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FRAGEN/015: "Rio+20 wird ein Gipfel der Beliebigkeit" - Interview mit Achim Brunnengräber (spw)


spw - Ausgabe 2/2012 - Heft 189
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

"Rio+20 wird ein Gipfel der Beliebigkeit"
Interview mit Achim Brunnengräber

Die Fragen stellte Michael Reschke



SPW: Im Juni diesen Jahres wird der Rio 20+ Kongress der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung stattfinden und soll 20‍ ‍Jahre nach der bedeutsamen Konferenz von 1992 die großen Fragen globaler Umwelt und Entwicklung thematisieren und eine Zwischenbilanz ziehen. Konnten mit dem Paradigma "nachhaltiger Entwicklung" Erfolge in der Bewältigung sozialer, ökonomischer und ökologischer Problemlagen erzielt werden?

A.B.: Der gute Geist von Rio 1992 war von Hoffnungen auf die Friedensdividende, die Lösung drängender globaler Probleme und die internationale Kooperation geprägt. Das sollte im Konzept einer global governance politisch-strategisch - nicht zuletzt durch die Reformierung und Neuschaffung internationaler Institutionen - auch umgesetzt werden. Die damals geäußerten Hoffnungen auf eine neue Weltwirtschafts-, Weltfinanz-, Weltentwicklungs- oder Weltumweltordnung wurden aber enttäuscht. Auch die Bilanz der Millennium Development Goals (MDG), die im Jahr 2000 von der UN beschlossen wurde, ist mehr als dürftig. Die 1992 in Rio verabschiedete Konvention zum Schutz der Biodiversität hat es nicht verhindern können, dass der Raubbau an der Natur voranschreitet. Und auch das umweltpolitische Vorzeigeregime der UN zum Klimaschutz erlebte in Kopenhagen, Cancún und Durban ein einziges Desaster: es wurde nur vertagt, nicht gehandelt. Nach der Veröffentlichung des Stern-Reports und des Films "An inconvinient truth" von Al Gore stand die Klimakrise ganz hoch auf der nationalen wie internationalen Agenda. Das aber war vor der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise.

Rio+20 findet zu einer Zeit statt, in der diese Krisen aber omnipräsent sind. Diskussionen wie in den 1990er Jahren, dem Jahrzehnt der UN-Weltkonferenzen, finden nicht mehr statt. Die umweltpolitischen Themen, so dringlich sie auch sein mögen, werden den soft issues zugeordnet und von der Krise des Marktes verdrängt. Die Ursachen des Klimawandels sind aber alles andere als beseitigt. Im Jahr 2010 werden so viele Emissionen freigesetzt wie nie zuvor und erstmals seit der Jahrtausendwende steigen die Emissionen der G20 stärker als das Wirtschaftswachstum. Selbst in der EU, die sich als Klimavorreiter präsentiert, steigen die Emissionen im Jahr 2010 um 1,9 Prozent an und damit noch schneller als das BIP, das um 1,8 Prozent zulegte. Die Kyoto-Instrumente verfehlen ganz offensichtlich ihre Wirkung.

Hingegen scheinen andere Entwicklungen auch die kleinsten Fortschritte der vergangenen Jahre im sozialen und ökologischen Bereich zunichte zu machen. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass der steigende Energiebedarf der Industrie- und Schwellenländer die Ernährungskrise verschärft. Denn es werden im großen Stil aus Nahrungsmitteln Treibstoffe hergestellt, um die individualisierten Mobilitätsbedürfnisse der globalen Mittel- und Oberschichten zu befriedigen. Agrotreibstoffe führen aber nicht nur zu Konflikten zwischen Teller und Tank, sondern vielerorts zu einer beschleunigten Zerstörung der Regenwälder mit allen damit verbundenen sozialen und ökologischen Folgen. Klima- und Umweltschutz in den Industrieländern geht außerdem mit der Verlagerung von besonders umweltschädlichen Produktionsprozessen in die Entwicklungs- und Schwellenländer einher. Die viel gepriesene green economy im globalen Norden wird im globalen Süden zur dirty economy. Hierin zeigt sich auf dramatische Weise der multiple Charakter der Krise, also das Ineinandergreifen von Klima-, Energie-, Ernährungs-, Finanz- und Weltwirtschaftskrise. Die Zusammenhänge aber werden kaum beachtet.

SPW: Mit den populären Ideen einer green economy und eines Green New Deal scheint sich der Diskurs in den letzten Jahren von der Annahme von Grenzen des Wachstums zu Gunsten einer Verbindung von Wachstum und Nachhaltigkeit verschoben zu haben. Wie stellt sich Ihnen der Diskurs dar und wie bewerten Sie ihn?

A.B.: Die Diskursmacht einer green economy darf nicht unterschätzt werden. Aus der multiplen Krise wird ein erhöhter Handlungsdruck abgeleitet und die Konzepte einer green economy werden als Krisenbewältigungsstrategien angepriesen. Aber mit welcher Botschaft? Die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie wird als möglich erachtet. Die Debatten in den 1970er Jahren um die Grenzen des Wachstums und in den 1990er Jahren zur nachhaltigen Entwicklung werden zu green growth, zu grünem Wachstum. So wird die Krise zur Erneuerung des Wirtschaftssystems umdeklariert, ohne dass sich in der Substanz viel ändert.

Einige Anzeichen dafür gibt es zwar. Der Ausbau erneuerbarer Energien schreitet, wenn auch von niedrigem Niveau aus, weltweit voran, der Markt für Umwelttechnologien boomt, rund um den Globus entstehen green jobs oder neue Mobilitätskonzepte werden erprobt. Darin sieht der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltfragen (WBGU 2011) bereits Anzeichen einer great transformation. Aber die Einschätzung, dass eine green economy schon im Entstehen begriffen ist, erscheint mir zu optimistisch.

Geht es nicht gerade wieder in die umgekehrte Richtung? Krisenbedingt wird die Förderung der erneuerbaren Energien in Deutschland oder Spanien wieder zurückgefahren. Der Ausbau der Stromnetze stößt auf erhebliche Schwierigkeiten. Die Beimischungsquote der EU für Agrotreibstoffe führt zu den oben beschriebenen sozialen Verwerfungen. Die geostrategischen Spannungen nehmen auf Grund der Begrenztheit und der hohen Kosten der fossilen Energien extrem zu. Gleichzeitig wird es auf Grund der hohen Spritpreise immer profitabler, den Abbau der klimaschädlichen Teersande in Kanada oder Tiefseebohrungen zur Gewinnung neuer Ölreserven zu finanzieren. Der globalisierte imperiale way of life, der mit dem herrschenden Wirtschaftssystem möglich scheint, wird unter allen Umständen fortgeschrieben.

Eine great transformation ist aber nicht lediglich eine Steuerungsaufgabe oder ein Governance-Problem, die durch eine ökologische Modernisierung, also größere Energieeffizienz, marktwirtschaftliche Instrumente oder technologische Innovationen ausgelöst werden kann. Wie schwierig dies ist und welche Beharrungskräfte gegen diese Entwicklung agieren, zeigt die Energiewende, die nicht in Gang kommen will. Karl Polany beschrieb die große Transformation als Übergang von den feudal geprägten Gesellschaften hin zu den kapitalistischen Industriegesellschaften. Sie müsste demnach mit einem tief greifenden Wandel der (imperialen) Lebens- und Produktionsweise einhergehen. Transnationale soziale Kämpfe und zivilgesellschaftliche Auseinandersetzungen um Produktions- und Lebensweisen im Übergang vom fossilistischen zum nachhaltigen Entwicklungspfad wären dann zentraler Bestandteil einer great transformation.

SPW: Welche Beschlüsse erwarten Sie von Rio 20+? Welche Verbindlichkeit und politische Orientierungskraft versprechen Sie sich von der diesjährigen Konferenz?

A.B.: Rio+20 wird ein Gipfel der Beliebigkeit. Wege aus der multiplen Krise wird er nicht aufzeigen können. Dafür bleiben die bisher vorgelegten Entwürfe der Abschlusserklärung zu vage. Die green economy wird als decision-making framework definiert. Sie hat das Ziel, grüne Jobs und win win-Lösungen zu ermöglichen. Neue Handelsbarrieren aber sollen nicht aufgebaut werden. Vor allem aber bleiben bestehende Interessengegensätze, Macht- und Konkurrenzverhältnisse und Konflikte, die sich gerade in Krisenzeiten deutlich artikulieren, unberücksichtigt. Es ist doch offensichtlich, dass viele Vorstellungen der Nationalstaaten, die sich im globalen Wettbewerb positionieren müssen, auseinander laufen: zu unterschiedlich sind die Vorstellungen darüber, welche Bedeutung staatlicher Steuerung im Verhältnis zu den Marktkräften eingeräumt wird, welche Rolle die Privatwirtschaft spielen soll oder welche ordnungspolitischen oder marktwirtschaftlichen Instrumente die great transformation anregen sollen. Dennoch könnte die green economy zum Leitgedanken mit einiger Ausstrahlungskraft werden; aber nicht entsprechend einer anspruchsvollen nachhaltigen Entwicklung, sondern für eine diskursive Krisenentschärfung und zur Schaffung neuer profitabler Märkte. Die Krisenursachen sind dann schnell vergessen.

Eine green economy wird den wirtschaftlichen Interessen entsprechend interpretiert, noch ehe eine - ja durchaus notwendige - gesellschaftlich und global ausgerichtete Generaldebatte hätte ausgelöst werden können. Das ist im Vorfeld von Rio plus 20 gar nicht gewollt. Im Vorbereitungsprozess werden Widersprüchlichkeiten zwischen Ökonomie, Sozialem und Ökologie nicht thematisiert, das haben solche globalen Großereignisse noch nie getan; es überwiegt der appellative Charakter. Letztendlich soll jede nationale Regierung entscheiden, welche Maßnahmen zu einer green economy führen sollen. Doch die Aufmerksamkeit und Handlungsspielraum für soziale und ökologische Probleme ist besonders in Krisenzeiten bekanntlich gering. Nicht die Lösung globaler Menschheitsprobleme, wie es der Leitgedanke vor 20 Jahren in Rio war, bewegt zum Handeln, sondern die Frage, wie neues Wachstum generiert werden kann, um die Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise bewältigen zu können. Die multiple Krise hat doch längst ihren Schatten über Rio+20 geworfen.


Dr. Achim Brunnengräber ist Privatdozent am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2012, Heft 189, Seite
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2012