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INTERNATIONAL/212: Bolivien - Satellit als Hoffnungsträger für landeingeschlossenen Staat (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Juni 2014

Bolivien: Satellit als Hoffnungsträger für landeingeschlossenen Staat

von Gustav Cappaert und Chris Lewis


Bild: © Gustav Cappaert/IPS

El Palomar liegt 40 Kilometer von der bolivianischen Hauptstadt La Paz entfernt
Bild: © Gustav Cappaert/IPS

El Palomar, Bolivien, 24. Juni (IPS) - Maria Eugenia Calle, Bildungsministerin der bolivianischen Andenstadt El Palomar, musste 40 Jahre alt werden, um Bekanntschaft mit dem Internet zu machen. Ihre Gemeinde ist Standort eines von insgesamt 1.500 landesweit geplanten Telezentren, die das bolivianische Hinterland ins moderne Kommunikationszeitalter katapultieren sollen - dank des im letzten Jahr von China aus ins All beförderten Satelliten 'Tupac Katari 1'.

Staatspräsident Evo Morales zufolge wird der Satellit alle Bürger des großen und spärlich bevölkerten Landes ans Internet anschließen und ihnen den Zugang zu E-Bildungsprogrammen und mehr als 100 Fernsehprogrammen ermöglichen. Auch dem Mobiltelefonieren werden dann keine Grenzen mehr gesetzt sein.

Der Andenstaat hat keinen Zugang zum Meer und kann somit nicht von den Telekommunikationsdienstleistungen profitieren, die etwa der Anschluss an die unterseeisch verlegten Glasfaserkabel mit sich bringt. Bolivien ist somit nicht nur das ärmste, sondern auch das am wenigsten verbundene Land Südamerikas. Das macht die Datenübertragung in Bolivien zu einer der langsamsten und teuersten der Welt. Gerade einmal 7,4 Prozent der Bevölkerung haben einen eigenen Internetzugang. Die Hoffnungen, die an den Satelliten geknüpft sind, sind somit hoch.

Im Telekommunikationszentrum in El Palomar, das in Kürze an den Start gehen soll, waren Calle und andere Kollegen anwesend, als ein Journalist die Verbindung zwischen Computer und Satellit herstellte. "Geh mal in die USA." "Zeig uns das Weiße Haus." Such mal den Fußballclub Real Madrid", wiesen die Anwesenden den Reporter an. "Ist das nicht ein Traum?", staunte Calle. "Ich bin so froh, dass meine Kinder künftig mit den USA oder anderen Ländern oder hier in Bolivien mit La Paz oder Cochabamba kommunizieren können."


Auch die armen Länder wollen Satelliten

Mit einer Bevölkerung von zehn Millionen Menschen und einem bescheidenen Haushalt ist Bolivien eine Ausnahmeerscheinung unter den 45 Ländern, die über eigene Kommunikationssatelliten verfügen. Diese sind in aller Regel wohlhabend, bevölkerungsreich oder beides. Doch nimmt die Zahl der Entwicklungsländer zu, die sich eine solche Investition leisten. In den kommenden zwei Jahren werden Angola, die Demokratische Republik Kongo, Nicaragua, Sri Lanka und Turkmenistan ebenfalls ihre eigenen Satelliten starten.

Gerade die ländlichen Gebiete stellt die Verbreitung des Internets vor große Herausforderungen. Die Kosten für die Installation und Instandhaltung der Geräte und für die Schulungen zur Anwendung des Internets sind viel höher als in den Städten, wie Francisco Proenza, ein Experte für Informations- und Kommunikationstechnologien und Gastprofessor für politische Wissenschaften an der Pompeu-Fabra-Universität in Barcelona, erläuterte.

Während die Mobiltelefonie einen unerhörten Siegeszug angetreten hat, hinken die armen Länder Südamerikas der Nutzung des Internets hinterher. Im ländlichen Peru beispielsweise besitzen zwar 62 Prozent der Menschen ein Handy, doch nur sieben Prozent haben Zugang zum Internet.

Seit 2009 garantiert die bolivianische Verfassung allen Bürgern des Landes den Zugang zu grundlegenden Leistungen wie Wasser, Strom aber auch Telekommunikation. Die bolivianische Regierung hat sich nicht nur einen eigenen Satelliten verschafft, sondern auch 300 ländliche Telezentren geöffnet. Darüber hinaus stellt sie Telekommunikationsfirmen, die in die ländliche Infrastruktur investieren, besondere Anreize in Aussicht.

Nach Ansicht von Ivan Zambrana, Leiter der Bolivianischen Weltraumbehörde, ist ein nationaler Satellit angesichts der besonderen und vielfältigen topographischen Verhältnisse im Lande die kosteneffizienteste Methode, um Bolivien den Anschluss ans Telekommunikationszeitalter zu ermöglichen. Bolivien besitzt Berge, tropische Regenwälder und Wüsten. Außerdem schütze der Satellit die Kommunikationsinfrastruktur Boliviens vor politischen Entscheidungen, die einen Zugang einschränken könnten. Als Beispiel nannte Zambrana das US-Embargo gegen Kuba.


'Entkolonisierte Kommunikation'

Boliviens Kommunikationsministerium hatte den Satelliten aggressiv beworben. Entwickelt wurden Fernsehspots und ein eigenes App, Facebook- und Twitter-Kampagnen. In den Monaten vor dem Abschuss der Trägerrakete wurden riesige Plakate aufgehängt, auf denen 'Tupac Katari, dein Stern' und 'Entkolonisierte Kommunikation' zu lesen waren.

Bild: © Gustav Cappaert/IPS

Ein Plakat in Cochabamba, das für den Satelliten wirbt. Darauf heißt es: 'Der Weltraum gehört uns'
Bild: © Gustav Cappaert/IPS

"Wenn wir an Bolivien denken, dann sicher nicht an Technologie", meint Robert Albro, ein Anthropologe an der Universität in Washington. "Wir assoziieren mit dem Land vor allem ländliche Armut. Doch vollzieht Bolivien einen Wandel."

Skeptiker kritisieren das Projekt als überdimensioniert. Sie sind der Meinung, dass es auch kleinere Lösungen getan hätten und verweisen auf das benachbarte Peru, das existierende Satelliten nutzt, um seine ländlichen Gebiete mit den neuen Medien zu versorgen. Google und Facebook ziehen zudem den Einsatz einer Flotte niedrigfliegender Drohnen in Erwägung, um eine weltweite Internet-Konnektivität herzustellen. Bisher hat Bolivien zehn Millionen Dollar jährlich für Leistungen fremder Satelliten ausgegeben.

Für Tupac Katari hat Bolivien einen Kredit bei der Chinesischen Entwicklungsbank in Höhe von rund 300 Millionen US-Dollar aufgenommen, den die Regierung binnen 15 Jahren mit Hilfe der Einnahmen aus dem Satellitengeschäft abzahlen will.

"Es irritiert mich, dass Länder wie Bolivien ihre eigenen Satelliten in die Umlaufbahn bringen", meinte Heather Hudson, Professorin für öffentliche Politik an der Universität von Alaska. Hudson zufolge hätten die existierenden Satelliten ausgereicht, um die Kommunikationsbedürfnisse Boliviens zu decken. "Irgendwie fühle ich mich an einen Trend vor 20 oder 25 Jahren erinnert, als jeder Staat seine eigene Fluglinie haben wollte."

Auch in Bolivien selbst ist der Satellit umstritten. "Unsere Priorität gilt der Ernährung, dem Wasser und der Natur", meinte Isidro Paz Nina, der Landeskoordinator der Bewegung ohne Angst. Die Partei will Präsident Evo Morales bei den Wahlen im November den Sieg streitig machen. "Der Satellit ist nicht übel, aber wir wollen in erster Linie dafür sorgen, dass die Menschen keine Angst haben müssen, nicht satt zu werden."

"Die Regierung hat gesagt, dass sich mit der Tupac Katari-Satellitenantenne der Empfang von Mobiltelefonen, Fernsehkanälen etc. verbessern würde. Bisher ist das nicht der Fall", meint Victor Canabini Quispe, ein 51-Jähriger aus El Palomar. "Ich hoffe, die Regierung enttäuscht uns nicht."

In der Zwischenzeit musste die Eröffnung des Telezentrums in El Palomar aufgrund von Verzögerungen, ein Gemeindemitglied zu schulen, damit es dass Zentrum leiten kann, und aufgrund eines Streits in der Frage, wer für die Kosten der Einweihungszeremonie aufkommen soll, verschoben werden.

Sollte sich das Satellitenprojekt bewähren, hätte dies bemerkenswerte Auswirkungen für das Leben in den ländlichen Gebieten. Für die Kinder im Hinterland würde sich auf diese Weise ein Fenster zur Welt öffnen, wie Zambrana, der Chef der Weltraumbehörde, betont. Viele bolivianische Kinder, die in den höher gelegenen Gebirgsregionen zu Hause sind, hätten noch nie einen Baum gesehen. "In fünf Jahren wird Bolivien, moderner, besser vernetzt und gebildeter sein. Und wir werden ein kleines bisschen reicher oder ein kleines bisschen ärmer sein." (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/06/bolivia-pone-en-orbita-al-area-rural-con-satelite-propio/
http://www.ipsnews.net/2014/06/with-its-own-satellite-bolivia-hopes-to-put-rural-areas-on-the-grid/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. Juni 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2014