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FORSCHUNG/831: Ein Kleiderschrank voll Peinlichkeiten (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 27.11.2015

Ein Kleiderschrank voll Peinlichkeiten

Wirtschaftswissenschaftler der Universität Jena entwickeln Instrument zur Messung von Markenverlegenheit


Es ist Waschtag und das einzig saubere T-Shirt hat einen großen Aufdruck von der Marke, die vor einiger Zeit noch gefragt war, jetzt aber nur noch peinlich ist. Was tun? Warten bis der Wäschetrockner fertig ist und zu spät zu der geplanten Verabredung kommen oder das T-Shirt einfach anziehen?
Wie man sich in einer solchen Situation entscheidet, hängt von der persönlichen Markenverlegenheit ab, der sogenannten "Brand Embarrasment Tendency (BET)". So bezeichnen Wirtschaftsforscher das Gefühl von Scham und Peinlichkeit, das beim Benutzen bestimmter Marken ausgelöst wird. Diese Eigenschaft hat Prof. Dr. Gianfranco Walsh von der Friedrich-Schiller-Universität Jena zusammen mit Jenaer Kollegen sowie Partnern der Florida State University (USA), University of Strathclyde (UK) und Keio University (Japan) nun genauer untersucht. Seine Ergebnisse hat das internationale Forscherteam kürzlich im "Journal of Business Research" veröffentlicht.


Bisher konzentrierte sich die Wissenschaft allein auf den positiven Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Marken. "Dabei wurde vernachlässigt, dass auch negative Gefühle wie Scham mit Marken verknüpft sein können", sagt Prof. Walsh und ergänzt: "Diese Gefühle können einen starken Einfluss auf die Entscheidung haben, eine Marke zu kaufen."

Peinlichkeit ist ein intensives negatives Gefühl und entsteht aus der Sorge, dass andere Personen negativ über einen selbst urteilen könnten. Dabei ist diese Sorge bei einigen Menschen stärker ausgeprägt als bei anderen. Gerade beim Kauf bestimmter Markenkleidung stelle sich häufig die Frage, wie das Umfeld reagiert. Das Forscherteam stellte bei seinen Untersuchungen fest, dass Konsumenten häufig Teile ihrer Identität über die Kleidung kommunizieren. So wiege das Gefühl von Peinlichkeit hier schwerer, da es als Bedrohung der eigenen Identität wahrgenommen wird, macht Prof. Walsh deutlich. Werde etwa eine günstige Marke gewählt, könne die Sorge entstehen, dass das "Billig-Image" der Marke auf die Person übertragen wird.

"Was aber letztlich als peinlich angesehen wird, hängt vom Individuum und dessen Referenzgruppe ab. Bei ökologisch bewussten Konsumenten kann die Verwendung von Marken, die dafür bekannt sind, verschwenderisch mit Ressourcen umzugehen, Peinlichkeit auslösen", sagt Arne Albrecht, Mitarbeiter am Jenaer Marketing-Lehrstuhl und Co-Autor der Studie.

Um zu untersuchen, welche Konsumenten mit größerer Wahrscheinlichkeit Markenverlegenheit entwickeln und welche spezifischen Marken ein solches Gefühl auslösen, entwickelte das Team um Prof. Walsh ein Instrument, mit dem die BET gemessen werden kann. Anhand mehrerer Interview- und Fragebogenstudien, die sowohl in Deutschland als auch den USA durchgeführt wurden, kamen die Forscher zu einem Katalog aus neun Fragen, die darüber Auskunft geben, wie stark die Markenverlegenheit ausgeprägt ist. So mussten die Probanden zum Beispiel auf Skalen bewerten, ob es ihnen vor ihren Freunden u. a. peinlich ist, Kleidung vom Discounter zu tragen oder ob sie in der Öffentlichkeit eher zum Markenprodukt greifen als zu Hause.

Da das entwickelte Messinstrument zudem markenspezifisch anwendbar ist, kann das "Peinlichkeitspotenzial" einer bestimmten Marke gemessen werden. Von den im Rahmen der Studie untersuchten Marken waren "Ed Hardy" und "Lonsdale" die als peinlich bewerteten Marken, während u. a. "Adidas" und "Esprit" nicht als peinlich eingestuft wurden.

Damit einher geht die Kaufabsicht, denn Kunden, denen bestimmte Marken peinlich sind, sehen von einem Kauf dieser ab. "Wir konnten zeigen, dass peinliche Kleidung nicht einfach nur ein Problem verunsicherter Teenager ist, sondern für ein Unternehmen ein echtes Imageproblem mit weitreichenden Konsequenzen darstellt", so Albrecht.

Mit dem von Prof. Walsh und seinen Kollegen entwickelten Messinstrument haben Wissenschaftler nun nicht nur die Möglichkeit, positive Markenbeziehungen zu untersuchen, sondern auch Marken, die mit negativen Emotionen verknüpft sind. "Aber auch Praktiker können das Instrument nutzen, um die eigenen Kunden und die eigene Marke besser zu verstehen", sagt Gianfranco Walsh.


Original-Publikation:
Walsh G. et al.: Developing and validating a scale of consumer brand embarrassment tendencies.
Journal of Business Research,
doi:10.1016/j.jbusres.2015.08.029


Weitere Informationen unter:
http://www.uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution23

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Bianca Wiedemann M.A., 27.11.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2015

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