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WOHNEN/221: Dauerhaft gut und günstig wohnen? (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 205 - August / September 2018
Die Berliner Umweltzeitung

Dauerhaft gut und günstig wohnen?
Wohnungsgenossenschaften in Berlin

von Elisabeth Voß


Je schwieriger es wird, in Berlin überhaupt noch eine bezahlbare Wohnung zu finden, umso wichtiger sind Anbieter, denen es nicht vorrangig darum geht, maximale Renditen zu erzielen. Neben den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften sind dies vor allem Genossenschaften.

Wohnungsgenossenschaften sind nicht am freien Wohnungsmarkt tätig, sondern versorgen ihre Mitglieder. Etwa 12 Prozent der mehr als 1,6 Millionen Mietwohnungen in Berlin gehören Genossenschaften. Deren Mitglieder beteiligen sich mit einer einmaligen Einlage am Eigenkapital der Genossenschaft, die beim Austritt wieder zurückgezahlt wird - in voller Höhe, möglicherweise vermindert um bilanzielle Verluste. Wertsteigerungen der Immobilien verbleiben als stille Reserve in der genossenschaftlichen Gemeinschaft und werden ausscheidenden Mitgliedern nicht ausbezahlt.

Gemeinschaftliche wirtschaftliche Selbsthilfe

Die Höhe der erforderlichen Einlage, um einer Genossenschaft beitreten und eine der Wohnungen beziehen zu können, ist sehr unterschiedlich. Alte, oft über 100 Jahre alte Genossenschaften mit umfangreichen Altbaubeständen nehmen in der Regel ein paar Hundert Euro pro Zimmer. Neuere Genossenschaften, die noch nicht so viel Eigenkapital ansammeln konnten, berechnen die Einlage meist nach Quadratmetern, wobei erhebliche Beträge zusammenkommen können, wenn einige Hundert bis knapp Tausend Euro pro Quadratmeter verlangt werden.

Verträge über Genossenschaftswohnungen heißen in der Regel nicht Mietverträge, sondern Nutzungsverträge, bezahlt wird ein Nutzungsentgelt, keine Miete - jedenfalls in den Genossenschaften, in denen es ein Bewusstsein dafür gibt, dass sie keine marktwirtschaftlichen Unternehmen, sondern Selbsthilfeorganisationen ihrer Mitglieder sind. Folgerichtig sollten Genossenschaften auch nicht das gemäß Mietspiegel maximal Zulässige von ihren Mitgliedern verlangen, sondern sich auf die Deckung der Kosten beschränken.

Statt eine Dividende auf die Genossenschaftseinlagen zu zahlen - wie es leider viele Genossenschaften tun - wäre es auch möglich, den Mitgliedern eine Rückvergütung aus dem Jahresgewinn auszuzahlen. Eine Dividende widerspricht dem Genossenschaftsgedanken, denn eine Genossenschaft ist nicht dazu da, Geld durch Verzinsung zu vermehren, sondern ihre Mitglieder zu fördern. Wenn sie dabei Überschüsse erzielt, dann kann dies ein Hinweis darauf sein, dass sie ihren Mitgliedern zu viel berechnet hat. Der Teil des Gewinns, der nicht investiert werden soll, um zum Beispiel neue Wohnungen zu bauen, kann dann den Mitgliedern entsprechend ihrem Umsatz mit ihrer Genossenschaft - im Fall von Wohnungsgenossenschaften also entsprechend ihrem Nutzungsentgelt - zurückerstattet werden. Darüber, wie der Jahresgewinn verwendet wird, entscheidet die Mitgliederversammlung oder bei größeren Genossenschaften die Versammlung der Vertreter*innen.

Genossenschaftliche Demokratie?

Genossenschaften gelten als demokratische Unternehmensform, denn jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe der finanziellen Einlage - anders als bei Kapitalgesellschaften, wo sich die Stimmrechte nach der finanziellen Beteiligung richten. Allerdings dürfen Genossenschaftsmitglieder bzw. -vertreter*innen meist nur über den Jahresabschluss und die Verwendung des Gewinns oder falls nötig die Deckung eines Verlustes beschließen, den Aufsichtsrat wählen und Vorstand und Aufsichtsrat entlasten. Zwar wären viel umfangreichere Entscheidungsrechte möglich, die müssten jedoch in der Satzung verankert sein.

Allerdings öffnet sich bei vielen Genossenschaften die Schere zwischen wenigen Macher*innen und vielen Mitmacher*innen auch durch das Handeln aller Beteiligten immer weiter. Zum autoritären Regime von Vorständen und Aufsichtsräten gehören auch die vielen Mitglieder, die das widerspruchslos geschehen lassen. Gerade in großen Genossenschaften hält sich das Engagement der Mitglieder oft in Grenzen, Beschlussvorlagen werden durchgewunken, kritische Nachfragen sind unerwünscht. Seit zehn Jahren treffen sich deshalb Mitglieder älterer Wohnungsgenossenschaften in der Initiative "Genossenschaft von unten" und setzen sich für mehr Transparenz und für ihre Rechte als Mitglieder ein.

Genossenschaftswohnungen verzweifelt gesucht

Viele Wohnungssuchende wären glücklich, würden sie eine Genossenschaftswohnung finden. Das ist jedoch sehr schwer geworden, manche Genossenschaften nehmen gar keine neuen Mitglieder mehr auf. Um Abhilfe zu schaffen, sollen Wohnungsgenossenschaften nun vom Senat gefördert werden. Das Abgeordnetenhaus hat 20 Millionen Euro für die Haushaltsjahre 2018/19 bereitgestellt. Aus diesen Mitteln sollen Genossenschaften ein Darlehen zur Ergänzung des Eigenkapitals bekommen können, wenn sie geförderte Sozialwohnungen errichten oder Altbauten erwerben. Dadurch vermindern sich die Beträge, die von den Mitgliedern selbst aufgebracht werden müssen. Darüber hinaus wird auch das Wohneigentumsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) so verändert, dass Haushalte innerhalb der Einkommensgrenzen für Wohnberechtigungsscheine ein zinsloses Darlehen sowie Tilgungszuschüsse erhalten können, wenn sie Genossenschaftsanteile erwerben. Diese Förderungen soll es nicht nur für bereits bestehende, sondern auch für neu gegründete Genossenschaften geben, wenn beispielsweise Mieter*innen ihr Haus gemeinsam als Genossenschaft erwerben möchten.

Bereits im Frühjahr 2017 haben sich 25 Genossenschaften zum "Bündnis Junge Genossenschaften Berlin" zusammengeschlossen, weil sie einen Beitrag zur Versorgung mit dauerhaft günstigem Wohnraum leisten möchten. Neben der Förderung von Genossenschaften fordern sie Zugang zu Bauland. Stadtpolitische Bewegungen haben zwar erreicht, dass öffentliche Grundstücke in Berlin in der Regel nicht mehr verkauft, sondern im Erbbaurecht vergeben werden. Wenn dies jedoch auf 60 Jahre befristet ist und zudem ein Zinssatz verlangt wird, der höher liegt als die Zinsen für einen Bankkredit, dann ist das für viele Genossenschaften nicht attraktiv. Hinzu kommt, dass die Konzeptverfahren zur Vergabe solcher Grundstücke bisher sehr intransparent sind und viele Vorleistungen erfordern, die gerade von neuen Genossenschaften und anderen Hausprojektgruppen kaum geleistet werden können.

Für die Entfaltung der Potenziale von Genossenschaften im Wohnungsbau scheint sowohl innerhalb vieler Genossenschaften als auch seitens der öffentlichen Hand noch einiges zu tun zu sein.


Weitere Informationen:

www.wohnungsbaugenossenschaften.de/berlin
www.genossenschaft-von-unten.eu
www.junge-genossenschaften.berlin


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

In der Genossenschaftsstraße in Adlershof baute die Berliner Baugenossenschaft vor 130 Jahren 44 individuelle Mehrfamilienhäuser - heute ein Kulturdenkmal.

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Quelle:
DER RABE RALF
28. Jahrgang, Nr. 205, Seite 20
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2018

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