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INTERNATIONAL/371: Deutschland im Wirtschaftskrieg, Teil 2 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 21. Mai 2019
german-foreign-policy.com

Deutschland im Wirtschaftskrieg (II)


BERLIN/BEIJING/WASHINGTON - Mit Infineon gerät der erste deutsche Konzern im US-Wirtschaftskrieg gegen China zwischen die Fronten. Am gestrigen Montag hat die Trump-Administration begonnen, ihren erst am Mittwoch verkündeten Boykott gegen den chinesischen Telekomkonzern Huawei mit aller Gewalt umzusetzen. Ziel ist es, das Unternehmen - eines der bedeutendsten des Landes - zu ruinieren, um die Volksrepublik am weiteren Aufstieg zu hindern. Infineon muss nun die Lieferung in den Vereinigten Staaten produzierter Bauteile an Huawei beenden. Ein ernster Konflikt mit Beijing wäre für den Konzern fatal: Er erwirtschaftet zur Zeit ein Viertel seines Umsatzes in China - deutlich mehr als in jedem anderem Land - und führt dort zentrale Zukunftsprojekte durch. Beobachter warnen, die Trump-Administration könne die deutsche Industrie zur Entscheidung zwischen den USA und China zwingen - ähnlich wie im Fall des Iran. Die Dax-Konzerne machen etwa 22 Prozent ihres Umsatzes in den Vereinigten Staaten, 16 Prozent in der Volksrepublik. Als denkbar gilt freilich auch, dass der US-Wirtschaftskrieg nach hinten losgeht.

US-Boykott

Die Trump-Administration setzt den Boykott gegen den chinesischen Telekomkonzern Huawei, den sie am vergangenen Mittwoch fast ohne Vorwarnzeit verkündet hat, in vollem Umfang durch. Am gestrigen Montag teilten nicht nur große US-Chiphersteller wie Intel und Qualcomm mit, sie würden sich dem Boykott fügen. Auch Google hat angekündigt, sich zu beteiligen und Huawei ab sofort keine neuen Lizenzen für das Betriebssystem Android mehr zu erteilen. Dieser Schlag trifft den chinesischen Konzern besonders hart: Hat er Halbleiter und andere unverzichtbare US-Bauteile in großen Mengen gelagert, so dass er noch mehrere Monate, womöglich sogar noch ein Jahr trotz Boykott produzieren kann, so darf er nun neue Smartphones nicht mehr mit beliebten Google-Apps ausrüsten. Sogar bereits verkaufte Geräte werden nur noch eingeschränkt mit Updates auf den aktuellen Stand gebracht. Damit verlieren Huawei-Smartphones, die zuletzt in Tests Spitzenergebnisse erzielten, mit einem Schlag für einen Großteil der Kundschaft außerhalb Chinas massiv an Attraktivität. Mit schweren Verlusten ist zu rechnen: Huawei verkaufte zuletzt rund die Hälfte seiner Smartphones jenseits der Volksrepublik.

Va banque

Die Folgen des Boykotts sind nicht absehbar. Die Trump-Administration zielt ganz offen darauf ab, den wohl populärsten und für die technologische Entwicklung Chinas womöglich wichtigsten Konzern in den Zusammenbruch zu treiben; zahlreiche Experten sprechen von einem "nuklearen Schlag".[1] Klar scheint, dass Huawei zumindest mit herben Verlusten zu rechnen hat. Allerdings hat der Konzern, die US-Aggression vorausahnend, seit Jahren umfassend Vorbereitungen getroffen, um aus den USA importierte Bauteile sowie US-Software durch neue Eigenproduktion ersetzen zu können. Gelingt dies, dann könnte - dem stimmen auch zahlreiche US-Fachleute besorgt zu - der Schuss nach hinten losgehen. So kann als sicher gelten, dass nicht nur Huawei, sondern auch andere chinesische Firmen ihre Bemühungen, von US-Chips unabhängig zu werden, jetzt verdoppeln werden. Der US-Halbleiterriese Qualcomm erzielte zuletzt zwei Drittel seines Umsatzes in China; mittel- und langfristig muss er, sollten chinesische Unternehmen künftig gleichwertige Chips bauen können, dramatische Einbrüche befürchten. Google wiederum ist bei Smartphone-Betriebssystemen, nimmt man Apples iPhone aus, mit Android quasi Monopolist. Allerdings sind knapp die Hälfte aller Android-Smartphones Produkte chinesischer Hersteller (Huawei, Xiaomi, vivo, OPPO).[2] Gelingt es ihnen, ein alternatives Betriebssystem zu etablieren, dann hat Google beinahe die Hälfte seines Marktanteils verspielt.

Geschäftsschwerpunkt China

Das Vabanquespiel der Trump-Administration im Wirtschaftskrieg gegen China ist für die deutsche Industrie auch in anderer Hinsicht überaus gefährlich. Dies zeigt etwa das Beispiel des Dax-Unternehmens Infineon aus Neubiberg bei München. Der Chipsproduzent schloss sich dem Boykott gestern partiell an: Sämtliche Bauteile, die Infineon in seinen US-Werken herstellt, werden ab sofort nicht mehr an Huawei geliefert.[3] Allerdings legt der Konzern größten Wert auf die Feststellung, der Boykott, den er in den Vereinigten Staaten einhalten müsse, gelte nicht für seine Fabriken außerhalb der USA. Hintergrund ist, dass die Volksrepublik längst der größte Absatzmarkt des Unternehmens ist: Infineon setzt dort 25 Prozent seiner Produkte ab, mehr als in jedem anderen Land einschließlich Deutschlands (15 Prozent). Der Anteil der Vereinigten Staaten am Infineon-Umsatz beläuft sich lediglich auf neun Prozent.[4] Hinzu kommt, dass Infineon zentrale Zukunftsprojekte in der Volksrepublik gestartet hat. So hat das Unternehmen ein Joint Venture mit Chinas größtem Autohersteller SAIC gestartet - zur Produktion von Leistungshalbleitern für Elektroautos.[5] Darüber hinaus kooperiert es mit dem Onlinegiganten Alibaba in puncto Anwendungen für das Internet der Dinge ("Internet of Things", IoT).[6]

Geschäftsschwerpunkt USA

Hart getroffen wird etwa auch die Deutsche Telekom, die ihren Geschäftsschwerpunkt - anders als Infineon - nicht in China, sondern in den Vereinigten Staaten hat: Dort erzielt sie dank ihrer Tochterfirma T-Mobile USA 48 Prozent ihres Konzernumsatzes, deutlich mehr als in der Bundesrepublik (29 Prozent).[7] Hinzu kommt, dass T-Mobile USA dabei ist, mit dem Rivalen Sprint zu fusionieren. Am gestrigen Montag erteilte die zuständige US-Behörde FCC ("Federal Communications Commission") die Erlaubnis dazu. Gerüchte besagen, dafür habe die Deutsche Telekom zusagen müssen, beim Aufbau des 5G-Netzes in Deutschland auf Huawei-Produkte zu verzichten.[8] Träfe das zu, dann käme es den Konzern, der bei der aktuellen Versteigerung der deutschen 5G-Lizenzen bereits annähernd zwei Milliarden Euro ausgegeben hat, teuer zu stehen: Huawei liefert nach einhelliger Auffassung von Experten bessere Qualität zu niedrigeren Preisen als die Konkurrenz; ohne seine Beteiligung dürfte der Aufbau des deutschen 5G-Netzes sich um mindestens zwei Jahre verzögern. Allerdings zielt der Huawei-Boykott der Trump-Administration darauf ab, die daraus resultierenden Schäden zu minimieren: Wird der chinesische Konzern schwer geschädigt oder gar in den Kollaps getrieben, dann blieben auch konkurrierende Staaten beim 5G-Ausbau klar zurück; europäische Staaten, vor allem aber auch die USA könnten aufholen.

Vor der Entscheidung?

Kommentatoren warnen, die deutsche Wirtschaft könne insgesamt in eine Situation geraten, in der sie - wie aktuell Infineon und die Deutsche Telekom - zwischen den USA und China wählen müsse. Die Politik der Trump-Administration erinnere an ihr "Vorgehen gegen Iran": "Mit Wirtschaftssanktionen hat der amerikanische Präsident den Handel mit dem Land so gut wie unmöglich gemacht", heißt es etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.[9] Nun sei die Entscheidung zwischen Iran und den USA der deutschen Wirtschaft zwar vergleichsweise "leicht gefallen". China sei für sie allerdings mittlerweile ebenso "unverzichtbar" wie die USA. Tatsächlich machen etwa die Dax-Konzerne zwar 22 Prozent ihres Umsatzes in den Vereinigten Staaten, inzwischen aber auch stolze 16 Prozent in der Volksrepublik (21 Prozent in Deutschland), wobei ihr Umsatz in China deutlich stärker wächst als ihr Umsatz in den USA.[10] Möglicherweise lege es Washington gerade darauf an, die deutsche Wirtschaft zur Entscheidung zu zwingen, urteilt der Kommentator: Es sei "töricht, die Gefahr einer amerikanischen 'Entweder-Oder-Politik' ... zu verkennen". Ganz unabhängig davon müsse man konstatieren: "Noch weiß niemand, welchen Preis Trump bereit ist zu zahlen, um Chinas Aufstieg zu bremsen."



Mehr zum Thema:
Deutschland im Wirtschaftskrieg
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7940/


Anmerkungen:

[1] Trump's Huawei Attack Is a Serious Mistake. By Editorial Board. bloomberg.com 20.05.2019.

[2] Tim Culpan: The Tech Cold War Has Begun. bloomberg.com 20.05.2019.

[3] Martin Holland: Auch Infineon und andere kappen teilweise Geschäftsbeziehungen zu Huawei. heise.de 20.05.2019.

[4] Joachim Hofer: Investoren fürchten um das China-Geschäft von Infineon. handelsblatt.com 20.05.2019.

[5] SAIC, Infineon form JV to make electric car power modules in China. reuters.com 02.03.2018.

[6] Malek Murison: Infineon and Alibaba Cloud team up on IoT. internetofbusiness.com 03.08.2018.

[7] Ulf Sommer: Deutschlands US-Offensive: Dax-Konzerne fahren Investitionen in Nordamerika hoch. handelsblatt.com 14.05.2019.

[8] Arvid Kaiser: Wie Amerikas Huawei-Bann die deutsche Wirtschaft trifft. manager-magazin.de 20.05.2019.

[9] Johannes Pennekamp: Amerika oder China. Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.05.2019.

[10] Ulf Sommer: Deutschlands US-Offensive: Dax-Konzerne fahren Investitionen in Nordamerika hoch. handelsblatt.com 14.05.2019.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2019

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