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BERICHT/198: Steigende Einkommensungleichheit destabilisiert Weltwirtschaft (idw)


Hans-Böckler-Stiftung - 03.09.2009

Neue Analyse des IMK

Steigende Einkommensungleichheit destabilisiert Weltwirtschaft


Eine zentrale Ursache der Weltwirtschaftskrise ist die rasante Zunahme der Einkommensungleichheit in vielen Ländern, auch in Deutschland. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Ohne eine neue Verteilungspolitik bleibe die Wirtschaft weiterhin anfällig für Krisen, analysieren die Wissenschaftler in einer neuen Studie, die heute als IMK Report veröffentlicht wird.(*)

Das IMK dokumentiert, wie sich in den vergangenen Jahrzehnten die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommen sowie zwischen Arbeitseinkommen einerseits und Einkommen aus Gewinen und Kapitalerträgen andererseits immer weiter geöffnet geöffnet hat. International renommierte Ökonomen wie Jean-Paul Fitoussi und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz haben dies inzwischen als eine der Wurzeln der globalen Krise ausgemacht.

Ablesbar ist die Polarisierung an Indikatoren wie der Lohnquote oder am so genannten Gini-Koeffizienten, der anzeigt, wie gleich oder ungleich Einkommen verteilt sind. In den OECD-Ländern sinkt die Lohnquote seit den 1970er Jahren, seit Mitte der achtzigerJahre zeigt der Gini-Wert eine deutlich ungleichere Verteilung an. Als entscheidende Ursache der Polarisierung der Einkommen werden von vielen Ökonomen veränderte politische Machtverhältnisse gesehen: Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig, dass stärkere Gewerkschaften, koordinierte Lohnverhandlungen und Mindestlöhne zu einer egalitäreren Verteilung beitragen. Auch über die Steuerpolitik und öffentliche Güter - zum Beispiel Bildung - lässt sich die Verteilung beeinflussen. In vielen Ländern setzte die Politik aber Rahmenbedingungen so, dass sie eine zunehmende Spreizung der Einkommen begünstigten.

Deutschland war traditionell egalitärer als viele andere Industrieländer, befindet sich aber heute, gemessen am Gini-Koeffizient, etwas über dem OECD-Durchschnitt, zeigt die IMK-Analyse. Seit dem Jahr 2000 haben "in Deutschland Einkommensungleichheit und Armut stärker zugenommen als in jedem anderen OECD-Land", stellte die OECD jüngst fest. Auch gemessen an anderen Maßen wie der Lohnspreizung nahm die Ungleichheit in Deutschland sehr stark zu. Das IMK nennt atypische Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit oder Minijobs als wichtigen Grund für die gewachsene Lohnungleichheit. Hinzu kamen geringe gesamtwirtschaftliche Lohnsteigerungen, Leistungseinschränkungen in der Arbeitslosenunterstützung und der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, die steuerliche Entlastung insbesondere hoher Einkommen und Vermögen sowie die Belastung des privaten Verbrauchs über die Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Diese Entwicklung war zum Teil von angebotsorientierten Ökonomen und Politikern gefordert worden - mit dem Argument, sie helfe, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Dass die Schwächung von Arbeitsmarktinstitutionen zur Reduktion der Arbeitslosigkeit führt, darüber "ist sich die wissenschaftliche Literatur allerdings nicht einig, und viele empirische Forschungsergebnisse stellen diese Argumentation in Frage", betont das IMK. Der Erfolg dieser Maßnahmen sei auch in Deutschland äußerst beschränkt gewesen. Denn insgesamt schwächte die wachsende Ungleichheit die wirtschaftliche Entwicklung und sorgte für problematische Ausweichstrategien und globale Querverflechtungen, die die Wirtschaftskrise begünstigten, resümieren die Wissenschaftler.

In vielen Ländern fehlte wegen der wachsenden Ungleichheit eine solide finanzierte Binnennachfrage, so die IMK-Analyse. In den USA wurde versucht, dies durch höhere Kredite zu kompensieren. So blieb der Konsum lange Zeit kräftig. "Über Jahrzehnte sollten fehlende Realeinkommenssteigerungen und wohlfahrtsstaatliche Absicherung durch die Förderung von Wohneigentum und erleichterten Zugang zu Krediten kompensiert werden", schreiben die Wissenschaftler des IMK. Der vermeintliche Erfolg dieser Strategie erweise sich nun aber als "weitgehend illusionär". "Mit der Finanzkrise ist das Wachstums- und Sozialmodell der USA an offensichtliche Grenzen gestoßen."

Korrigiert werden sollte nach der Analyse des IMK aber auch die Wirtschaftsstrategie der Bundesrepublik im vergangenen Jahrzehnt. Hier reagierten viele Menschen mit Konsumverzicht auf zunehmende Einkommensungleichheit und mehrjährige Phasen mit Reallohnverlusten. Die schwache Nachfrage im Inland führte zu einer extrem starken Exportorientierung der Wirtschaft. Zugleich engagierten sich die deutschen Banken auf der Suche nach höheren Renditen stark auf ausländischen Anlagemärkten und kauften dort insbesondere verbriefte Immobilienkredite. "Im Ergebnis wurden die deutschen Banken stark von der amerikanischen Immobilienkrise erschüttert, obwohl die Kreditvergabe im Inland nach internationalen Maßstäben lange eher konservativ geblieben war", so das IMK.

Sollten sich die Einkommen weiterhin so unterschiedlich entwickeln, wird die Binnennachfrage schwach bleiben, prognostiziert das IMK. Damit bliebe Deutschland abhängig vom Export - und besonders anfällig für weitere Krisen. Es sei keine Option, "jene Verteilungspolitik, mit der im Vorfeld der Krise Druck auf Löhne und Einkommen ausgeübt wurde, während und nach der Krise fortzusetzen".

Um eine stabilere Entwicklung zu erreichen, halten es die Ökonomen für sinnvoll, die Position der Gewerkschaften bei Lohnverhandlungen zu stärken. Dazu gehörten ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn und die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifabschlüssen. Leiharbeit müsse so geregelt werden, "dass sie zwar zur Bewältigung von Auftragsspitzen attraktiv bleibt, jedoch nicht mehr gezielt zum Ersatz regulärer Beschäftigungsverhältnisse genutzt werden kann". Auch in der Steuerpolitik sei ein Strategiewechsel notwendig. "Dabei müssten Vermögen und höhere Einkoemmen stärker belastet und untere Einkommen etwas entlastet werden." Schritte in diese Richtung sind aus Sicht des IMK die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, eine höhere Erbschafts- und eine Vermögenssteuer. Zudem könnte der Spitzenstreuersatz der Einkommensteuer erhöht werden, wenn gleichzeitig der Tarif so gestreckt würde, dass die höheren Steuersätze erst bei höheren Einkommen erreicht werden als heute.

(*) Gustav Horn, Katharina Dröge, Simon Sturn, Till van Treeck, Rudolf Zwiener: Von der Finanzkrise zur Weltwirtschaftskrise (III): Die Rolle der Ungleichheit, IMK Report Nr. 41 September 2009.
Download: http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_41_2009.pdf

Infografik zum Download im Böckler Impuls 13/2009:
http://www.boeckler.de/32014_96757.html

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution621


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 03.09.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2009