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UNTERNEHMEN/2689: Die Rolle der deutschen Autolobby im Diesel-Abgasskandal (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2017

Konzerne außer Kontrolle?
Über Macht und Ohnmacht des Staates

Die Industrie am Steuer
Die Rolle der deutschen Autolobby im Diesel-Abgasskandal

von Christina Deckwirth


Als Mitte September 2015 bekannt wurde, dass der Volkswagen-Konzern seine Autos für die Abgasmessungen manipulierte, war dies der Anfang eines der größten Lobbyskandale der Wahlperiode. (1) Inzwischen ist klar: Die Affäre betrifft längst nicht mehr nur VW, sondern auch andere deutsche und ausländische AutoherstellerInnen. Sie alle haben bei Abgastests massiv getrickst und betrogen. Aus dem ursprünglichen VW-Skandal wurde so die Dieselgate-Affäre. Betroffen ist aber nicht nur die Autoindustrie, sondern ebenso Regierung und Behörden. Obwohl die Politik schon lange über die gesundheitsschädlichen Grenzwertüberschreitungen informiert war, griff sie nicht ein. Ein solcher Umgang offenbart eine problematische Kultur des Wegschauens zugunsten der Autoindustrie.


Es sind die Verstrickungen und Verflechtungen zwischen Autoindustrie auf der einen und Politik und Verwaltung auf der anderen Seite, die dem Abgasskandal den Boden bereitet haben. Die deutsche Autolobby ist eine der mächtigsten und einflussreichsten Lobbybranchen der Republik und der gesamten Europäischen Union (EU). In Deutschland ist es praktisch Staatsräson, die deutsche Automobilbranche zu schützen - auch wenn dies zulasten der Umwelt oder des Verbraucherschutzes geht.

Sinnbild für diese Symbiose zwischen Autolobby und Bundesregierung sind die vielen und engen personellen Verflechtungen. So etwa Matthias Wissmann: Der Chef des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) war in den 1990er Jahren Kabinettskollege der damaligen Umweltministerin Angela Merkel und gilt noch heute als ihr enger Vertrauter. Allein in den eineinhalb Jahren unmittelbar vor Bekanntwerden der Manipulationen bei VW trafen sich SpitzenvertreterInnen aus der Bundesregierung 9 Mal persönlich mit Wissmann. (2)


Merkels Nähe zur Autolobby: Seitenwechsel zwischen Politik und Autolobby

Im Bundestagswahlkampf 2017 berief Merkel mit Joachim Koschnicke ausgerechnet einen Autolobbyisten zu ihrem Wahlkampfmanager. In seiner vorherigen Funktion als Opel-Cheflobbyist hatte Koschnicke noch wenige Monate zuvor eine zweifelhafte Rolle in der Dieselgate-Affäre gespielt. Interne E-Mails und Protokolle zeigen, wie Koschnicke in kameradschaftlicher Manier enge Kontakte ins Ministerium und in die CDU pflegte, um für Opel die Unregelmäßigkeiten an der Motorsoftware der Opel-Modelle kleinzureden. (3)

Andere Seitenwechsler haben ebenfalls einen engen Draht zu Merkel: Ihr ehemaliger Büroleiter Michael Jansen leitet heute die Hauptstadtrepräsentanz von Volkswagen, ihr früherer stellvertretender Regierungssprecher Thomas Steg ist heute Cheflobbyist bei VW. Und mit Eckart von Klaeden saß im Sommer 2013 sogar ein designierter Autolobbyist mit am Kabinettstisch. Von Klaeden kündigte seinen Seitenwechsel bereits während seiner Amtszeit an, blieb dann aber noch einige Monate als Staatsminister im Kanzleramt.

Auch bei den Parteispenden ist die Autobranche Spitzenreiter. So erhielten Union, SPD, FDP und Grüne im Zeitraum von 2009 bis 2015 rund 13,6 Millionen Euro Spenden aus der Autoindustrie.


Lobbyskandal Dieselgate

Die Bundesregierung sah jahrelang der steigenden Luftverschmutzung in den Städten tatenlos zu, dabei war weithin bekannt, dass die Messwerte im Straßenbetrieb von denen auf dem Prüfstand abwichen. Spätestens mit dem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland - es ging um die erhöhte Luftverschmutzung in den Städten durch Dieselabgase - hätte die Bundesregierung handeln müssen. Stattdessen ließ das Verkehrsministerium kritische NachfragerInnen wie die Deutsche Umwelthilfe abblitzen.

Bei der Aufklärung des Dieselgate-Skandals hat sich vor allem Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) als Schutzpatron der deutschen Autoindustrie erwiesen. Nach Bekanntwerden der Affäre zog er die Kontrolle schnell an sich und richtete eine eigene Untersuchungskommission ein. Mit VertreterInnen aus Verkehrsministerium und Kraftfahrt-Bundesamt sowie einem Professor, der früher für die Autoindustrie gearbeitet hat, fehlte der Kommission allerdings die notwendige Unabhängigkeit. Die Ergebnisse eigens durchgeführter Abgastests stimmten Ministerium und Kraftfahrt-Bundesamt schließlich eng mit den AutoherstellerInnen ab, an vielen Stellen durften die HerstellerInnen den Bericht schönen. (4)

Auch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) spielte eine unrühmliche Rolle in der Dieselaffäre. Es ist die oberste Behörde, die für die Kontrolle der Abgasgrenzwerte bei der Typenzulassung von Autos zuständig ist. Doch im Gegensatz zur US-amerikanischen Umweltbehörde EPA, die den Tricksereien von VW als Erste auf die Schliche gekommen war, nimmt das KBA seine Regulierungsfunktionen kaum wahr. Es stellt sich stattdessen lieber auf die Seite der AutobauerInnen. So zum Beispiel bei der Erstellung des Untersuchungsberichts zur Dieselgate-Affäre: Als der damalige Opel-Lobbyist Koschnicke sich über die Bewertung seiner Modelle beschwerte, gab ihm KBA-Chef Ekhard Zinke kurzerhand recht und ordnete die Streichung der entsprechenden Abschnitte an - und unterzeichnete die E-Mail an seine Beamten mit "industriefreundlichem Gruß".

Kritik an der eigenen Regulierungspraxis weist das KBA damit zurück, dass es auf die Arbeit der technischen Prüfdienste wie TÜV oder Dekra angewiesen sei und selbst keine Tests durchführe. Die Prüfdienste wiederum finanzieren sich durch die AutoherstellerInnen, die sie testen sollen - eine fragwürdige Art der Finanzierung, die die Unabhängigkeit der Prüfinstitute infrage stellt.


Lobbyismus in Brüssel

Auch in Brüssel erwies sich die Bundesregierung als beste Lobbyistin im Sinne der deutschen Autokonzerne. Mit über 40 Vollzeitstellen und Lobbyausgaben in Millionenhöhe gehört die deutsche Autoindustrie auch hier zu den schlagkräftigsten LobbyakteurInnen. Die EU-Kommission bemühte sich bereits vor Bekanntwerden des Abgasskandals, den fragwürdigen Ergebnissen der Abgasmessungen auf die Schliche zu kommen - und zwar durch realistische Straßentests. Doch die Bundesregierung zögerte die Einführung dieser Straßentests immer wieder hinaus.

Doch mit der Verzögerung nicht genug: Als die Abgastests auf der Straße nach dem Dieselgate-Skandal nicht mehr aufzuhalten waren, setzte die Autoindustrie noch einen sogenannten "Konformitätsfaktor" durch, der es erlaubt, die Grenzwerte um einen bestimmten Faktor überschreiten zu dürfen. Hier konnte die Autolobby nun auf ihren direkten Draht in die Politik zählen. Am Vortag der Abstimmung hatte das Bundeskanzleramt eine E-Mail aus der Bayerischen Staatskanzlei erhalten - mit genauen Forderungen zum Konformitätsfaktor, die wiederum bis ins Detail mit Forderungen von BMW übereinstimmten. Auch VDA-Präsident Matthias Wissmann hatte kurz vor der Abstimmung mit der Bundeskanzlerin Kontakt aufgenommen. Ein Anruf der Kanzlerin bei EU-Kommissionspräsident Juncker führte schließlich zu der Erhöhung des Konformitätsfaktors, und zwar ganz im Sinne der deutschen Autolobby.


Fazit: Enges Verhältnis zwischen Politik und Autolobby überprüfen

Die Bundesregierung und mit ihr die zuständigen Behörden haben im Fall Dieselgate nicht nur viel zu lange weggeschaut - sie behindern auch die Aufklärung des Skandals und halten weiter ihre schützende Hand über die Autoindustrie. Dieselgate legt offen, wie schädlich die Kumpanei zwischen Bundesregierung, Behörden und Autoindustrie ist - für den Verbraucher- und Gesundheitsschutz, die Umwelt und nicht zuletzt für die Autoindustrie und ihre vielen Beschäftigten. Trotzdem sehen die Bundeskanzlerin und der zuständige Minister offenbar keine Veranlassung für einen Bruch mit der bisherigen Politik.

Dadurch droht auch die Demokratie Schaden zu nehmen. Fälle wie diese schüren das Misstrauen in die Politik. Wer Vertrauen in die Politik wiedergewinnen will, darf systematische Betrügereien und Tricksereien nicht hinnehmen und muss an einer lückenlosen Aufklärung mitwirken. Doch nicht nur das: Die Bundesregierung muss auch ihr enges Verhältnis zur deutschen Autolobby überprüfen. Verkehrspolitische Entscheidungen dürfen nicht allein zugunsten einiger finanzstarker Konzerne und aufgrund ihres Drohpotenzials getroffen werden, sondern müssen auch Verbraucher-, Gesundheits- und Umweltschutz in den Mittelpunkt stellen. Schärfere Regeln zu Seitenwechseln und zur Parteienfinanzierung können einen Beitrag leisten, um den Einfluss der Autolobby zumindest zu dämpfen. Passiert das nicht, sind weitere Skandale vorprogrammiert.



Die Autorin ist Campaignerin bei LobbyControl.


Anmerkungen:

(1) Lobbyreport 2017: Aussitzen statt anpacken. Eine Bilanz von vier Jahren Schwarz-Rot.
https://www.lobbycontrol.de/produkt/lobbyreport-2017.

(2) Kleine Anfrage der Linksfraktion, Bundestags-Drucksache 18/5848 (15.09.2015) Verkehrs- und Baupolitik der Bundesregierung und Beziehungen zu verschiedenen Interessengruppen (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/5571).

(3) Absprache zwischen Behörden und AutoherstellerInnen: 'Mit industriefreundlichem Gruß'. SPIEGEL Online vom 11.11.2016:
http://www.spiegel.de/auto/aktuell/absprache-zwischen-kba-verkehrsministerium-und-autoherstellern-a-1120641.html.

(4) Ebd.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2017, Seite 14-15
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2018

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