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REDE/426: Bundesminister Brüderle - Eine Wirtschaftspolitik für Wachstum und Arbeitsplätze (BMWi)


Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie - Berlin, 23. April 2010

Eine Wirtschaftspolitik für Wachstum und Arbeitsplätze

Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie Rainer Brüderle anlässlich der Regierungserklärung zur Wirtschaftspolitik am 23.04.2010 im Deutschen Bundestag


Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

Deutschland wächst wieder. Dieses Jahr mit knapp 1 1/2 Prozent. Nächstes Jahr mit gut 1 1/2 Prozent.

Der Vulkanausbruch auf Island hat die Wirtschaft kurzzeitig abgebremst.

Wenn sich die Lage im Laufe der nächsten Tage wieder normalisiert, werden sich die volkswirtschaftlichen Schäden aber in Grenzen halten.

Wir können zuversichtlich sein, dass wir diesen exogenen Schock, wie Ökonomen das nennen, gut wegstecken.

Wir sind gut aufgestellt. Deutschland ist nachhaltig zurück auf Wachstumskurs.

Wir freuen uns über diese guten Aussichten. Wir nehmen das als Ansporn.

Vieles von dem, was sich in diesem Jahr als Wachstum zeigt, ist Folge staatlicher Stabilisierungsmaßnahmen.

Angesichts der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit brauchte die Wirtschaft Impulse.

Worum es uns aber letztlich gehen muss, ist die Rückkehr zu einem selbst tragenden, nachhaltigen Wachstumsprozess, der nicht auf den Staat zählt, sondern auf Marktkräfte und Eigeninitiative vertraut.

Im Kern geht es dabei um das richtige Verhältnis zwischen Staat auf der einen und Wirtschaft und Bürgern auf der anderen Seite.

Nicht Bevormundung und Gängelung, sondern Freiheit, Eigenverantwortung und Chancengerechtigkeit sind die Quellen, aus dem tragfähiges Wachstum und echter Wohlstand entstehen.

Diese Regierung hat einen klaren ordnungspolitischen Kompass:

Dauersubventionen, staatliche Bürokratie und Markteingriffe sind keine Grundlagen für eine wirklich wettbewerbsfähige Wirtschaft.

Was wir unterstützen wollen, sind: Lernen, Kreativität, Engagement, die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen und den Willen, die Dinge selbst zu gestalten.

So gesehen sind Deutschlands Wachstumspotentiale noch längst nicht ausgeschöpft.

Unser Wachstumspfad liegt noch immer deutlich unter seinen Möglichkeiten.

Wenn wir diese Potentiale heben wollen, müssen wir an drei zentralen Stellen ansetzen:

1) Wir brauchen Innovation und technischen Fortschritt.

2) Wir brauchen wirksame Steuervereinfachungen und -entlastungen.

3) Wir brauchen offene und flexiblere Märkte.

Innovation und technischer Fortschritt

Innovation und technischer Fortschritt sind für die
christlich-liberale Bundesregierung Schlüsselthemen.

Wir haben hier schon wichtige Weichen gestellt.

Allein der Bund wird in dieser Legislaturperiode zusätzlich 12 Milliarden Euro für Forschung, Entwicklung und Bildung bereitstellen.

Innovation ist aber nicht nur eine Frage des Geldes in den Taschen, sondern vor allem auch des Denkens und der inneren Einstellung.

Neue Technologien brauchen einen positiven Resonanzboden in Politik und Gesellschaft.

Nur wenn wir Innovation wieder als Chance sehen, hat Innovation hierzulande auch eine Chance.

Deshalb brauchen wir den Beitrag der Genforschung zur Linderung von Hunger und Krankheiten.

Deshalb ist für uns die CO2-Speichertechnologie ein möglicher Schlüssel für mehr Klimaschutz am Industriestandort Deutschland.

Deshalb brauchen wir Offenheit für neue Technologien wie die Elektromobilität, um das Auto des 21. Jahrhunderts in Deutschland neu zu erfinden.

Am 3. Mai bringt die Bundeskanzlerin dafür alle wichtigen Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik an einen Tisch.

Von diesem Treffen wird das Signal ausgehen: Deutschland wird der Leitmarkt für Elektromobilität sein.


Meine Damen und Herren,

Derzeit läuft die Versteigerung der Mobilfunkfrequenzen.

Es wird bei weitem nicht so viel Geld in den Bundeshaushalt fließen wie bei der UMTS-Versteigerung im Jahr 2000.

Aber dieser Bundesregierung geht es nicht wie damals Rot-Grün darum, Kasse zu machen.

Uns geht es um die Infrastruktur des 21. Jahrhunderts.

Uns geht es darum, das schnelle Internet in ganz Deutschland zu ermöglichen.

Deswegen gibt es die Auflage an die Bieter, zunächst die noch unversorgten Räume zu erschließen.

Wir brauchen Breitband überall. Ein Industriegebiet braucht heute beides: gute Straßen und ein leistungsfähiges Internet. Kein Unternehmen darf "offline" sein.


Energiepolitik

Strukturell genauso wichtig wie das Breitband ist eine saubere, eine sichere und eine bezahlbare Energieversorgung.

Heute brauchen wir einen dynamischen Energie-Mix aus Erneuerbaren, Kernenergie und sauberer Kohle.

Für Morgen und Übermorgen wollen wir die Erneuerbaren Energien stark ausbauen.

Dafür brauchen wir verlässliche Übergänge.

Ein Übergang ist der Ausbau der Netze.

Ein weiterer Übergang ist die Entwicklung von Speichertechnologien.

Als Brücke ins regenerative Zeitalter brauchen wir die Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke.

Sie gibt uns die Zeit und die finanziellen Mittel, den Übergang vernünftig zu gestalten.

Mein Kollege Röttgen und ich werden im Herbst ein Energiekonzept vorlegen. Übrigens das erste seit 11 Jahren. Wir haben einen vernünftigen Kompass, der uns beim Konzept leitet.


Innovationspolitik

Im globalen Wettbewerb müssen wir besser sein als die anderen. Besser heißt hier: innovativer.

Ein wichtiges Thema ist dabei die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung.

Sie kommt allen innovativen Unternehmen zu Gute. Auch denjenigen, die bisher vor den Anträgen für die Projektförderung zurückgeschreckt sind.

Das wäre also ein gutes Mittel, um die Forschungsleistung unserer Wirtschaft generell anzukurbeln.

In Zeiten knapper Kassen macht es sicher Sinn, die Maßnahme zunächst auf den Mittelstand zu fokussieren.

Das gilt auch für die von dieser Bundesregierung konzipierten Innovationsgutscheine, die ich Anfang Mai vorstellen werde. Mittelständler erhalten durch diese Gutscheine eine Art technologisches Fitnesstraining ohne viel Bürokratieaufwand.


Steuern vereinfachen und senken

Die erfreuliche Wirtschaftsentwicklung bekommen die Bürgerinnen und Bürger direkt in ihren Geldbeuteln zu spüren.

Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte steigen spürbar.

Wir haben einen Zuwachs bei den Nettolöhnen. Die steigen so stark wie seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr.

Die Bundesregierung hat hierzu ihren Beitrag geleistet.

Sie wird einen weiteren Beitrag leisten.

Wir werden die Wirkung der "kalten Progression" abmildern, die unteren und mittleren Einkommensbezieher weiter entlasten.

Die Effekte für den Arbeitsmarkt wollen wir maximieren.

Deshalb die Bundesregierung im Koalitionsvertrag einen Stufentarif vereinbart.

Im Bundeswirtschaftsministerium haben wir das kürzlich durchrechnen lassen: Ein Tarif mit fünf Stufen und einem Entlastungsvolumen von 16 bis 17 Milliarden Euro würde 130.000 neue Arbeitsplätze schaffen.

Als Wirtschaftsminister ist mir dabei besonders wichtig:

Neben der Entlastung der unteren und mittleren Einkommen zur Stärkung der Kaufkraft geht es auch um 80 Prozent der deutschen Betriebe.

Sie sind Personengesellschaften.

Für sie ist die Einkommensteuer die Unternehmenssteuer.

Wir wollen also auch den Mittelstand entlasten. Das stärkt die Eigenkapitalbasis, die Substanz jedes Unternehmens.

Die Stärkung der Unternehmenssubstanz ist übrigens ein roter Faden unserer Steuerpolitik.

Das haben wir bei der Zinsschranke gezeigt. Das haben wir bei der Erbschaftssteuer gezeigt.

Dagegen will Rot-Rot-Grün mit ihren Vermögenssteuerplänen den Unternehmen an die Substanz.

Es ist dann nicht glaubwürdig, wenn die SPD die Abschreibungsbedingungen aus den Konjunkturpaketen dauerhaft verlängern will, aber auf der anderen Seite die Eigenkapitalbasis der Unternehmen durch die Vermögenssteuer dauerhaft schmälert.


Flexiblere Märkte

Ein weiterer zentraler Schlüssel zu mehr Wachstumspotential sind flexiblere Märkte. Das gilt heute mehr denn je. Der Staat war in der Krise gefordert.

Nun ist der Staat gefordert, sich wieder zurückzuziehen.

Denn das beste Entdeckungsverfahren bleibt der Wettbewerb. Er ist Garant für Dynamik und Innovation.

Wir haben das bei der Telekommunikation gesehen.

Der Markt wurde in den 90er Jahren von der damaligen
liberal-christlichen Regierung geöffnet.

Davon profitiert unsere Gesellschaft bis heute.

Statt trister Telefonzellen und horrender Fernsprechrechnungen gibt es jetzt einen boomenden Telekommunikationsmarkt mit vielfältigen Techniken und niedrigen Tarifen.

Wir wollen solche Erfolgsgeschichten auch in anderen Sektoren.

Im Postmarkt machen wir Schluss mit dem Mehrwertsteuerprivileg der Post.

Dazu hatten sozialdemokratische Finanzminister 11 Jahre nicht die Kraft. Die neue Regierung sorgt für gleiche Wettbewerbsbedingungen im Postsektor.

Wir werden die Gasmärkte in den nächsten Monaten weiter öffnen. Die Gasnetz-Zugangsverordnung wird dafür in Kürze ein erster Baustein sein.

Für den Stromgroßhandel werden wir eine Marktransparenzstelle einrichten, die die Preisbildung dort dauerhaft unter die Lupe nimmt.

Und wir werden für alle Branchen als ultima ratio ein
Entflechtungsinstrument in das GWB aufnehmen.

Offene und flexible Märkte brauchen wir auch im weltweiten Maßstab.

Das gilt zum Beispiel für die Rohstoffversorgung.

Ich sehe mit großer Sorge, wie sich zum Beispiel bei der Eisenerzgewinnung monopolartige Strukturen herausbilden und die Preise nach oben treiben.

Bei anderen Rohstoffen wie den so genannten seltenen Erden gibt es in wichtigen Ausfuhrstaaten starke protektionistische Tendenzen.

Ich werde deshalb in Kürze die deutsche Wirtschaft zu einem Rohstoffdialog einladen.

In meiner Außenwirtschaftspolitik ist das Thema Rohstoffe zentral.

Ganz konkret werde ich nächste Woche in Brasilien die Eisenerzfrage mit meinem Amtskollegen erörtern.

Wichtig ist, dass wir die Markttransparenz im Rohstoffbereich deutlich erhöhen.

Dazu werden wir die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zur zentralen Rohstoffagentur für die deutsche Wirtschaft ausbauen.


Arbeitsmarkt

Flexible Märkte sind widerstandsfähig.

Das verdeutlicht der erstaunlich robuste Arbeitsmarkt: 3, 4 Millionen Arbeitslose nach der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit - da kann man schon von einem kleinen Jobwunder sprechen.

Die düsteren Prognosen der letzten Zeit haben sich jedenfalls nicht bewahrheitet.

Von Horrorszenarien aus rot-grünen Zeiten mit 4,5 bis 5 Millionen Arbeitslosen sind wir weit entfernt. Die Bürger erinnern sich noch genau:

Rot-Grün war die Regierung des Nullwachstums und der
Massenarbeitslosigkeit.

Schwarz-Gelb ist die Regierung von Wachstum und Beschäftigung.

Es waren immer die bürgerlichen Parteien, die auf flexible Arbeitsmärkte gedrängt haben.

Und wir wissen genau: Die gute Entwicklung verdanken wir den vielen betrieblichen Bündnisse für Arbeit, die mit Lohnzurückhaltung und Arbeitszeitkonten das kleine Jobwunder erst möglich gemacht.

Der Flächentarif ist zwar von den Tarifpartnern nicht komplett aufgegeben worden. Aber die zentralen Abmachungen lassen viel mehr Flexibilität zu als früher.

So konnten regulär Beschäftigte über die Krise hinweg gehalten werden.

Von dieser Flexibilität haben letztendlich alle profitiert:

Denn zwei Drittel der positiven Arbeitsmarkteffekte gehen auf das Konto von Arbeitszeitflexibilisierung und Lohnzurückhaltung.

Im Krisenjahr 2009 war ein Drittel auf die Kurzarbeiterregelung zurückzuführen.

Mit der Ausweitung der Kurzarbeiterregelung hat die Bundesregierung die Rahmenbedingungen für die Flexibilität der Unternehmen verbessert.

Facharbeiter konnten gehalten werden.

Mit dem Abflauen der Krise wird das Kurzarbeitergeld wieder an Bedeutung verlieren.

Die am Mittwoch beschlossene Verlängerung ist eine Vorsichtsmaßnahme. Die so genannte Konzernklausel haben wir nicht verlängert.

Die Kurzarbeitergeldregelung ist damit ein Stück
mittelstandsfreundlicher.

Kollegin von der Leyen und ich sind uns völlig einig:

Die Maßnahmen zur Krisenbekämpfung können kein Dauerzustand sein.

Dauerhafte Subventionen stehen nicht nur im Widerspruch zum christlich-liberalen Verständnis vom Verhältnis zwischen Mensch und Staat.

Sie verzerren auch den Wettbewerb und stehen einem effizient funktionierenden Marktmechanismus im Weg.

Letztendlich sind dauerhafte Subventionen schlichtweg nicht zu finanzieren.

Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

die aktuellen Konjunkturprognosen und die Zahlen vom Arbeitsmarkt zeigen:

Seitdem diese Regierung angetreten ist, ist Deutschland endlich wieder auf Wachstumskurs.

Die Sofortmaßnahmen der letzten Monate haben gewirkt.

Viele Unternehmen sind weiterhin am Markt, viele Jobs konnten gerettet werden.

Jetzt geht es um eine Wirtschaftspolitik, die Wachstum und Arbeitsplätze auch für die Zukunft sichert.

Dafür müssen wir die verschütteten Wachstumspotentiale heben.

Dafür müssen wir Freiräume schaffen.

Dafür steht diese Koalition.


*


Quelle:
BMWi-Pressemitteilung vom 23. April 2010
Herausgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
Pressestelle des BMWi
Telefon: 03018-615-6121 oder -6131
E-Mail: buero-L2@bmwi.bund.de
Internet: http://www.bmwi.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2010