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ENERGIE/1975: Preiskrieg um Öl - Folgen des niedrigen Ölpreises (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 3 vom 16. Januar 2015
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Preiskrieg um Öl
Der niedrige Ölpreis entzückt derzeit die Deutschen - aber er birgt enorme Probleme. Teil 2: Folgen des niedrigen Ölpreises

von Bernd Müller



Der niedrige Ölpreis entzückt die Deutschen: Für Autofahrer ist der Treibstoff schon lange nicht mehr so günstig gewesen und Hausbesitzer sparen Kosten für das Heizöl. Airlines zahlen weniger für Kerosin und die Industrie jubelt über gesunkene Energiekosten. Das billige Erdöl wirke wie ein Konjunkturprogramm, meint Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank. Unternehmen und Verbraucher müssten nicht mehr so viel Geld für Öl ausgeben und könnten deshalb mehr konsumieren und investieren.

Woran sich die Ölverbraucher heute erfreuen, birgt gleichzeitig enorme Probleme. Bleibt der Ölpreis über längere Zeit auf dem niedrigen Niveau von heute, wird er nicht nur Regionen destabilisieren, die auf hohe Preise angewiesen sind. Es wird zu einer Marktbereinigung kommen, die den Marktpreis für Öl in weit stärkerem Maße wieder nach oben treiben wird.


Kurzfristig wird der Preis nicht wieder steigen

Experten gehen davon aus, dass der Preis kurzfristig nicht wieder steigen wird. Steffen Bukold, Energieexperte und Leiter des Beratungsbüros EnergyComment, schreibt, dass derzeit jeden Tag etwa eine Million Fass Öl mehr produziert als verbraucht werden. Im nächsten Frühjahr, wenn die Nachfrage traditionell besonders schwach sei, könnten sogar die Lagerkapazitäten knapp werden. Nach Angaben des Handelsblattes sagen Experten für das erste Halbjahr 2015 ein Überangebot von täglich 1,5 Millionen Barrel voraus. Ein Preisverfall bis auf 20 US-Dollar pro Fass sei denkbar, merkt Paul Jackson, Analyseleiter der Anlagefirma Source, an.

Ein niedriger Ölpreis bedroht einerseits einen Teil der bestehenden Ölindustrie und verhindert auf der anderen Seite notwendige Investitionen, um den künftigen Ölbedarf zu decken.

Der Branchenverband Index, in dem vor allem kleinere Unternehmen organisiert sind, die von der Suche nach Öl und Gas vor der britischen Küste leben, warnt. "Wir stehen kurz vor einem Kollaps", sagte Robin Allan, Chef von Index. Beim derzeitigen Ölpreis sei es fast unmöglich, Geld zu verdienen, so Allan.

Auch Norwegens Ölindustrie ist von dem Preisverfall hart getroffen worden. Im letzten Jahr sind schon 100 000 Arbeitsplätze in der Ölindustrie verloren gegangen, was rund zehn Prozent aller Stellen entspricht. "Wir beginnen uns große Sorgen zu machen", sagte Hilde-Marit Rysst, Chefin der Öl-Gewerkschaft Safe. Der Energiekonzern Statoil hat bereits angekündigt, Investitionen auf Eis zu legen und seine Kosten bis zum Jahr 2016 um 1,3 Milliarden Dollar zu senken. Das norwegische Statistikamt erwartet einen Rückgang der Investitionen in der norwegischen Ölindustrie in 2015 um 14 Prozent.


Verlierer Fracking-Industrie?

Ein großer Verlierer wird die US-amerikanische Fracking-Industrie sein. Sie war in den letzten Jahren rasant gewachsen und hatte die USA zum größten Ölproduzenten der Welt gemacht. Auf ihren Boom hatten die USA die Hoffnung gesetzt, zu neuer weltweiter Dominanz zu kommen und unliebsame Regierungen in Ölförderländern wie Russland, Iran oder Venezuela stärker unter Druck setzen oder gar beseitigen zu können. Ein Ölpreis, der längere Zeit auf niedrigem Niveau verbleibt, könnte diese Hoffnung allerdings zunichte machen. Für Steffen Bukold ist klar, dass "nach und nach die teuersten Produzenten aus dem Markt ausscheiden" werden und dazu zählen auch viele Unternehmen, die in den USA im Fracking-Geschäft aktiv sind.

Analysten der Deutschen Bank rechnen damit, dass ab einem Preis von 60 Dollar je Barrel eine erste Pleitewelle beginnen könnte. Andreas Untermann, Mitglied der Geschäftsführung von Allianz Global Investors bestätigte dies in einem Gespräch mit dem Handelsblatt. Bei Fracking-Investments gebe es eine Gewinnschwelle von rund 60 US-Dollar, sagte er. Unter diesem Preis werden Bohrungen sofort gestoppt.

Das liegt daran, dass die Förderkosten der Fracking-Industrie in den USA relativ hoch sind. Sie hängen davon ab, ob sich das Bohrloch in einem Gebiet mit einem großen Vorkommen befindet oder eher am Rand einer ölführenden Gesteinsschicht. Hinzu kommt, dass die Bohrlöcher im Gegensatz zur konventionellen Ölförderung nur wenig ergiebig sind. Bereits nach einem Jahr lässt sie über 50 Prozent nach und zwingt die Unternehmen, laufend neue Ölquellen zu erschließen, wenn die Fördermenge gleich gehalten werden soll. So reicht die Bandbreite für Schieferöl in Nordamerika je nach Region von 45 bis 85 Dollar je Barrel. Das Unternehmen Goodrich Petroleum benötigt beispielsweise einen Ölpreis von 80 Dollar je Fass, um rentabel arbeiten zu können. Die Förderkosten auf etablierten Feldern wie dem Bakken Shale im Bundesstaat North Dakota oder Eagle Ford in Texas liegen im unteren Bereich. Ganz anders sieht es dagegen bei neuen Projekten in Tennessee oder Mississippi aus.

Ihr Wachstum haben die Ölunternehmen über Kredite und Anleihen finanziert. Nach einer Studie der Deutschen Bank haben US-amerikanische Energieunternehmen seit 2010 Anleihen im Wert von 550 Milliarden Dollar ausgegeben. Der sinkende Ölpreis hatte nicht nur negative Auswirkungen auf die Aktienkurse der Unternehmen, sondern setzte auch deren Anleihen unter Druck. Die Rating-Agentur Standard&Poors hatte kürzlich 95 Anleihen bewertet, die Energiefirmen vergeben hatten. Von ihnen erhielten 75 den Junk-Status - Schrottanleihe.

Dank der Anleihen war es den Unternehmen möglich, weit mehr Geld auszugeben, als sie einnahmen. 37 Ölunternehmen, deren Anleihen als sehr riskant gelten, gaben im Schnitt für jeden verdienten Dollar 2,11 Dollar aus. Bei Investoren, die im großen Stil Anleihen gekauft haben von Firmen wie Quicksilver Ressources Inc., Sanchez Energy Corp., Tervita Corp., Connacher Oil&Gas, Hercules Offshore oder Goodrich Petroleum, mehren sich die Sorgen. Es könne zum Ausfall der Anleihen kommen, sagte der Energieanalyst Hannes Loacker von der Raiffeisen Bank International gegenüber dem Handelsblatt. Das liege daran, dass einigen Konzernen bei niedrigen Ölpreisen schlicht der Cashflow fehle, um ihre Schulden zu bedienen.

Die Energiebranche der USA hat so viele riskante Anleihen ausgegeben wie keine andere. Aus Berechnungen der britischen Bank Barclays geht hervor, dass die Energieanleihen jetzt 15,3 Prozent des 1,3 Billionen Dollar schweren Marktes für Junk-Bonds ausmachen. Das ist viermal so viel wie vor 10 Jahren. Die Krise der Öl-Anleihen könnte auch auf Papiere aus anderen Branchen überspringen, warnen Marktteilnehmer in einem Artikel des Wall Street Journals. "Die Ölpreise haben den Energiesektor gebrochen, und das überträgt sich auf andere Sektoren", sagte der Anleihen-Investor Andrew Herenstein von Monarch Alternative Capital LP.

Von dem Rutsch des Ölpreises sind aber nicht nur kleine oder mittlere Unternehmen betroffen. Der US-Ökonom Gary Shilling weist darauf hin, dass auch die großen nordamerikanischen Energiekonzerne belastet sind. So habe sich der Kurs des kanadischen Ölsandproduzenten Canadian Oil Sands in wenigen Monaten mehr als halbiert. Die großen US-Energieunternehmen wie Conoco-Phillips kürzen bereits ihre Investitionen. Der Wert des größten US-amerikanischen Öl- und Gaskonzerns ExxonMobil ist in den vergangenen sechs Monaten um gut zehn Prozent gefallen. Chevron hat es noch stärker getroffen: Um fast 15 Prozent ist der Unternehmenswert gefallen. Aber auch europäische Unternehmen sind betroffen. So senkte Standard&Poors den Ausblick für die Kreditwürdigkeit der Ölkonzerne Royal Dutch Shell, Total und BP auf "negativ". Dem italienischen Konzern Eni droht ebenso eine Herabstufung.


Verdrängungswettbewerb

Steffen Bukold nennt das, was gerade auf dem Ölmarkt vor sich geht, einen Verdrängungswettbewerb. Der saudische Ölminister Ali Al-Naimi sprach es gegenüber dem Middle East Economic Survey offen aus: "Wir wollen der Welt sagen, dass es die hocheffizienten Förderländer sind, die die Marktanteile verdient haben." Und die saudische Strategie zeigt Wirkung.

Das britische Beratungsunternehmen Wood MacKenzie schätzt, dass in Europa insgesamt Entscheidungen über die Erschließung neuer Ölfelder im Volumen von 87 Milliarden Dollar anstehen. Viele der neuen Projekte seien bei dem derzeitigen Preisniveau aber nicht mehr profitabel und deshalb gefährdet. Die norwegische Beraterfirma Rystad Energy sagt, dass Ölprojekte im Wert von 150 Milliarden Dollar gestoppt werden könnten.

So werden in Kanada zum Bespiel mehrere Ölsand-Projekte auf Eis gelegt, wie das Joslyn-Ölsandprojekt des französischen Energiekonzerns Total oder das Corner-Projekt vom norwegischen Statoil. Shell denkt darüber nach, sein Draugen-Ölfeld in der norwegischen See ein Jahrzehnt früher als geplant zu schließen. Der größte private Ölkonzern Russlands, Lukoil, rechnet mit dem Förderrückgang in Russland von 525 auf 490 Millionen Tonnen binnen vier oder fünf Jahren. Viele Projekte seien auch hier wirtschaftlich nicht mehr machbar - auch weil moderne westliche Erkundungs- und Fördertechnologien wegen der Sanktionen nicht mehr zur Verfügung stehen.

Auch Bukold ist der Meinung, dass sich der Ölpreis nicht so schnell wieder erholen wird. Projekte, die schon produzieren oder auch nur durchfinanziert sind, werden weiter laufen. Nur dort, wo über neue Investitionen entschieden werden müsse, würde verschoben und gekürzt.

Doch diese neuen Projekte sollen im nächsten Jahrzehnt die immer noch steigende Ölnachfrage der Welt decken. Niedrige Preise heute würden deshalb zwangsläufig zu umso höheren Preisen in der Zukunft führen. Hinzu kommt, dass nach Ansicht der Internationalen Energieagentur (IEA) und anderer Experten 2020 der Schieferölboom der USA ausläuft. Gleichzeitig werde die Ölproduktion weltweit im Trend aufwändiger, riskanter, umweltschädlicher und teurer.

Ähnliches hat die IEA kürzlich in ihrem "World Energy Outlook 2014" festgestellt. Die konventionellen Öl-Lagerstätten sind bereits zu über 50 Prozent aufgebraucht und der Bedarf muss zunehmend aus unkonventionellen Quellen befriedigt werden. Für jedes Fass Öl, das künftig in den OECD-Ländern gespart werde, würden in den Nicht-OECD-Ländern zwei Fass verbraucht. So steige der Bedarf trotz aller Sparmaßnahmen von 90 Millionen Fass/Tag im Jahr 2013 auf 104 Millionen Fass/Tag im Jahr 2040. Bis Beginn der 2030er Jahre seien jährliche Investitionen von 900 Milliarden US-Dollar notwendig, um den künftigen Bedarf zu decken. Allerdings bestehen Zweifel, ob sie auch rechtzeitig verfügbar sind. Und das hat auch mit der westlichen Sanktionspolitik gegenüber Russland oder dem Iran zu tun.


Bernd Müller, Dipl.-Ing., freier Journalist

Weitere Informationen unter:
www.bernd-mueller.org


Teil 1 siehe im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → Infopool → Politik → Wirtschaft →
ENERGIE/1971: Preiskrieg um Öl - Russland verliert. Wer gewinnt? (UZ)

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 47. Jahrgang, Nr. 3 vom 16. Januar 2015, Seite 12
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2015


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