenden Probleme zu adressieren.

Verstärkt wird diese Problematik zusätzlich dadurch, dass aufgrund von aufgeschobener Bewertung ("deferred appraisal") erst während der Projektimplementierung mögliche Probleme identifiziert und angegangen werden können. Der Verwaltungsrat der Weltbank soll also eine Finanzentscheidung treffen, ohne ausreichend über alle Aspekte des Projekts informiert zu sein. Auch die Arbeit der unabhängigen Beschwerdestelle gestaltet sich damit schwierig bis unmöglich. Das WeltbankManagement liefert dazu folgende Begründung: Man habe sich früher zu sehr auf das "frontloading" konzentriert und mit den Studien vor der Projektgenehmigung lediglich ein Prozedere abgehakt. Jetzt wolle man den Schwerpunkt auf die Implementierung legen. Richtig ist, dass die Safeguards oft schlecht angewandt wurden. Jetzt aber die Vorbereitung zu vernachlässigen und zu hoffen, dass man alles während des Projekts einrichten könne, ist verantwortungslos. Die Bank sagt, man wolle bewusst Risiken eingehen. Die Risiken, die die Bank eingeht, müssen aber von den Betroffenen vor Ort ausgebadet werden. Das sind die Ärmsten der Armen, denen zu helfen der Auftrag der Weltbank ist.

Die Ausnahme als Regel

In ihren Präsentationen behauptet die Weltbank immer wieder, dass die neuen Standards stark bleiben und neue Aspekte aufnehmen würden. Dieser "Spin" kann verfangen, wenn man die zehn "Environmental and Social Standards" (ESS) oberflächlich betrachtet. Schaut man sich die ESS genau an, stellt man schnell fest, dass überall Hintertüren eingebaut sind, die vordergründig verbindliche Regeln aushebeln. In ESS 6 zu Biodiversität wird in Nr.17 durch die Formulierung "no other viable alternatives within the region exist for development of the project in habitats of lesser biodiversity value" der unbedingte Schutz von Lebensräumen bedrohter Arten wieder aufgegeben, obwohl er zuvor im gleichen Standard festgeschrieben wurde. Die Rechte Indigener Völker sollen in ESS 7 geschützt werden. Neu eingeführt wurde "free, prior informed consent" (FPIC) - eine Regel, die in der UN-Deklaration zu den Rechten Indigener Völker festgelegt wurde. Doch die starken Regelungen werden durch eine Opt-out Klausel für die Nehmerländer ad absurdum geführt. Danach können Nehmerländer auf Antrag die Anwendung von ESS 7 vermeiden, wenn dies angeblich zu sozialen Unruhen und Rassenkonflikten führe. Auch die Einführung des ESS 2 zu Arbeitsrechten ist nur vordergründig ein Fortschritt. Weder werden die ILO-Kernarbeitsnormen übernommen, noch gilt der Schutz für alle ArbeitnehmerInnen in einem Projekt. VertragsarbeiterInnen von Subunternehmen sind ausgeschlossen, obwohl in Großprojekten die Mehrzahl der ArbeiterInnen bei diesen beschäftigt ist. Generell ist es so, dass die Weltbank in den neuen Standards durchgehend jeden Bezug auf internationales Recht, UN-Konventionen etc. vermeidet. Die Weltbank ist nicht dazu bereit in die Standards ein Statement einzubeziehen, welches verhindert, dass die Bank dazu beiträgt, menschenrechtliche Verpflichtungen der Nehmerländer zu verletzen oder zu untergraben.

Weiter Druck machen

In der Konsultation Mitte November 2014 in Berlin mussten sich die Weltbank-Vertreter fast zwei Tage lang die geballte Kritik von NROs, WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen aus der Entwicklunsgzusammenarbeit anhören. Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) stellte gleich zu Beginn klar, dass es noch erheblichen Verbesserungsbedarf sehe. Es besteht also die Hoffnung, dass mit dem nötigen politischen und öffentlichen Druck die neuen Standards besser werden, als der erste Entwurf befürchten lässt. Es ist aber zweifelhaft, ob die Verbesserungen ausreichen, um wirklich gute neue Standards zu erreichen.


Autor Knud Vöcking ist seit 2002 Referent für Internationale Finanzinstitutionen mit Schwerpunkt Weltbank bei urgewald.


Anmerkungen

1. IEG, Safeguards and Sustainability Policies in a Changing World, An Independent Evaluation of the World Bank Group Experience, 2010.

2. urgewald hat zur IEG-Studie ein Briefing verfasst:
http://urgewald.org/sites/default/files/ieg_and_the_world_bank_safeguard_review.pdf

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014, Seite 31 - 32
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2015

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