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INTERNATIONAL/066: Zentralamerika - Über Grenzen hinweg, Gewalt gegen Frauen gemeinsam bekämpfen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2012

Zentralamerika: Über Grenzen hinweg - Gewalt gegen Frauen gemeinsam bekämpfen

von José Adán Silva



Managua, 29. Juni (IPS) - Auf Initiative Nicaraguas haben sich Vertreter der Justiz der zentralamerikanischen Staaten auf einem gemeinsamen Treffen mit der tödlichen Gewalt gegen Frauen beschäftigt. Nicaragua will, dass die Staaten der Region den sogenannten 'Femizid' als Straftatbestand in ihre nationale Gesetzgebung aufnehmen.

Marvin Aguilar García, Vizepräsident des nicaraguanischen Obersten Gerichtshofes, stellte die Initiative auf der Konferenz der Justizminister Iberoamerikas vom 20. bis 22. Juni vor. Seiner Ansicht nach ist das Phänomen des Femizids in der Region besonders stark ausgeprägt, auch im Rahmen der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels.

An der Konferenz nahmen Minister und Staatsvertreter aus Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama und der Dominikanischen Republik teil.


Nicaragua und Costa Rica schreiten voran

Zeitgleich zur Konferenz trat in Nicaragua ein entsprechendes Gesetz zum Schutz der Frau vor Gewalt in Kraft. Der Femizid wird darin als ein in der Öffentlichkeit oder im privaten Bereich begangenes Verbrechen definiert, das von einem Mann ausgeübt wird, der entweder ein Fremder für das Opfer oder mit ihm bekannt oder sogar verwandt ist.

Das 5,8-Millionen-Einwohner-Land hat die meisten Fälle von Gewaltverbrechen gegen Frauen in der Region zu verzeichnen. In diesem Jahr sind in Nicaragua bereits 32 Frauen dem Femizid zum Opfer gefallen. Dem nichtstaatlichen Menschenrechtszentrum Nicaragua zufolge wurden von 2006 bis 2011 täglich 95 Fälle von Gewalt gegen Frauen angezeigt. Neben Nicaragua hat einzig Costa Rica den Femizid als Straftatbestand in seine Gesetzgebung übernommen.

Nach Angaben der Autonomen Frauenbewegung wurden 2011 76 Nicaraguanerinnen aufgrund ihres Geschlechts ermordet, weitere 35.000 missbraucht, geschlagen, gefoltert, verstümmelt und bedroht.

Zentralamerika gilt als eine der gewaltreichsten Regionen der Welt. Einer Studie des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) zufolge ist in zwei Dritteln der Fälle, in denen Frauen ermordet werden, ihre Geschlechterzugehörigkeit ausschlaggebend für die Gewalttat. Und doch bleibt dieses Verbrechen in der Regel im Verborgenen - mehr als jedes andere in der Region, so der Bericht mit dem Titel 'Mehr Raum für die Sicherheit der Bevölkerung und für menschliche Entwicklung'.

Angesichts dieser Zahlen ist die Anzahl der Schuldsprüche in Fällen von Gewalt gegen Frauen sehr gering. 2008 wurden in Nicaragua 1.133 Anzeigen wegen sexueller Gewalt vor Gericht verhandelt, aber nur 56 Prozent der Fälle aufgeklärt. In 70 Prozent dieser Fälle wurden die Verfahren eingestellt, in 15 Prozent die Täter freigesprochen und nur in weiteren 15 Prozent die Täter bestraft.

26.000 von 35.000 angezeigten Fällen wurden von der Justiz als Bagatelldelikte abgetan, so Zacarías Duarte, Leiter des Instituts für Gerichtsmedizin in Nicaragua. Geprägt durch eine männerzentrierte Gesellschaft würden die Richter mehr Gewicht auf die sichtbare Gewaltanwendung bei den Opfern legen als eine ganzheitliche Betrachtung der Situation vornehmen.


Richter zählen Verletzungen am Körper

"Auch wenn die psychischen Auswirkungen offensichtlich sind, zählen die Richter die Verletzungen am Körper und machen ihre Entscheidung von dieser Zahl abhängig", sagt Duarte. "Wenn es gar keine sichtbaren Verletzungen gibt, dann wird der Täter auch nicht bestraft."

Um innerhalb der Behörden ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was diese Gewaltverbrechen vor allem für die Frauen bedeuten, hat der Oberste Gerichtshof in Nicaragua die Interinstitutionelle Kommission gegründet. Ihr gehören Ministerialbeamte an, außerdem Staatsanwälte, Polizisten, Regionalpolitiker, Gerichtsmediziner und Mitarbeiter von Gefängnissen.

Doch wirklich rosig sieht der Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen in Nicaragua nicht aus. Das Gesetz, das die Frauen vor Gewalt schützen und ihnen einen besseren Rechtsrahmen geben soll, ist in Kraft getreten, ohne dass die Regierung ausreichend finanzielle Ressourcen und Personal für seine Umsetzung zur Verfügung gestellt hat.

Dem obersten Staatsanwalt Julio Centeno Gómez zufolge sind dafür mindestens 1,7 Millionen US-Dollar notwendig. Man brauche 40 Staatsanwälte, 30 Assistenten und 15 Büros in den verschiedenen Regionen des Landes. Darüber hinaus fehle es an Fahrzeugen, Laboren und anderem Equipment. (Ende/IPS/jt/2012)


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http://www.movimientoautonomodemujeres.org/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2012