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MARKT/1392: Zementmarkt - Zwei Welten (Südwind)


Südwind Nr. 10 - Oktober 2009
Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung

Zwei Welten

Von Robert Poth


Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Spaltung der weltweiten Zementmärkte akzentuiert: Stabiles oder starkes Verbrauchswachstum im Süden, Stagnation und Schrumpfung im Norden.


Als Lieferant der Bauwirtschaft ist die Zementindustrie eines der Hauptopfer der Finanz- und Wirtschaftskrise, die mit dem Kollaps des Wohnbausektors in den USA 2007 ihren Anfang nahm. Der folgende Einbruch der Baustoffmärkte in weiteren reichen Ländern, besonders in Großbritannien oder Spanien, wo der Zementverbrauch derzeit wieder auf den Stand von 1997 gefallen ist, aber auch in Osteuropa und Russland, erreichte eine bisher einmalige Tiefe und Dimension. Selbst die Nr. 1 der Welt, der französische Konzern Lafarge, verzeichnete im ersten Halbjahr 2009 wegen der "schwierigen Marktbedingungen" in Europa und Nordamerika einen Umsatzrückgang bei Zement von zehn Prozent, der Gewinn brach um 50 % ein.

Dabei steht Lafarge noch vergleichsweise gut da. Lafarge hatte sich zwar auch an der schuldenfinanzierten Konsolidierungswelle beteiligt, die von den günstigen Finanzierungskonditionen in den vergangenen Boomjahren gefördert wurde, und im Dezember 2007 fast 13 Mrd. US-Dollar für den Zementbereich der ägyptischen Orascom hingelegt. Doch zwei der Hauptkonkurrenten kauften sich stattdessen in die Krisenmärkte ein: HeidelbergCement berappte 2007 11,5 Mrd. Dollar für den britischen Baustoffkonzern Hanson; der mexikanische Baustoffkonzern Cemex schluckte im selben Jahr den australischen Konkurrenten Rinker 2007 um mehr als 14 Mrd. Dollar, um seine Position am US-Markt zu stärken.


Top-5 Zementhersteller


Zementabsatz 2008,
Mio. Tonnen
Stammsitz

Weltweite Präsenz
(Zahl der Länder)
Gegründet

Lafarge
155     
Paris
79       
1833  
Holcim
143     
Zürich
>70       
1912  
HeidelbergCement
89     
Heidelberg
50       
1873  
Cemex

87     

Nuevo Laredo
(Mexiko)
>50       

1906  

Anhui Conch

81,7*) 

Wuhu / Anhui
(China)
      China      

1997  

Quelle: Global Cement Report 8th Edition, April 2009; Finanzberichte der Unternehmen
*) nur Klinker (siehe "Fakten" Seite 30).


Diese Expansionsstrategie erwies sich in der Folge als fatal. HeidelbergCement musste langwierige Refinanzierungsverhandlungen mit den Banken führen, um eine Überschuldung zu vermeiden. Am schlimmsten traf es aber Cemex aufgrund der starken Abhängigkeit des Konzerns vom US-Markt. Unter dem Damoklesschwert der Zahlungsunfähigkeit musste sich der Konzern von Beteiligungen trennen, um möglichst rasch zwei Mrd. Dollar aufzubringen, darunter die Rinker-Aktivitäten in Australien, die von Holcim, der Nr. 2 der Welt erworben wurden; das Investitionsprogramm wurde rigoros zusammengestrichen.

Die Krise und ihre Folgen haben die bereits bestehende Diskrepanz auf den weltweiten Zementmärkten weiter verschärft. Beinahe unbeschadet von der Krise im Norden nahm der Zementabsatz im Süden 2008 weiter zu (siehe Tabelle). Die Entwicklungs- und Schwellenländer repräsentieren mittlerweile ca. 85 % des weltweiten Markts, dominiert von China mit einem Anteil von knapp 50 %.

Jedenfalls hat die Krise die Sinnhaftigkeit der von den multinationalen Baustoffkonzernen verfolgten Globalisierungsstrategie bestätigt. Die Zwischenberichte der vier großen westlichen Baustoff- und Zementriesen für das erste Halbjahr 2009 zeigen, dass sie den Umsatzeinbruch in den USA und Europa durch stabile oder wachsende Umsätze in Entwicklungsländern (vor allem in Asien) zum Teil kompensieren konnten.

Beherrschendes Thema der Unternehmensausblicke sind, nicht überraschend, die möglichen Effekte der staatlichen Konjunkturprogramme auf die Nachfrage. Nach einer Schätzung des Kreditversicherers Euler Hermes entfallen 355 Mrd. Dollar der weltweiten Konjunkturspritzen im Jahr 2009 auf den (besonders "betonintensiven") Tiefbau, was 7 % des weltweiten Jahresumsatzes der Bauwirtschaft entspricht. In China erreicht der entsprechende Anteil mit 450 Mrd. Dollar in den nächsten beiden Jahren sogar einen Umfang von 40 % des Gesamtumsatzes der chinesischen Bauwirtschaft im selben Zeitraum.


Zementverbrauch 2008

Änderung in Prozent gegenüber 2007
Vietnam
Brasilien
Indien
Iran
China
USA
Japan
Italien
Südkorea
Russland
+39               
+13               
+9               
+6               
+5,2             
-15               
-10               
-5               
-1               
+1               

In China scheint es auch wunderbar zu funktionieren. Die China Cement Industry Association schätzte Anfang Juli, dass die Zementnachfrage in China sowohl 2009 als auch 2010 um 100 Mio. Tonnen (plus 7 %) zunehmen dürfte (übrigens weit mehr als der Gesamtverbrauch in den USA von 2008!). In Indien wird für das seit April laufende Budgetjahr 2010 sogar ein Wachstum von mehr als 13 % auf 212 Mio. Tonnen erwartet. In Brasilien wiederum sorgt ein im Frühjahr angekündigtes massives staatliches Wohnbauprogramm ("Minha casa, minha vida" - "Mein Haus, mein Leben") für Optimismus: Bis 2010 sollen eine Million Wohnungen für untere Einkommensschichten errichtet werden.

Ob der weltweite Zementverbrauch 2009 tatsächlich erstmals seit Jahrzehnten sinken wird, wie der US-Branchenverband PCA (Portland Cement Association) noch im Juli erwartete (-1,7 % bei +4 % in China und Indien), ist also eher fraglich. Auch in Afrika südlich der Sahara wächst die Bauwirtschaft nach Branchenschätzungen um mehr als 20 % pro Jahr. Es macht sich nun offenbar auch bezahlt, Zementwerke vor Ort zu errichten, anstatt Zement oder Klinker zu importieren, wie es etwa in Nigeria und Angola geschieht. Die beiden Länder belegten 2008 mit Einfuhren von 8 Mio. Tonnen bzw. 4,3 Mio. Tonnen weltweit noch die Plätze 3 bzw. 9 unter den Zementimportländern (siehe Grafik in "Globalisierung ohne Weltmarkt").


Industrie mit Eigenheiten

• Zementhersteller sind zumeist Baustoffunternehmen, die neben Zement und Zementklinker auch Betonsorten aller Art, Transportbeton, vorgefertigte Betonteile sowie andere Baustoffe anbieten.

• Sie betreiben oft Steinbrüche und Kraftwerke; damit können sie überschüssige Energie ins Netz einspeisen und zu Stromversorgern werden.

• Die Produktionstechnologie wird in der Regel zugekauft, sie ist Eigentum der Ausrüstungsanbieter. Wettbewerbsvorteile beruhen auf der Effizienz der Produktion.

• Das unternehmenseigene Know-how besteht zusehends aus dem Wissen über Zementmischungen und ihre Eigenschaften (etwa für die Herstellung von Hochleistungsbetonen, aber auch in Hinblick auf die Reduktion der CO2-Emissionen, siehe "Harte Nuss" Seite 34).

• Die modernsten Zementwerke stehen heute im Süden, wo die stark wächst und neue Kapazitäten nötig sind; die ältesten findet man eher in Nordamerika.


Vor dem Hintergrund der rasch steigenden Nachfrage (zuletzt +17 % jährlich) ist es etwa einem lokalen Akteur wie Dangote Cement in Nigeria gelungen, in beeindruckender Geschwindigkeit zu einem Großproduzenten aufzusteigen. Dangote Cement, nach eigenen Angaben "Afrikas größtes Zementunternehmen", operiert in Nigeria, Benin und Ghana und will seine mit 14 Mio. Tonnen bezifferte Kapazität (Produktion und Importe) in nächster Zeit um mehr als 11 Mio. Tonnen erweitern. Das Unternehmen betreibt seit 2007 mit der Obajana Cement Plant das größte Zementwerk in Afrika südlich der Sahara (jährliche Kapazität mehr als vier Mio. Tonnen), das übrigens unter Mitwirkung des österreichischen Beratungsunternehmens Austroplan geplant und errichtet wurde. Laut Dangote Cement könnte Nigeria bereits Ende 2010 von Importen unabhängig sein und ab dann sogar zu einem Zementexportland werden.

Die derzeitige führende Stellung europäischer Multis in Afrika südlich der Sahara (siehe "Globalisierung ohne Weltmarkt") ist daher nicht unbedingt gesichert. Auch Unternehmen vom indischen Subkontinent wollen vom starken Wachstum der Bauwirtschaft in Afrika und dem noch bestehenden Angebotsdefizit bei Zement profitieren: Etwa Lucky Cement, der größte Zementhersteller Pakistans, der 2011 sein erstes Auslandswerk überhaupt genau in Afrika in Betrieb nehmen will. Der Wettkampf um den wachsenden Kuchen im Süden dürfte sich also verschärfen.


*


Globalisierung ohne Weltmarkt

Zementunternehmen sind mit Transportkosten konfrontiert, die im Verhältnis zum Produktwert hoch sind. Das betrifft sowohl die Anlieferung der Rohstoffe als auch die Lierferung von Klinker, Zement oder Beton. Ein Transportweg von 300 km (Straße) bis zum Kunden ist das Maximum, sagt die Branche. Ein echter "Weltmarkt" für Zement existiert daher nicht. Unterschiedliche Marktsituationen - Überangebote genauso wie Versorgungsengpässe und Preisentwicklungen je nach Land sind jederzeit zu beobachten.

Daher wird auch nur ein geringer Anteil der Zementproduktion international gehandelt, und daher spielt auch insbesondere der trankontinentale Handel bei der weltweiten Expansion der großen Zementkonzerne eine eher marginale Rolle. Was sich über Grenzen hinweg bewegt, ist weniger die Ware als vielmehr Kapital und Know-how. Der Eintritt in neue Märkte erfolgt weitgehend über Direktinvestionen - Errichtung neuer Werke, Übernahmmen oder Joint Ventures, in China etwa mit staatlichen Unternehmen.

Gleichwohl sind die Riesen der Branche heute in fast jedem Winkel der Erde anzutreffen, mit Ausnahne von Cemex auch in China, und erwirtschaften eine großen, wenn nicht schon überwiegenden Teil ihres Umsatzes mit Zement in Süden. Die Brache konsolidiert sich zusehends. Zwar lag der Marktanteil der vier größten nicht-chinisischen Zementhersteller 2008 weltweit bei nur 16-17 % (nach Absatzmengen), was aber täuscht: Die Konzentration kann in bestimmten Märkten sehr hoch sein.

Tatsächlich haben Töchter der global agierenden Zementkonzerne in vielen Ländern eine führende Stellung. Holcim kontrolliert etwa seit 2004 den größten indischen Zementhersteller, ACC Limited. Lafarge Shui On Cement (Lafarge-Anteil 55 % seit August 2005) ist die Nr. 3 in China. Lafarge gehört auch die Mehrheit von Bamburi Cement in Kenia, dem größten Zementunternehmen der Region. HeidelbergCement ist Marktführer und nach eigenen Angaben größter Zementhersteller in Westafrika.


Internationaler Zementhandel 2008
Zement- und Klinkerhandel 2008
Mio t
in %
Exporte (davon 70 Mio. t Klinker)
Inlandsverbrauch
164
2693
6
94

Top 10 Exportländer

in Mio t
China
Japan
Thailand
Türkei
Deutschland
Pakistan
Taiwan
Südkorea
Ägypten
Indien
26   
11,6 
11,3 
10,6 
8,3 
7,7 
7,7 
6,5 
5,9 
5,6 

Top 10 Importländer

in Mio t
Russland
Nigeria
VAE
Spanien
Bangladesch
Irak
Singapur
Angola
Niederlande
8,5 
8,2 
8   
7,7 
5   
5   
4,5 
4,3 
4   

*


Alternativen zum Portlandzementklinker (Beispiele)


Puzzolane

Puzzolanhaltige Materialien wie Flugasche (staubförmiger Rückstand von Verbrennungsprozessen) und Schlacke können Zement ersetzen. Puzzolane werden durch ihren Gehalt an Kieselsäure und Kalkhydrat in Verbindung mit Wasser bindefähig. Der Name stammt vom italienischen Ort Puteoli (heute Pozzuoli) westlich von Neapel, wo bereits im Altertum große Mengen an puzzolanischer Vulkanasche gewonnen und zu römischem Beton ("Opus Caementitium") verarbeitet wurden (http://de.wikipedia.org/wiki/Opus_caementitium).

In Nicaragua, Kuba und vielen anderen Ländern Lateinamerikas werden alternative Baustoffe (Mikrobeton-Dachziegel, Puzzolana-Zement, Kalksandsteine usw.) entwickelt und auch in konkreten Bauprojekten verwendet (siehe u.a. Ecosur, www.ecosur.org). In Ghana wiederum wurde "PozzoGhana" entwickelt, eine Mischung aus Palmkernen sowie Kalk und örtlichen Tonarten. Auch Asche von Reisspreu lässt sich erfolgreich zusetzen.

In Entwicklungsländern decken sich beim Einsatz von Substituten für Portlandzementklinker oder alternativen Zuschlagstoffen wirtschaftliche und Umweltziele, sofern die Materialien lokal verfügbar sind: Man erspart sich Importkosten für Klinker. Die quantitative Dimension dieser Initiativen ist aber im weltweiten Kontext unbeachtlich.


Slagstar

Slagstar ist eine Innovation der österreichischen Wopfinger Baustoffindustrie (Teil der Schmid Industrie Holding) auf Basis von Rückständen der Stahlherstellung. Schlacke weist durch den Hochtemperatur-Brennprozess ähnliche Eigenschaften auf wie Portlandzementklinker. Pro 1.000 m3 Beton können nach Wopfinger-Angaben bis zu 200 Tonnen CO2 eingespart werden. Wopfinger erhielt für das alternative Bindemittel 2006 den "International Cement Award" in der Kategorie "Geringster CO2-Ausstoß bei Zement". 2008 wurde die Produktion an ein indisches Unternehmen lizenziert.
www.slagstar.at


TecEco

Das australische Unternehmen TecEco will das in "Ökozementen" anstelle von Portlandzementklinker verwendete Magnesiumoxid in einem neuen Brennofen erzeugen, der mit Sonnenenergie betrieben wird. Die CO2-Emissionen sollen abgeschieden und gespeichert werden.
Web: http://tececo.com/simple.eco-cement.php


Patentlösungen:

Zement/Beton als Kohlenstoffsenke

Beton wäre aufgrund der gewaltigen jährlich verbauten Mengen grundsätzlich eine ideale "Kohlenstoffsenke", also ein Speicherort für überschüssiges CO2 aus der Atmosphäre. Einige WissenschaftlerInnen beanspruchen, genau das bewerkstelligen zu können.

• Das kalifornische Unternehmen Calera, eine Gründung des Stanford-Professors Brent Constanz, hat einen neuen Herstellungsprozess für Zement entwickelt, bei dem Kohlendioxid durch Meerwasser gepumpt wird, um Kalkstein (CaCO3) zu erzeugen. Pro Tonne Zement kann derart der Atmosphäre eine halbe Tonne CO2 entzogen werden, behauptet Constantz.
www.calera.biz

• Das britische Unternehmen Novacem entwickelt einen Zement auf Basis von Magnesiumsilikaten, der über seinen Lebenszyklus pro Tonne 0,6 Tonnen CO2 binden soll. Würde Portlandzement vollständig durch dieses neue Bindemittel ersetzt, könnte Beton die selbe Menge an CO2 speichern, die heute bei der Zementherstellung frei wird (ca. 5 % der anthropogenen Treibhausgase).
www.novacem.com


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Quelle:
Südwind - Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung
30. Jahrgang, Nr. 10/2009 - Oktober 2009, Seite 31-33
Herausgeber: Südwind-Entwicklungspolitik (ehem. ÖIE)
Verlegerin: Südwind Agentur GmbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2009