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MEINUNG/039: Divergenz statt Konvergenz Ost-West künftig unvermeidbar (Karl Mai)


Divergenz statt Konvergenz Ost-West künftig unvermeidbar

- Eine Polemik aus aktuellem Anlass -

von Karl Mai, 24. Januar 2014



Ausgangspunkt

Die offizielle deutsche Politik hat längst die wirtschaftliche Konvergenz von Ost- zu Westdeutschland als eine naheliegende, realistische Zielstellung für die Zukunft abgeschrieben, ohne dies ausdrücklich zu erklären. Zuvor im letzten "Bericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit" (2013) heißt es bereits "kleinlaut" bzw. resignierend:

"Die Konvergenzlücke ist zu einem großen Teil durch wirtschafts- und siedlungsstrukturelle Faktoren bedingt. Dazu zählt die dünnere Siedlungsstruktur mit nur wenigen ausstrahlenden Wachstumszentren. Hinzu kommt eine Wirtschaft, die durch eine kleinteilige Betriebsgrößenstruktur, das weitgehende Fehlen von Firmenzentralen größerer Unternehmen und Unternehmen mit eigenen FuE-Einheiten gekennzeichnet ist." (S. 109)

Es wird hier nicht erkennbar, dass sich diese Ursachen der Konvergenzlücke absehbar oder künftig beseitigen lassen würden. Im Gegenteil: die regionalen Disparitäten, die infolge wirtschaftlich-struktureller Inhomogenität und demografischer Verluste verursacht werden, tendieren längerfristig zu einer anwachsenden Divergenz der ostdeutschen Region im Leistungsniveau, solange die BIP-Wachstumsraten Ost nicht längerfristig die westdeutschen Wachstumsraten überflügeln können.[1] Für diese erforderliche "systemische Wachstumsrate" von mindestens Ost 2 % > West gibt es in den ostdeutschen Bundesländern mit ihren wenigen Innovationszentren keine Chancen. Gegenwärtig verfügt die Ost-Wachstumsrate schon aus rein konjunkturellen Gründen über keine Voraussetzungen zum "Überholen".


Keine neuen Lösungen

Die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD läuft im Grunde ebenfalls auf diesen Sachverhalt hinaus, auch wenn man hierzu noch "Nebelkerzen" geworfen hat. Zumindest enttäuscht wird, wer hier zusätzliche neue Überlegungen und Politikansätze oder konkrete Vorhaben und Ziele für die nächste Zeit auf dem Wege zu höheren Ost-Wachstumsraten für gleichwertigen Lebensverhältnissen zu finden hoffte.

Insofern kann auch folgender "linksorientierter" Standpunkt nicht zufriedenstellend empfunden werden: "Das Nahziel lautet, die Innovationsleistungen in Ostdeutschland weiter zu erhöhen, um den gescheiterten Aufbau Ost als Nachbau West aufzugeben und auf einen selbstragenden sozial-ökologischen Entwicklungspfad einzuschwenken", wie es bei beispielsweise heißt.[2] Hier fehlt ein konkreter Bezug auf die Quellen, die Struktur und den Umfang der hierfür erforderlichen überproportional hohen Investitionen unter den Bedingungen des fortgesetzten demografischen Abbaus in mehreren Regionen Ostdeutschlands.

Eine folgende zurückblickende Erklärung hieraus für verringerte Investitionen dürfte für die Zukunftsprognose zumindest unbefriedigend sein: "Der starke Rückgang der realen Investitionen, darunter auch der Investitionen in neue Ausrüstungen und Anlagen, ist wahrscheinlich langfristig der Hauptfaktor für die faktische Stagnation des Konvergenzprozesses und das größte Hemmnis für den notwendigen weiteren ostdeutschen Aufholprozess."
Hierzu wären m.E. ergänzende statistische Belege hinsichtlich der Ausrüstungs- und Anlageinvestitionen für Ostdeutschland nützlich.

Zu beachten ist jedoch auch die künftig negative Einstellung des ifo-Dresden zu den ostdeutschen Infrastrukturinvestitionen wie folgt:

"Nach dem weitgehenden Schließen der Infrastrukturlücke sind nunmehr weniger Infrastrukturinvestitionen in Ostdeutschland dringend notwendig", wird in der grundlegenden Analyse von Ifo-Dresden vom Oktober 2013 erklärt.[3] Diese Aussage steht allerdings im krassen Gegensatz zur mehrheitlichen Auffassung in jenen betroffenen ostdeutschen Bundesländern, in denen lautstark und nachdrücklich ein großer Erneuerungs- und Nachholbedarf für den Sektor der regionalen Infrastruktur beklagt wird. Auch ein auffälliger Unterschied besteht zu der neuen Ursachen-Analyse des BMWi für die rückläufige Investitionsneigung in ganz Deutschland, die dort hauptsächlich im Bereich der Bauwirtschaft in den zurückliegenden Jahren lokalisiert wird.[4]


Fazit

Folglich bleibt nochmals zu erinnern:

Das zurückbleibende Niveau der ökonomischen Leistungsfähigkeit Ost- im Vergleich zu Westdeutschland kann künftig nur aufgeholt werden, wenn die ostdeutschen BIP-Wachstumsraten die westdeutschen deutlich und längerfristig überflügeln in der Größenordnung von +2 %. Unterhalb dieser Bedingung lassen sich nur graduelle Fortschritte im bleibenden Rückstand erzielen, wenn überhaupt. Wie dann - wie oben zitiert - in Ostdeutschland "auf einen selbstragenden sozial-ökologischen Entwicklungspfad einzuschwenken" gelingen sollte, wird leider nicht überzeugend begründet: Die selbsttragende Qualität eines künftigen ostdeutschen Entwicklungspfads setzt m.E. den weitgehenden Verzicht auf investive West-Ost-Hilfen voraus und orientiert auf verfügbare ostdeutsche Investitionsquellen zumindest im staatlichen Sektor der Wirtschaft.

Die Skepsis von ifo-dresden kommt schon in einer früheren Veröffentlichung klar zum Ausdruck:

"Ob es gelingt, die 'Angleichung der Lebensverhältnisse' künftig stärker voranzutreiben, muss eher kritisch gesehen werden. Zum einen dürfte es mit fortschreitender Schrumpfung der (erwerbsfähigen) Bevölkerung schwerer fallen, den Arbeitseinsatz zu erhöhen; zum anderen wird es mit zunehmender Alterung der Erwerbspersonen aber auch schwieriger, höhere Produktivitätssteigerungen als in Westdeutschland zu erreichen. Gerade Letzteres scheint aber der Schlüssel für weitere Konvergenzfortschritte zu sein."[5] (Hervorhebung durch mich - K.M.)

An der überflügelnden Wachstums- bzw. Produktivitätsrate Ost gegenüber West scheint für ifo-Dresden kein Weg vorbei zu führen.

Im Jahre 2008 hatte Ulrich Busch schon einmal die makroökonomischen Bedingungen für die ostdeutsche Perspektive gemäß mehreren Entwicklungsszenarien diskutiert und kam zu dem Schluss, dass "der Rückgang der Bevölkerung ... volkswirtschaftlich zu sinkenden Ausgaben und einer Reduktion des Konsumtionsniveaus bei den nicht-handelbaren Gütern führt. In der Folge ginge auch die Arbeitsnachfrage zurück ... Letztlich sinkt dadurch die Dynamik der wirtschaftlichen Aktivität überhaupt ...".[6] Durch die Konzentration der Wirtschaftsförderung auf die verschwindend wenigen ostdeutschen Innovationsinseln kann künftig dieser Umstand kaum ausgeglichen werden.


Anmerkungen:

[1] So wurde in der Literatur kritisch vermerkt: "Selbst die anfangs unterstellte Erwartung einer Angleichung bis zum Ende des Solidarpakts II im Jahre 2019 scheint inzwischen obsolet." (Busch/Mai, "Konvergenzbremse Produktivität", in: "Berliner Debatte Initial", Heft 4-5/2007, S. 131) Dort findet sich auch eine inhaltlich-quantitative Analyse des Konvergenzprozesses, wonach die Differenz der beiden Wachstumsraten ein entscheidendes Kriterium bildet.

[2] Nach einem mir vorliegenden Manuskript - K. Mai.

[3] ifo-Dresden, "Endbericht zum Forschungsvorhaben 'Öffentliche Infrastrukturinvestitionen', Oktober 2013. (Hervorhebung durch mich - K.M.)

[4] BMWi, Monatsbericht 12/2013, S. 14, Abbildung 3.

[5] ifo-dresden, http://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/presse/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen-Archiv/2012/Q3/press_20120731_Wirtschaftliche-Angleichung-zwischen-Ost-und-West/featuredDownloadBinary/PM-ND-Wirtschaftliche_Angleichung_Ost_West.pdf

[6] Ulrich Busch, "Makroökonomische Bedingungen für Akteure in Ostdeutschland", in: "Berliner Debatte Initial" Heft 3/2008, S. 74; mit umfangreichen Literaturangaben.

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Quelle:
© 2014 by Karl Mai, Halle/S.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2014