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FINANZEN/111: Wo staatliches Handeln an rechtliche Grenzen stößt (attempto! - Uni Tübingen)


attempto! 29/2010
Forum der Universität Tübingen
November 2010

Wo staatliches Handeln an rechtliche Grenzen stößt

Von Stefan Thomas


Die staatliche Bankenrettung war notwendig. Sie hat aber mit dem Wettbewerbsprinzip gebrochen. Wer groß und systemrelevant ist, dem wird geholfen. Das ist ein gefährliches Signal. Ebenfalls problematisch sind aber aktuelle Überlegungen, Risiken durch Entflechtung von Banken zu begegnen.


Nach der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers kam es auf der ganzen Welt innerhalb kurzer Zeit zur Schieflage weiterer Geldinstitute. Diese Kettenreaktion wirkte sich schnell auf die Realwirtschaft aus, weil diese von funktionsfähigen Kapitalmärkten abhängig ist. Einer der Hauptgründe für den Kollaps war die Systemrelevanz verschiedener betroffener Banken. Die Regierungen sahen als einziges Mittel zur Durchbrechung dieser Kausalkette die Rettung gefährdeter systemrelevanter Finanzinstitute. Ein solcher Vorgang ist in einer marktwirtschaftlichen Ordnung freilich nicht vorgesehen. Denn es ist Aufgabe des Wettbewerbs, dafür zu sorgen, dass ineffiziente Teilnehmer aus dem Markt ausscheiden. Zum erfolgreichen Wirtschaften gehört es auch, sich gegen Krisen zu wappnen. Der Staat handelte aber gleichsam in ordnungspolitischer Notwehr, um weitere volkswirtschaftliche Schäden zu verhindern. Es hat sich daher ein eigenartiger Mechanismus manifestiert: Je größer die Risiken sind, die im Fall der Insolvenz eines Unternehmens von diesem für die Volkswirtschaft ausgehen, desto eher kann es darauf vertrauen, dass es in diesem Worst Case unter staatlichen Schutz gestellt wird. Ist diese »Too-big-to-fail«-Doktrin, wie sie im englischen Sprachraum griffig heißt, also ein probates Mittel, um mit systemischen Risiken, namentlich im Finanzsektor, umzugehen?


Eine gefährliche Botschaft

Dagegen sprechen schon die ganz erheblichen Kosten solcher Maßnahmen für die Staatshaushalte. Noch viel bedeutsamer ist aber die gefährliche Signalwirkung, die von diesen Rettungsaktionen ausgeht. Sie verspricht denjenigen Finanzinstituten eine Überlebensgarantie, die eine systemische Relevanz besitzen. Eine »Too-big-to-fail«-Politik setzt mithin den Anreiz, sich als Unternehmen gezielt in der Weise aufzustellen, dass die von einem selbst ausgehenden Risiken beträchtlich wachsen. Es ergibt sich daraus die Möglichkeit einer Flucht in die Verantwortung (des Staates). Dies verfälscht den Wettbewerb. Konkurrenten, die Risiken meiden und dadurch auf Gewinnchancen verzichten, sind im Nachteil. Sie dürfen nicht auf staatlichen Schutz hoffen. Das macht sie als Geschäftspartner mitunter weniger attraktiv als die systemrelevanten Marktteilnehmer. Denn diese versprechen trotz der von ihnen ausgehenden Risiken eine höhere Krisensicherheit als jene.

Die »Too-big-to-fail«-Doktrin ist also keine Lösung für künftige Krisen. Deshalb herrscht international Einigkeit darüber, dass durch eine effizientere Regulierung präventiv gewirkt werden muss. Zu Recht haben sich die G-20-Staaten in ihrer Abschlusserklärung von Pittsburgh darauf verständigt, dass systemrelevante Banken künftig einer schärferen Aufsicht zu unterstellen sind. Es geht darum, das »Failing« von vornherein zu verhindern und Kettenreaktionen möglichst auszuschließen. Dies betrifft namentlich die Regulierung bestimmter Finanzprodukte, die Ausgestaltung von Vergütungspraktiken oder die Kontrolle von Hedgefonds. Von zentraler Bedeutung sind schärfere Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung und eine bessere Überwachung von Rating-Agenturen. Die betreffenden Maßnahmen bedeuten zwar teils erhebliche Beschränkungen für die Betätigung an den Finanzmärkten. Sie lösen aber bei international koordinierter Umsetzung keine spezifischen Wettbewerbsverfälschungen aus, weil sie für alle Marktteilnehmer in gleicher Weise gelten.


Problematische Instrumente

In den USA ist ein weiterer Schritt erfolgt, der sich auf das Problem des »Too-big« bezieht. Der von Präsident Barrack Obama am 21. Juli 2010 unterzeichnete »Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act« enthält eine Regelung zur Entflechtung systemrelevanter Banken. Der Staat hat damit grundsätzlich die Befugnis erlangt, solche Finanzinstitute zur Veräußerung von Unternehmensteilen zu zwingen. Dadurch würden deren Größe und - so die Erwartung - Risiko für die Stabilität des Finanzsystems verringert. Auch in Deutschland wird aktuell ein ähnliches Instrument diskutiert. Die Bundesregierung plant zum einen auf Initiative der FDP, eine Vorschrift in das Kartellgesetz einzuführen, die es dem Bundeskartellamt erlauben würde, marktbeherrschende Unternehmen zu zerschlagen, wenn von ihnen unerwünschte Wirkungen auf den Wettbewerb ausgehen. Ferner wird im Entwurf eines »Restrukturierungsgesetzes« erwogen, zusätzlich zu diesem kartellrechtlichen Zerschlagungsinstrument eine bankenspezifische Entflechtungsvorschrift, vergleichbar mit dem US-Vorbild, auch hierzulande einzuführen.

Solche Entflechtungsinstrumente sind problematisch. Zunächst ist nicht erkennbar, dass sich hierzu international oder auf EU-Ebene ein einheitlicher Rechtsrahmen schaffen lässt. Nationale Lösungen würden aber nur die Geschäftschancen nationaler Banken beschränken. Globale Risiken durch ausländische Banken mit Systemrelevanz ließen sich nicht erfassen. Es käme möglicherweise zu einer (weiteren) Verlagerung von Bankgeschäften ins Ausland. Der wirtschaftliche Schaden der Banken, der ihnen durch die Entflechtung entsteht, müsste durch den Staat - und damit wiederum den Steuerzahler - ausgeglichen werden, soweit er nicht durch den Verkaufserlös der veräußerten Unternehmensteile gedeckt ist, wovon nicht prinzipiell auszugehen ist.


Verfälschung des Wettbewerbs

Abgesehen davon müsste der Begriff der Systemrelevanz gesetzlich klar definiert werden. Das ist wegen der vielfältigen Risiken, die zu erfassen wären, nur schwer möglich. Es kann auch nicht einer Aufsichtsbehörde zukommen, nach freiem Ermessen darüber zu entscheiden, welche Banken sie spaltet. Dafür ist der Eingriff zu schwerwiegend. Das Eigentum an Unternehmen steht in Deutschland unter dem Schutz des Artikels 14 Grundgesetz. Unternehmen sind keine freie Zugriffs- und Gestaltungsmasse des Staates. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass es keine milderen Mittel gibt, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Es bestehen aber erhebliche Zweifel, ob eine Entflechtungsregel überhaupt zur Lösung des Problems geeignet ist. Außerdem steht als milderes Mittel eine Verschärfung der Banken- und Kapitalmarktregulierung zur Verfügung, woran weiterhin gearbeitet wird.

Eine Entflechtungsmöglichkeit birgt aber vor allem die Gefahr, ihrerseits den Wettbewerb zu verfälschen. Ebenso wenig wie der staatliche Schutz großer Unternehmen garantiert sein kann, dürfen die Innovationskräfte des Wettbewerbs durch die Androhung einer künftigen Zerschlagung gelähmt werden. Nach dem Wettbewerbsmodell des bisherigen deutschen Kartellgesetzes gibt der Staat nur die Spielregeln vor. Die Ergebnisse erzielen aber die Marktteilnehmer alleine. Solange sich die Teilnehmer an die Regeln halten, wird weder das Verhalten noch das Marktergebnis durch den Staat korrigiert. Aus gutem Grund haben sich die Väter des Kartellgesetzes 1957 gegen eine Entflechtungsbefugnis entschieden. Eine solche hatte der »Josten-Entwurf« - ein Gesetzgebungsvorschlag für ein erstes deutsches Nachkriegskartellgesetz - noch enthalten. Es ist nämlich nicht die Aufgabe des Staates, die Unternehmen durch eine abstrakte kartell- oder bankrechtliche Entflechtungsandrohung dazu anzuhalten, selbständig bestimmte, vom Staat gewünschte Marktergebnisse herbeizuführen. Hierdurch steigt die Gefahr politischer Einmischung in die Wettbewerbsprozesse. Die politischen Ansichten über das richtige Maß an Wettbewerb und Risiko gehen bekanntlich auseinander. Die aktuelle Diskussion über die Laufzeit von Atomkraftwerken zeigt, wie schnell scheinbare politische Grundüberzeugungen sich wandeln können. Ein Entflechtungsinstrument böte in der Wirtschaftspolitik die Verlockung, durch eine bislang undenkbare marktstrukturelle Eingriffstiefe vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Finanzmärkte hätten mit einem neuen Risiko zu kämpfen: einem politischen.


Stefan Thomas ist seit Dezember 2009 Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Wettbewerbs- und Versicherungsrecht an der Universität Tübingen. 2004 bis 2006 war er als Rechtsanwalt im Düsseldorfer Büro einer internationalen Anwaltskanzlei in der Abteilung Kartellrecht tätig. Hauptarbeitsgebiete von Stefan Thomas sind das Wirtschafts-, Kartell- und Versicherungsrecht.


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Quelle:
attempto!, November 2010, S. 16-17
Zeitschrift der Eberhard Karls Universität Tübingen und der
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attempto! erscheint zweimal jährlich zu Semesterbeginn


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2011