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FORSCHUNG/932: Wie Privathaushalte die Konjunktur abwürgen können (idw)


Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn - 04.02.2019

Wie Privathaushalte die Konjunktur abwürgen können


Wie rasch sich die Konjunktur nach einem wirtschaftlichen Schock erholt, hängt auch vom Verhalten der privaten Haushalte ab. Mit einem komplexen theoretischen Modell wies der Ökonom Prof. Dr. Christian Bayer von der Universität Bonn mit seinem Team nach, dass eine wachsende Einkommensunsicherheit privater Haushalte zu einem wirtschaftlichen Abschwung führen kann. Anhand des Modells lassen sich auch die Handlungsoptionen des Staates aufzeigen und ihre Konsequenzen für die Konjunktur berechnen: Staatliche Investitionen können die Wirtschaft ähnlich stabilisieren wie Zinssenkungen, aber mit günstigeren Verteilungswirkungen. Die Studie ist nun im Fachjournal "Econometrica" erschienen.

Neben Großkonzernen und Banken mit Milliardenumsatz mögen private Haushalte wie der ökonomische David gegenüber einem Goliath wirken - doch ist ihr wirtschaftlicher Einfluss nicht zu unterschätzen. "Wenn die Mehrheit der Haushalte ähnliche ökonomische Entscheidungen trifft, kann sich das sehr wohl auf die Ökonomie eines Landes oder sogar weltweit auswirken", ist Prof. Dr. Christian Bayer vom Institut für Makroökonomie und Ökonometrie der Universität Bonn überzeugt. Mit einem Team aus Doktoranden hat der Wissenschaftler in jahrelanger beharrlicher Forschungsarbeit ein komplexes ökonomisches Modell entwickelt und damit untersucht, wie Schwankungen in der Einkommensunsicherheit der privaten Haushalte die Konjunktur beeinflussen. Das Wissenschaftlerteam nutzte öffentlich zugängliche Wirtschaftsdaten der USA von den 1980er Jahren bis 2015.

Diese Daten veranschaulichen eine dynamische Entwicklung. "Die Risiken der privaten Haushalte schwanken erheblich im Zeitverlauf", sagt Bayer. "Wir zeigen in unseren Berechnungen, dass ein Anstieg der Einkommensunsicherheit zu einem konjunkturellen Abschwung führen kann." Anhand der Daten vollziehen die Forscher nach, dass steigende Einkommensunsicherheit etwa durch drohende Arbeitslosigkeit oder strukturellen Wandel dazu führt, dass die Haushalte mehr auf die hohe Kante legen. Führt dieses "Vorsichtssparen" dazu, dass Geld bei den Banken gehortet und nicht wieder investiert wird, hat dies zur Folge, dass deutlich weniger Güter und Dienstleistungen nachgefragt werden. Dies beeinflusst wiederum die Gesamtwirtschaft negativ, weil mangelnde Nachfrage zu einem Konjunkturknick führt.

Das Vorsichtssparen ist vor allem für Haushalte mit einem geringeren Einkommen typisch. "Topverdiener können dagegen von hoher Einkommensunsicherheit sogar profitieren", sagt Bayer. Denn die Folge eines wirtschaftlichen Abschwungs und der damit verbundenen sinkenden Nachfrage ist häufig ein Verfall der Preise von Häusern und Eigentumswohnungen. Haushalte mit einem hohem Einkommen und schon großen Vermögen sind meist viel besser vor Einkommensrisiken geschützt, können die Gunst der Stunde nutzen und günstig Immobilien erwerben, die in konjunkturell besseren Zeiten eine Rendite abwerfen.

Eine zentrale Frage der Forscher ist, wie Staaten am besten steuernd auf schwankende Einkommensrisiken der privaten Haushalte reagieren, um Konjunktureinbrüche durch mangelnde Nachfrage zu verhindern. Die Wissenschaftler haben mit ihrem Modell verschiedene Szenarien durchgerechnet. Ziel der Stabilisierungspolitik ist es zu vermeiden, dass die privaten Haushalte Geld auf den Konten horten und damit die Nachfrage abwürgen. "Das Vorsorgesparen kann verhindert werden, indem es durch niedrige Zinsen unattraktiv gemacht wird", führt Bayer aus. Eine weitere Möglichkeit ist, dass der Staat Anlagemöglichkeiten für die sparenden privaten Haushalte schafft. "Entscheidend ist dann aber, dass das angesparte Geld wieder investiert wird, um Nachfrage zu schaffen", erläutert der Ökonom der Universität Bonn. Der Staat investiert dann stellvertretend für die Geld hortenden Sparer.

Annahme: Brücke bauen und sofort wieder sprengen

Die Wissenschaftler verglichen in ihrem Modell die Effekte der beiden Szenarien. Pumpt der Staat mehr Finanzmittel zum Beispiel in neue Straßen und Brücken, dann haben nicht nur die beteiligten Firmen mehr Geld in der Tasche. Die bessere Infrastruktur hat weitere positive Effekte, unter Umständen auf neue Gewerbeansiedlungen. "Solche zusätzlichen Wirkungen einer Investition lassen sich aber nur sehr schwer abschätzen", erläutert Bayer. Die Forscher begaben sich bei ihren Berechnungen deshalb auf die ganz sichere Seite und blendeten solche Zusatzeffekte komplett aus. Sie berücksichtigten nur die direkte Wirkung der Investition, so als würde eine Brücke gebaut und anschließend sofort wieder gesprengt.

Überraschendes Ergebnis: "Die Berechnungen zeigen, dass solche staatlichen Investitionen sich genauso günstig auf den Konjunkturverlauf auswirken wie Zinssenkungen, aber bessere Verteilungswirkungen haben", berichtet Bayer. Der Grund ist, dass durch solche staatlichen Konjunkturspritzen die Zinsen hochbleiben und sich das Vorsorgesparen lohnt. Insbesondere ärmere Haushalte, die, wenn überhaupt, auf einem Sparbuch oder Tagesgeldkonto sparen, profitieren hiervon. Gleichzeitig wird die Nachfrage durch die öffentlichen Investitionen angekurbelt. Die privaten Haushalte können sich also durch Sparen ein finanzielles Polster verschaffen, ohne dass dies der Konjunktur schadet.

Innovative Ansätze

Der Europäische Forschungsrat (ERC) hat die Studie durch einen Starting Grant gefördert. Die Arbeit verfolgt innovative Ansätze: "Wir mussten erst geeignete mathematische Methoden entwickeln, um die sehr komplexen ökonomischen Zusammenhänge auf eine handhabbare, aber realitätsnahe Basis herunter zu brechen", sagt Bayer, der solche ausgefeilten Instrumente auch am Hausdorff Zentrum für Mathematik (HCM), einem Exzellenzcluster der Universität Bonn, bearbeitet.


Originalpublikation:
Christian Bayer, Ralph Luetticke, Lien Pham-Dao and Volker Tjaden:
Precautionary Savings, Illiquid Assets, and the Aggregate Consequences of Shocks to Household Income Risk,
"Econometrica",
DOI: https://doi.org/10.3982/ECTA13601

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution123

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 04.02.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2019

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