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VERKEHR/1445: Brummifahrer - Zeitdruck als Ausrede für ordnungswidriges Verhalten (TU Dresden)


Dresdner Universitätsjournal Nr. 12 vom 5. Juli 2016

Zeitdruck als Ausrede für ordnungswidriges und unsolidarisches Verhalten
Wer als PKW-Fahrer die Autobahn nutzt, sieht die Elefantenrennen als nervendes Dauerproblem

Von Mathias Bäumel


Für den auf der Autobahn fahrenden PKW-Fahrer sind die Elefantenrennen der Brummis so ziemlich das am meisten Nervende einer Reise. Die Häufigkeit dieser (Ordnungs-)Widrigkeiten wird geflissentlich kaum ermittelt, geschweige denn die Brummifahrer sanktioniert. PKW-Fahrer schätzen die Zahl der Elefantenrennen sicher deutlich höher ein als Lobbyisten von Transportunternehmen. Allein während einer kurzen Testfahrt auf der A17 von Dresden-Südvorstadt bis zur Abfahrt Bad Gottleuba am Vormittag des 8. Juni 2016 kam es zu vier Elefantenrennen. Statt der fünfzehn Minuten, die man da normalerweise für die etwa 35 Kilometer braucht, dauerte diese Testfahrt reichlich zwanzig. Ganz abgesehen vom zusätzlichen Fahrstress zwischen ständigem Bremsen und Beschleunigen.

Eines der Hauptprobleme ist das Verhalten der Brummifahrer selbst. Blinken und in einem Zug sofort ausscheren - das ist trauriger Normalfall, nicht selten garniert mit herausgehaltenem Stinkefinger. Wird ein PKW, der mit der empfohlenen Richtgeschwindigkeit von 130 Kilometern pro Stunde fährt, plötzlich mit einem solchen Ausscheren konfrontiert, so ist das vergleichbar mit einer Situation, in der ein Kind plötzlich auf die Straße rennt, auf der der Verkehr im "städtischen Normalbereich" zwischen 40 und 50 km/h fließt. Auch wenn der "elefantische" Überholvorgang durch den Blinker etwas früher angekündigt würde, kann man die Wirkung solcher Elefantenrennen durchaus unter dem Aspekt der Nötigung betrachten. Denn ein Spurwechsel bzw. ein Überholen ist nur dann zulässig, wenn die hinter dem Überholenden fahrenden Fahrzeuge nicht behindert werden. Im online-Bußgeldkatalog bussgeldkatalog.org wird ausgeführt: "Eine Anzeige wegen Nötigung im Straßenverkehr ist in der Regel dann gerechtfertigt, wenn eine schikanöse Behinderung oder ein absichtliches Langsamfahren gemeinsam mit einem plötzlichen Ausscheren" vorliegt. Das Problem dabei ist die Beweisführung. "bussgeldkatalog.org" dazu: "Steht es bei der Nötigung im Straßenverkehr Aussage gegen Aussage und das Verfahren wird ohne Zeugen durchgeführt, entscheidet der Richter, so wie er überzeugt ist."

Der gesellschaftliche Wille, verkehrsrechtlich gegen solche Brummifahrer vorzugehen oder auch Elefantenrennen zum Thema von verkehrswissenschaftlichen und verkehrspsychologischen sowie verkehrsökonomischen Untersuchungen zu machen, scheint nicht sehr ausgeprägt. Da wird Zeitdruck als Ursache für die Elefantenrennen benannt und als "Erklärung" sogar akzeptiert. Wenn jedoch ein Versicherungsvertreter unter dem Druck vieler Termine in seinem PKW mit vierzig km/h zuviel geblitzt wird, zählt der Zeitdruck als Entschuldigung nicht. Die Transportunternehmen sollten ihre Arbeit so organisieren, dass kein Zeitdruck entsteht anstatt Zeitdruck als Ausrede zu nutzen. Wikipedia zufolge sei der erzielte Zeitvorteil für den Brummi-Fahrer ohnehin sehr gering, sogar über einen Tag gerechnet. So benötigt man für eine Strecke von 500 km mit konstant genau 80 km/h 6 Stunden und 15 Minuten. Ist die Strecke dann wirklich durchgehend frei und wird mit permanent 82 km/h durchfahren, werden immer noch 6 Stunden und 6 Minuten benötigt, also keine 10 Minuten weniger. Diese 10 Minuten Zeitgewinn für einen LKW-Fahrer stehen im Gegensatz zu wesentlich höheren, aufsummierten Zeitverlusten der sehr vielen von diesem Brummi betroffenen PKW-Fahrern auf zweispurigen Autobahnen. Das sollte zu denken geben.

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 27. Jg., Nr. 12 vom 05.07.2016, S. 4
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82
Telefax: 0351/463-371 65
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2016

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