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INTERNATIONAL/016: Der Unctad-Bericht zur wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5/6, November/Dezember 2010

Neues Spielfeld veränderte Regeln
Der Unctad-Bericht zur wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas

Von Hein Möllers


Der Gipfel der G20-Staaten in Seoul Anfang November war ein deutliches Zeichen: Die Hegemonie der Industriestaaten im Westen bzw. Norden ist vorbei. Sie kommen an den neuen Mächten - allen voran China, Indien, Brasilien, Indonesien und Südafrika - nicht mehr vorbei. Die Macht auf dem Globus verteilt sich neu. Davon kann Afrika profitieren.


Die Weltwirtschaft ist im Umbruch. Nicht nur wegen der Krise, die macht es nur deutlicher. Die Schwellenländer haben an Gewicht gewonnen und spielen nun auf der Bühne mit, die sich bisher der exklusive Klub der G 7/8 vorbehalten hat. Die Wachstumspole haben sich aus den klassischen Industrieländern in den Süden verlagert. Afrika - sieht man einmal von Südafrika ab - gehört noch nicht dazu. Der Kontinent bleibt trotz wirtschaftlicher Erfolge vor allem Objekt und weniger Gestalter des globalen Kapitalismus.

Doch die Tatsache, dass Schwellenländer immer stärker in globale Entscheidungsgremien drängen und auf dem afrikanischen Markt mit den alten Kolonialmächten und den USA sowie Japan konkurrieren, bringt Afrika in eine andere Verhandlungsposition. Die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas unter veränderten Bedingungen analysiert der jüngste Bericht von Unctad "South South Cooperation: Africa and the New Forms of Development Partnerships".

Die intensivierten Wirtschaftsbeziehungen mit China, Indien oder Brasilien verringern die Abhängigkeiten Afrikas von ihren nördlichen Partnern. In der Unctad-Analyse heißt es dazu: "Aufgrund der Tatsache, dass die Beziehungen zum Süden auf dem Prinzip der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten basieren, haben sich für die afrikanischen Staaten größere politische Spielräume eröffnet; der Einfluss der traditionellen Partner auf innere und regionale Angelegenheiten hat sich dementsprechend verringert."

Die Analyse vergisst nicht zu erwähnen, dass diese Entwicklung zum Teil auch zu Lasten der Menschenrechte geht, merkt aber an, dass dies den Norden noch nie von Waffengeschäften und Kollaboration mit afrikanischen Diktaturen und Regimen abgehalten hat, wenn sie dem wirtschaftlichen Vorteil galten.

Dieser Vorteil bleibt aber entwicklungspolitisch begrenzt, solange die afrikanischen Länder es nicht schaffen, die Vielzahl der bi- und multilateralen Abkommen und Beziehungen zum Süden zu bündeln und strategisch auszurichten. Bisher fehlt eine afrikanische Konzeption für die Süd-Süd-Zusammenarbeit. Hier müsste die Afrikanische Union (AU) eine wesentlich aktivere Rolle spielen.

Die Daten des Unctad-Berichts zu den Süd-Süd-Beziehungen sind eindrucksvoll, sowohl was den Außenhandel wie auch die Kapitalbeziehungen betrifft. Die Länder des Südens haben ihren Anteil am Außenhandel Afrikas zwischen 1995 und 2008 von 19,6 auf 32,5 Prozent gesteigert. Den Löwenanteil dazu hat China beigetragen. Das Land ist heute nach den USA der wichtigste Handelspartner Afrikas, noch vorder EU. Die Süd-Süd-Beziehungen im Handel waren 2008 bedeutender als die mit Europa.

Auch auf anderen Feldern holen die Süd-Süd-Beziehungen auf. Die Direktinvestitionen des Südens - auch hier wiederum vor allem aus China - sind angestiegen und erreichten 2008 gut 21 Prozent der Zuströme. Ferner steigen die offiziellen Entwicklungshilfen (ODA) an Afrika aus den Staaten des Südens. Sie konzentrieren sich anders als die ODA der Industrieländer auf Infrastrukturprojekte.

Während sich die bilateralen Handels- und Investitionsverbindungen erweitert haben, gilt das nicht für die sektorale Zusammensetzung. Immer noch - wenn nicht sogar in höherem Maße - sind die Wirtschaftsbeziehungen einseitig. Afrika exportiert Rohstoffe und importiert Fertigwaren und Anlagegüter. Der Anteil der Rohstoffe am Süd-Süd-Handel beträgt 75 Prozent. Der Anteil von Fertigprodukten liegt dagegen bei zehn Prozent, und dabei handelt es sich fast ausschließlich um Konsumgüter, vornehmlich um Billigimporte aus China. Auch bei den ODA und den Direktinvestitionen spielt der Rohstoffsektor eine herausragende Rolle. Die Direktinvestitionen aus dem Süden fließen immerhin weniger in den Aufkauf bestehender Unternehmen, sondern mehr in innovative Bereiche.

Die einseitigen Strukturen in den Wirtschaftsbeziehungen werden also durch die Ausweitung der Süd-Süd-Beziehungen Afrikas nicht überwunden. Doch sie lockern die Abhängigkeit von den Industrieländern. Das hat sich in der gegenwärtigen globalen Finanzkrise ausgezahlt. Im Unctad-Bericht heißt es: "Die Diversifizierung der Exportmärkte Afrikas hat der Region geholfen, die Krise rascher zu meistern." Doch auch die Warnung fehlt nicht: "Der Aufschwung bleibt fragil, er basiert überwiegend auf der Rohstoffwirtschaft."

Die Diversifizierung der Exportmärkte bietet nach Ansicht der Verfasser der Unctad-Studie die Chance, Afrikas Stellung in der Weltwirtschaft zu verbessern. Zum einen profitiert Afrika unmittelbar von der nun größeren Durchsetzungskraft der aufstrebenden Länder in Asien und Lateinamerika. Zum anderen stärken die Länder Afrikas ihre Position, indem sie eigene Verhandlungsgruppen mit anderen Ländern des Südens bilden und dabei auch von deren Erfahrungen lernen können. Die Verfasser der Studie schreiben: "In Bezug auf die multilateralen Regeln des internationalen Handelssystems gewinnt Afrika sehr viel durch die Zusammenarbeit mit aufstrebenden Entwicklungsländern."

Auch bei den Wirtschaftsbeziehungen Afrikas mit dem Süden geht es um knallharte Interessen. Denn auch bei Ländern wie Indien, China oder Brasilien stehen - wie den USA oder den Staaten der EU - der Eigenvorteil und die eigene Entwicklung im Vordergrund. Um die eigenen Interessen Afrikas besser durchsetzen zu können, müssen die afrikanischen Staaten ihre eigenen und regionalen Interessen in den Vordergrund stellen. "Die AU und die regionalen Wirtschaftsgemeinschaften müssen ihre zentrale Aufgabe wahrnehmen, die regionalen Beziehungen zu den Partnern im Süden zu koordinieren, um einen Unterbietungswettlauf zu verhindern", heißt es im Bericht.

Eine Verstärkung der regionalen Integration sei aber auch wichtig, um den innerafrikanischen Handel anzukurbeln. Sein Anteil am Außenhandel der afrikanischen Länder ist zwischen 1995 und 2009 von 21 auf 11 Prozent gesunken. Dieser prozentuale Rückgang ist allerdings zu einem guten Teil dem rasanten Aufstieg im Handel mit Ländern des Südens geschuldet.

Wenn Afrika gemeinsam handelt, so die Schlussfolgerung des Berichts, können die Chancen der verstärkten Süd-Süd-Kooperation genutzt werden.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 5/6, November/Dezember 2010, S. 69
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2011