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MEINUNG/052: Krise als Geschäftsmodell (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015

Money for Nothing
Krise als Geschäftsmodell

Es gibt nichts, womit man kein Geld verdienen kann
Krise als Geschäftsmodell

von Jürgen Maier


Krisen sind immer auch Chancen - für eine Neuorientierung, für ein Abstellen der Krisenursachen zum Beispiel. Aber für manche Leute sind Krisen auch Chancen anderer Art. Mit Krisen kann man nämlich sehr gut Geld verdienen. Solche Leute entwickeln natürlich wenig Interesse, die Krisenursachen abzustellen oder die Krise zu beenden. Im Gegenteil, je länger die Krise dauert, desto besser. Mit Krisen als Geschäftsmodell beschäftigt sich der Schwerpunkt dieses Rundbriefs. Wer sich mit Umwelt und Entwicklung beschäftigt, befasst sich normalerweise auch mit Krisen: Klimakrise, Hungerkrise, Verschuldungskrise, Energiekrise, Flüchtlingskrise... Die Liste ließe sich noch erheblich verlängern. Trotz aller Weltkonferenzen, NGO-Kampagnen, Aktionsprogramme usw. zieht sich durch unsere Publikationen der letzten 20 Jahre wie ein roter Faden die Tatsache, dass diese Krisen einfach nicht gelöst werden. Immer wieder wird es neu beschlossen. Agenda 21, Weltkonferenzen, Millenniumsentwicklungsziele, Ziele für Nachhaltige Entwicklung... Warum eigentlich? Ist die Menschheit zu blöd? Die Aufgabe zu schwierig, oder technisch unlösbar? Ist alles einfach zu teuer? Haben wir kein Geld? Machen wir alles falsch? Oder wollen einfach zu viele Leute nicht, dass die Krisen wirksam angegangen werden und ihre Ursachen beseitigt werden? Sind Krisen Geschäftsmodelle?

Die Krise, die die europäische Öffentlichkeit im ersten Halbjahr 2015 am meisten beschäftigte, war wohl die Eurokrise, wahlweise auch als Griechenlandkrise bezeichnet. Ähnliche Krisen erschütterten in den letzten Jahren auch Spanien, Portugal, Irland und diverse osteuropäische Länder - und in den Jahrzehnten zuvor viele Entwicklungsländer. Angeblich sind diese Krisen jetzt gelöst. Sind sie es wirklich? Und wie wurden sie gelöst?


Eurokrise

Im Tagesspiegel(1) konnte man vor vier Jahren nachlesen, wie der Journalist Harald Schumann die "Griechenland-Rettung" unter die Lupe nahm, griechische Staatsanleihen kaufte und sich dann selbst "retten" ließ. Binnen einer halben Stunde hatte er 434 Euro verdient und schrieb: "Wenn ein Amateur aus der Dummheit der Regierungen so einfach Gewinn schlagen kann, dann können die Profis bei Hedgefonds und Banken damit Milliarden machen. Statt nur eigenes Geld einzusetzen, können sie sich das Zehnfache ihres eigenen Einsatzes dazuleihen und so die Rendite vervielfachen, während die Zinsen für die paar Tage kaum ins Gewicht fallen. Nicht acht, sondern 80 % Rendite können sie so binnen Wochenfrist einstreichen. Wenn sie es zudem nicht so primitiv wie ich über den bloßen Anleihekauf machen, sondern mit Derivaten, die ihrerseits einen noch höheren Hebel enthalten, sind sogar auch Gewinne von 100 % und mehr drin."

Aber wer waren, außer Harald Schumann, all die Gläubiger Griechenlands, Spaniens, Irlands, die gerettet wurden? Bis heute geben sich Europas Finanzministerien dazu sehr einsilbig. Mit der arte-Dokumentation "Staatsgeheimnis Bankenrettung" wurde eindrucksvoll gezeigt, wie sehr Europas Regierungen darauf bedacht sind, die Identität der "Geretteten" zu verschleiern.(2) Eine durchgesickerte Liste der Kreditgeber der Anglo Irish Bank enthielt vom Allianz-Konzern über die Deutsche-Bank-Fondsgesellschaft (DWS) und die Landesbank Baden-Württemberg bis zur Union Investmentgesellschaft der Raiffeisenbanken all die üblichen Verdächtigen, die auch schon von der Bankenrettung profitierten. In bewusster Irreführung der Öffentlichkeit wird von der "Rettung" der Griechen (und Iren und Portugiesen) geredet, obwohl doch in Wahrheit einzig jene gerettet wurden, die einfach nur schlecht investiert haben. Die Bürger und Bürgerinnen der betroffenen Euro-Staaten selbst dagegen werden keineswegs gerettet. Kaum zu glauben, aber wahr: Europa schnürt jahrelang milliardenschwere "Hilfspakete", aber niemand interessiert sich dafür, wer dieses Geld eigentlich konkret bekommt.


Deutschland profitiert von der Krise

Im August machte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) Schlagzeilen mit dem Studienergebnis, dass der deutsche Staatshaushalt an der Griechenlandkrise gut verdiene - selbst wenn die rund 90 Milliarden geliehenen Euro verloren wären: Deutsche Staatsanleihen sind beliebt, die Zinslast sinkt. Seit Beginn der "Griechenland-Krise" 2010 sei der deutsche Staatshaushalt um rund 100 Milliarden Euro oder gut 3 % im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt entlastet worden. Die WissenschaftlerInnen erklärten, wegen der Krise versuchten Investoren, ihr Geld sicher anzulegen und kauften bevorzugt deutsche Staatsanleihen, denen von allen großen Ratingagenturen ein sehr geringes Risiko bescheinigt werde. "Jedes Mal, wenn es für die Finanzmärkte in den letzten Jahren negative Neuigkeiten zum Thema Griechenland gab, fielen die Zinsen auf deutsche Staatsanleihen." So seien die Zinsen auf Bundesanleihen im Januar an einem einzigen Tag um 0,3 Punkte gesunken, als sich ein Sieg der inzwischen regierenden Syriza-Partei abzeichnete. Auch die Anleihen anderer Länder hätten profitiert, "aber in einem deutlich kleineren Ausmaß."(3)

Le Soir(4) meldete, Belgien habe 12 Milliarden profitiert, nach Berechnungen des Wirtschaftswissenschaftlers Eric Dor von der Katholischen Universität Lille. Auch der Internationale Währungsfond (IWF) profitiert kräftig von der Euro-Krise: Mit stolzen 3,6 % Zinsen auf seine Griechenland-Kredite hat der IWF bereits 2,5 Milliarden Euro von der Eurokrise profitiert; bis 2024 werden es 4 Milliarden sein.(5)

Andere profitierten davon, die Krise mitzuverursachen. Als sich Griechenland 2001 wundersamerweise für die Euro-Mitgliedschaft qualifizierte, half die Investmentbank Goldman Sachs der griechischen Regierung mit undurchschaubaren Transaktionen ("swaps") den wahren Schuldenstand des Staates zu verschleiern - und verdiente eine Menge Geld damit, angeblich 500 Millionen Dollar. Goldman bestreitet diese Zahl, weigert sich aber eine andere Zahl anzugeben.(6) Die Goldman-Bankerin, die das bewerkstelligte, die Griechin Antigone Loudiadis, verdiente daran persönlich 12 Millionen. Ihr Kollege George Jabbour stieg aus, gründete "Ethos Capital Advisors" und bot Griechenland an, dabei zu helfen, einen Teil des Geldes von Goldman zurückzuholen. Vorher hatte er schon Portugal erfolgreich geholfen, Geld von einer Reihe Londoner Banken zurückzuholen, die das Land über den Tisch gezogen hatten. Vielleicht wollten sich die portugiesischen Politiker sogar gerne über den Tisch ziehen lassen, wer weiß das schon?


Krise? Privatisierung!

Die Krise, ein wunderbares Geschäftsmodell, dessen Dimension wir wohl allenfalls erahnen können. Die Deutsche Bank verschickte am 17. Juli 2015 ein "Research Briefing" mit dem Titel: "Privatisierung in der Eurozone: Günstige Bedingungen nutzen". Dort konnte man detailliert nachlesen: "Die Zeit für Privatisierungen ist günstig... Institutionelle Anleger wie Pensionsfonds und Versicherungen suchen angesichts niedriger Renditen alternative Investitionsmöglichkeiten."

Aber öffentliche Haushaltskrisen gibt es nicht nur in Südeuropa. Auch die meisten deutschen Kommunen sind in einer ähnlichen Lage und es ist kaum absehbar, dass sie ohne einen drastischen Schuldenschnitt oder eine grundlegende Reform des Kommunalfinanzwesens jemals wieder aus dieser Schuldenfalle herauskommen können. Die Folgen sind offensichtlich: öffentliches Eigentum wird verkauft und öffentliche Dienstleistungen werden zurückgefahren. Auch mit der kommunalen Haushaltsnot kann man Geld verdienen. Zitat aus der FAZ: "Deutscher Waldfonds: In der Krise sind Anlagen in Wald gefragt. Emissionshäuser profitieren von der Suche nach Sachwerten. Nun wird der erste Fonds auf deutschen Forst aufgelegt. Der Initiator hofft darauf, dass die Kommunen immer mehr Wald verkaufen [...]Bisher galt Forst, der sich in öffentlicher Hand befindet, als weitgehend unverkäuflich. Viele Kommunalpolitiker schreckten davor zurück, ausgerechnet Wald, der bei Deutschen emotional so hoch besetzt ist, an private Investoren abzugeben [...] Ein Fondsvolumen von 200 Millionen Euro wird für den Deutschen Waldfonds angepeilt, einen Fonds nach Luxemburger Recht, der ausschließlich an institutionelle Anleger verkauft wird. Den Zeichnern stellt die Deutsche Forst Invest eine Gesamtrendite von 4 bis 7,5 % in Aussicht." (7)

So wird der Wald zu einer Investition, die marktübliche Renditen zu erwirtschaften hat. Nachhaltige Waldnutzung kann man dann vergessen, was zählt ist Shareholder Value. Wenn Privatisierungen nicht mit demokratischen Entscheidungen herbeigeführt werden können, dann muss man eben Sachzwänge schaffen, die sich demokratischen Entscheidungen entziehen. Mit einer systematischen Unterfinanzierung der Kommunen wird der neoliberale Traum von einer fast kompletten Privatisierung öffentlichen Eigentums, öffentlicher Dienste nach und nach Wirklichkeit. Wer das politisch will, und wer davon profitiert, kann natürlich gar kein Interesse daran haben, die Kommunalfinanzkrise zu lösen. Im Gegenteil.


Geschäfte mit dem Hunger

Auch mit dem Welthunger kann man gute Geschäfte machen. Es gibt einfach zu viel Geld zum Anlegen: Die Zentralbanken haben die Märkte im Kampf gegen die Finanzkrise mit Liquidität geflutet. Das Zinsniveau ist auf Rekordtief. Die Reichen, Superreichen und ihre Fonds suchen nach Anlagemöglichkeiten für das viele Geld. Seit sie die Spekulation mit Rohstoffen als neue Gewinnquelle entdeckt haben, fließen hunderte Milliarden Dollar in Wetten auf steigende Preise auch von Agrarrohstoffen. Die Folge dieser Wetten auf den großen Hunger: Weizen, Mais und Soja sind so teuer wie nie - für die etwa eine Milliarde Hungernden oft zu teuer. Laut Foodwatch hat sich das Kapital an den Terminmärkten seit dem Jahr 2000, als diese Börsen für Investoren geöffnet wurden, von 15 Milliarden auf 600 Milliarden Dollar erhöht. 600 Milliarden, die Rendite erwirtschaften müssen.

Das Auftreten der Kapitalanleger hat die Rohstoffbörsen eng an die Finanzmärkte gekoppelt. Faktoren wie Zinshöhe, Risikobereitschaft oder fallende Aktienkurse bestimmen immer mehr die Preise für Rohstoffe, völlig unabhängig davon, wie sich Angebot und Nachfrage für die physische Ware entwickeln. Sicher, Missernten und dergleichen haben auch Einfluss auf Rohstoffpreise. Aber die Finanzanleger können die damit ausgelösten Preisschübe in hohem Maße verstärken und verlängern. Und wer sind diese Anleger? Da findet man die bekannten Namen wie Goldman Sachs, Allianz, Deutsche Bank...

Die EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID II soll rücksichtslosen Nahrungsmittelspekulanten das Handwerk legen. Aber die Finanzindustrie versucht massiv, die geplanten strengen Regeln aufzuweichen. Zahlreiche Ausnahmen und Schlupflöcher untergraben das ursprüngliche Ziel, Marktverzerrungen und Preisschwankungen zu verhindern.(8)

Die Krisengewinner sitzen mitten unter uns. Sie haben in den Deutschen Waldfonds investiert, in die Allianz, in Pensionsfonds. Eigentlich sind die Deutschen alle Krisengewinner, könnte man sagen: Wenn der deutsche Staat so billig wie nie Kredite aufnehmen kann, haben wir alle gewonnen. Warum also sollen wir ein Interesse daran haben, Krisen ernsthaft und nachhaltig zu lösen, wenn wir daran so gut verdienen? Wegen der Moral? Erst kommt das Fressen, dann die Moral - Bertolt Brecht brachte es pointiert auf den Punkt.

Vielleicht sollten wir bei der Diskussion um Krisen nicht nur mit der Moral argumentieren, sondern die Krisen stärker ökonomisch analysieren und feststellen, wer von ihnen profitiert: Follow the money. Für eine Politik, die an den Krisenursachen ansetzt, kann das jedenfalls nicht schaden.


Der Autor ist Geschäftsführer des Forum Umwelt und Entwicklung.


Anmerkungen:

(1) Tagesspiegel 24.9.2011; http://www. tagesspiegel.de/politik/euro-krise-mitdummheit-geld-machen/4656616.html.

(2) http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/eurokrise-staatsgeheimnisbankenrettung/7826402.html;
http:// www.arte.tv/guide/de/048116-000/ staatsgeheimnis-bankenrettung.

(3) ntv, 10.8.2015.

(4) http://www.lesoir.be/972932/article/economie/2015-08-27/belgique-gagne-12-milliards-d-euros-grace-grece.

(5) http://jubileedebt.org.uk/news/imf-madee2-5-billion-profit-greece-loans.

(6) http://www.independent.co.uk/news/world/europe/greek-debt-crisis-goldmansachs-could-be-sued-for-helpingcountry-hide-debts-when-it-joinedeuro-10381926.html.

(7) http://www.faz.net/aktuell/finanzen/devisen-rohstoffe/deutscher-waldfondsin-der-krise-sind-anlagen-in-waldgefragt-11106060.html.

(8) http://www.euractiv.de/sections/entwicklungspolitik/exzessivenahrungsmittelspekulation-eufinanzmarktrichtlinie-droht-ins; http://www.oxfam.de/sites/www.oxfam.de/files/20150713-schlupfloecher-imkleingedruckten-oxfam-hintergrundmifid.pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015, Seite 2-4
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2015

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