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MARKT/1576: Handwerk versus Konzernmacht (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2017

Konzerne außer Kontrolle?
Über Macht und Ohnmacht des Staates

Handwerk versus Konzernmacht
Versorgungssicherheit, Resilienz und Unabhängigkeit der Regionen ohne Handwerk?

von Anke Kähler


Die Brisanz der Gegenüberstellung von Handwerk und Konzernmacht entsteht aus dem Zusammenhang mit einer ganz zentralen gesellschaftlichen Frage: Auf welche Weise kann die Bevölkerung bestmöglich - also ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig - versorgt werden? Ein Aspekt, der unmittelbar mit dem derzeitigen wirtschaftspolitischen Leitbild im Zusammenhang steht, ist dabei von tiefgreifender Bedeutung: Wenn etwa Brot nicht gebacken wird, um Hunger und menschliche Grundbedürfnisse zu stillen, sondern einzig um die Rendite zu maximieren, verschwindet der Kitt, der unsere Gesellschaft und die Völker der Welt zusammenhält. Die Gegenüberstellung 'Handwerk versus Konzerne' ruft das Bild von 'David gegen Goliath' auf. Wobei die Konsequenz dieser biblischen Geschichte meist vergessen wird: Am Ende ist Goliath tot.


Welche Gewerbe zum Handwerk zählen, wird in Deutschland durch die Handwerksordnung definiert. Handwerk in seiner ursprünglichen Form steht ganz konkret für: Arbeit und Ausbildung vor Ort, Ganzheitlichkeit der Prozesse, Verankerung in der Region, Transparenz, Vielfalt, Kreativität, Individualität, die Pflege und Weiterentwicklung von Wissen, Erfahrung, Verantwortung für die Wertschöpfungskette und kommende Generationen, ressourcenschonendes Wirtschaften, Entwicklung von Innovationen, sinnstiftendes Arbeiten und Identität, die Gestaltung von Lebensräumen, Kultur, soziale Inklusion und nicht zuletzt dafür, dass das handwerkliche Erzeugnis mit einem hohen Maß an Wissen und Können vollständig selbst hergestellt wird. Doch neben Handwerksbetrieben, deren Produktionsweise sich eindeutig als handwerksgemäß beschreiben lässt, sind in allen Gewerben zahlreiche Unternehmen zu finden, die einer Grauzone zuzuordnen sind, sowie solche, die gemäß ihrer Produktionstechnik und Organisationsstruktur nahezu vollständig industriell produzieren.


Handwerk ohne Hände?

Technische Entwicklungen verändern seit jeher Produktionsweisen, Produkte, Dienstleistungen und damit Märkte. Doch die treibende Kraft beim Wandel der Märkte und damit gesellschaftlicher Strukturen ist nicht von der Frage bestimmt, wie eine wachsende Weltbevölkerung nachhaltig versorgt werden kann. Treibend ist - auf Basis unserer kapitalistischen Wirtschaftsweise und der fundamentalistischen Jagd nach Rendite - die Anbieter- und Nachfragemacht in globalisierten Märkten. Der Wettbewerb auf Grundlage fortdauernder Expansion und Produktivitätssteigerung ersetzt dabei Arbeit durch Kapital und externalisiert Kosten zu Lasten der Allgemeinheit. Es wird suggeriert, dass der Bedarf an Konsumgütern und Dienstleistungen immer kostengünstiger gedeckt werden könne. Dieser Irrglaube hat auch das Handwerk verändert. Der Anteil der Handwerksbetriebe ist in den vergangenen Jahrzehnten drastisch geschrumpft und die "Industrialisierung" des Handwerks hat dessen AkteurInnen enteignet. Konzentrationsprozesse in allen Wirtschaftsbereichen haben zu strukturellen Lücken in regionalen Wertschöpfungsketten, wie etwa dem Fehlen von Mühlen, Schlachthöfen oder Sägewerken, geführt.


Konzerne nehmen das Handwerk in die Zange

Das "handwerksgemäße" Handwerk steckt trotz seiner vielfältigen, positiven Wirkungen und seiner Bedeutung für den Einzelnen und für die Gesellschaft in der Klemme. Der alle Lebensbereiche durchdringende, ökonomische Glaubenssatz vom fortwährenden Wirtschaftswachstum und die damit zunehmende Macht der Konzerne haben auch vor den offiziellen Berufsverbänden, denen die einzelnen Handwerksbetriebe zwangsweise angehören oder denen sie freiwillig beitreten, nicht Halt gemacht. Die Technisierung und Standardisierung durch den Einsatz industriell vorgefertigter Produkte hat nicht nur zum Verlust von Wissen und Erfahrung im Handwerk, zur Verlagerung von Wertschöpfung in die Industrie, sondern auch zu Abhängigkeiten und damit zum Verlust von Souveränität der Betriebe sowie ihrer Berufsvertretungen geführt. Vielfach haben sich diese Verbände auf direkte oder indirekte finanzielle Unterstützung durch die industriellen "PartnerInnen" des Handwerks, etwa aus der Zulieferindustrie, eingestellt. Dem Handwerk insgesamt fehlt eine strukturell sowie im Geiste unabhängige Interessensvertretung, die sich gegen den Ausverkauf und die Verdrängung des Handwerks stemmt und die konsequent die Grundlagen seiner gesellschaftlichen Bedeutung schützt und fördert.


Übermäßige Belastung kleiner und mittlerer Handwerksbetriebe durch Bürokratie

Insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe werden bei der Ausübung ihres Handwerks über Gebühr durch bürokratische Reglementierungen belastet. Der Gesetzgeber geht in der Regel von den Risiken arbeitsteilig-industrieller Produktion aus und überträgt Maßnahmen zur Risikovorsorge aus diesem Bereich auf die handwerklichen Betriebe. So werden HandwerkerInnen und kleine Unternehmen seit vielen Jahren mit immer weiter steigenden Bürokratieauflagen konfrontiert, die in der Realität kaum oder nur mit hohem zeitlichen und finanziellen Aufwand umsetzbar sind und zum Teil ihr Ziel verfehlen. Die Risiken der Großbetriebe entsprechen in keiner Weise denen eines handwerklichen Betriebs mit beispielsweise einer/ einem MeisterIn, 3 GesellInnen und 2 Auszubildenden. So stehen Lebensmittelskandale, Rückrufaktionen oder Betrug mit massiven Folgen wie 'Dieselgate' in der Regel mit arbeitsteilig organisierten Großunternehmen in Verbindung. Handwerkliche Betriebe sind nicht frei von solchen Risiken. Doch sind diese in Betrieben mit einer überschaubaren Betriebsstruktur, die von qualifizierten, sich persönlich verantwortenden UnternehmerInnen geleitet werden und überdies Transparenz über Rohstoffe und Herstellungsverfahren herstellen, äußerst gering.


Wettbewerbsverzerrungen durch Deregulierung der Märkte

Die von Großkonzernen verlangte Deregulierung und Liberalisierung der Märkte verdrängt das Handwerk und die bäuerliche Landwirtschaft und zerstört regionale Versorgungsstrukturen - hier ebenso wie, mit dramatischen Folgen, in den Ländern des Südens. Großunternehmen profitieren von Exportförderungen, Förderungen von Forschungs- und Entwicklungsprojekten, Förderungen neuer Verarbeitungskapazitäten und steuerlichen Entlastungen (beispielsweise bei der Umlage des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes) und stets von ihrem politischen Einfluss als Folge ihrer Größe und Marktmacht. So forderte etwa die größte Lobbyorganisation der Lebensmittelindustrie, FoodDrink-Europe, in einem Memorandum an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2006, dass die Wertschöpfung der Lebensmittelindustrie in den gesättigten Märkten der EU durch mehr Forschung, Innovation und die Verwirklichung des Konzepts der besseren Rechtssetzung gesteigert werden muss, sowie für Wachstum außerhalb der EU durch multi- und bilaterale Handelsabkommen zu sorgen ist.


Handwerk braucht eine unabhängige Vertretung und Gehör seitens der Politik

Um auf die Misere der HandwerkerInnen aufmerksam zu machen und Strategien gegen die Übermacht der Konzerne zu entwickeln, hat sich 2017 auf Initiative des Vereins Die Freien Bäcker e.V. ein Bündnis von HandwerkerInnen gebildet. 2018 startet es die Kampagne "Zukunft braucht Handwerk". Darin fordert das Bündnis eine politische Neuausrichtung, die der Bedeutung des Handwerks für eine demokratische Gesellschaft sowie für eine dezentralisierte, soziale und ökologische Wirtschaftsweise gerecht wird. Zentral dafür ist die Herstellung der Kostenwahrheit. Wirtschaftlicher Erfolg, der auf der Externalisierung sozialer und ökologischer Kosten basiert, ist gegenüber nachfolgenden Generationen sowie den Ländern des Globalen Südens nicht vertretbar. Weitere Forderungen sind:

  • die Beteiligung des unabhängigen Handwerks an gesetzgebenden Verfahren sowie die Bildung von Fachgruppen, die bestehende Gesetze und Verordnungen überprüfen und praxisnahe Regelungen entsprechend eines abgestuften Risiko- und Gefährdungspotentials entwickeln
  • die Erarbeitung einer Freistellungsklausel zur Entlastung von Kleinstbetrieben und die Erstellung einer Positivliste praxisnaher Selbstverpflichtungen
  • transparente, realisierbare Zugänge zu Forschungs- und Entwicklungsförderungen und die Entbürokratisierung der Antragsverfahren
  • die Förderung der Rekonstruktion regionaler Wertschöpfungsketten und damit regionaler Versorgungsstrukturen (z. B. fehlen auf regionaler Ebene Mühlen, Molkereien und Schlachtunternehmen)
  • eine effektive Förderung von Startups und Neugründungen von Handwerksbetrieben, statt diese durch zahlreiche Auflagen, einzubringende Gutachten und finanzielle Hürden zu blockieren
  • ein Verbot des werblichen Missbrauchs von Begriffen und Bildern durch industrielle HerstellerInnen sowie den Handel, die suggerieren, echtes Handwerk zu repräsentieren und dabei gezielt die Erbringung von positiven gesellschaftlichen Leistungen vortäuschen.

Das Ringen des Handwerks ums Überleben ist keinesfalls aussichtslos. Um auf das eingangs zitierte biblische Bild zurückzukommen: Am Ende hat David den übermächtig erscheinenden Goliath besiegt. Ein erster Schritt in diese Richtung ist der Schulterschluss der Betriebe und der mit Nachdruck verfolgte politische Wille des Handwerks, die Ursachen und die NutznießerInnen seiner Verdrängung zu benennen und gegen sie anzugehen. Das ist das Gebot der Stunde, denn unsere Zukunft braucht Handwerk!


Die Autorin ist Bäckermeisterin und Vorstandsvorsitzende von Die Freien Bäcker e. V.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2017, Seite 20-21
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2018

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