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INTERNATIONAL/076: Brasilien - Mörder von Menschenrechtsaktivistin Dorothy Stang auf freiem Fuß (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. August 2012

Brasilien: Mörder von Menschenrechtsaktivistin Dorothy Stang auf freiem Fuß

von Fabiana Frayssinet


Die Missionarin Dorothy Stang wurde 2005 ermordet - Bild: © Terra de Direitos

Die Missionarin Dorothy Stang wurde 2005 ermordet
Bild: © Terra de Direitos

Rio de Janeiro, 23. August (IPS) - Sieben Jahre ist es her, dass die Nonne Dorothy Stang in Brasilien ermordet wurde. Doch der bereits verurteilte und in Revision gegangene Auftraggeber der Tag, Regivaldo Pereira Galvão, befindet sich wieder auf freiem Fuß. Menschenrechtsaktivisten befürchten nun weitere Morde.

Pereira Galvão war 2008 verhaftet und 2010 zu 30 Jahren Haft verurteilt worden. Seine Anwälte legten Berufung ein und der Großgrundbesitzer wurde aus dem Gefängnis entlassen. Aber ein Jahr darauf befand die Justiz, dass er seine Haftstrafe doch noch verbüßen müsse. Nun hat das Oberste Gericht entschieden, dass er das noch ausstehende abschließende Urteil über seine Schuld in Freiheit verbringen darf. Am 22. August wurde Pereira Galvão aus der Haft in Altamira, einer Stadt im nördlichen Bundesstaat Pará, entlassen.

"Ich verstehe nicht, was die Richter dazu veranlasst haben mag, das mit der Freilassung verbundene Risiko zu unterschätzen", kritisiert der Anwalt Aton Fon Filho, der die katholische Pastorale Kommission für die Erde ('Comissão Pastoral da Terra' - CPT) in dem Fall vertritt. Filho zufolge musste Pereira Galvão erneut ins Gefängnis, weil er in flagranti dabei erwischt wurde, Arbeiter auf einem Anwesen in Anapú, einer kleinen Ortschaft im Amazonasgebiet, wie Sklaven gehalten zu haben.

Auch soll er noch nach dem Tod von Stang die Mitarbeiter des entwicklungspolitischen Projektes bedroht haben, das Stang gegründet hatte. "Man ging damals davon aus, dass seine Freiheit ein Risiko für die öffentliche Ordnung sei." Fon Filho befürchtet nun, dass dies auch heute noch der Fall ist und Pereira Galvão seine Schützen auf weitere Stang-Vertraute losschicken wird.


Einsatz gegen Sklaverei

Die Menschenrechtsaktivistin lebte 23 Jahre lang als Missionarin in Anapú, setzte sich für die Umwelt ein und half den dort ansässigen Bauern, ihre Rechte gegen die Interessen der Großgrundbesitzer und der großen Holzunternehmen durchzusetzen. Dort wurde die 73-Jährige am 12. Februar 2005 erschossen. Sie selbst trug zu dem Zeitpunkt nichts weiter als eine Bibel bei sich. Dem mit dem Fall befassten Staatsanwalt zufolge war Stangs Einsatz gegen die Sklavenarbeit vor Ort Motiv für die Tat.

Neben Pereira Galvão wurden vier weitere Personen wegen des Mordes an Stang verurteilt. Darunter ist der Großgrundbesitzer Vitalmiro Moura, der für 30 Jahre einsitzt.

Fon Filho zufolge hat eine interne Untersuchung der Bundespolizei ergeben, dass einige Polizeibeamte aus dem Bundesstaat Pará mit lokalen Großgrundbesitzern gemeinsame Sache machen. "Das bedeutet, dass diejenigen, die sich Drohungen ausgesetzt sehen, nicht einmal mit der Unterstützung der Polizei rechnen können", sagt Fon Filho. Als Pereira Galvão noch im Gefängnis saß, seien die Einschüchterungsversuche zurückgegangen.

Auch andere Vertreter von Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Freilassung des Hauptverdächtigen. "Wir müssen das Risiko einkalkulieren, dass der Angeklagte flieht", sagt Mauricio Santoro von 'Amnesty International' in Brasilien. Darüber hinaus weist er darauf hin, dass bereits ein Zeuge, der in dem Prozess gegen Pereira Galvão aussagen wollte, umgebracht worden ist.

Der ganze Fall zeige wieder einmal die Unfähigkeit der brasilianischen Justiz, schnell zu reagieren, so Santoro. "Sie kann die Sicherheit der Verteidiger der Menschenrechte nicht garantieren."


Mehr als 1.800 Menschenleben bedroht

Nach Angaben der CPT ist in ganz Brasilien das Leben von 1.855 Menschen bedroht, die in Agrarkonflikte verwickelt sind. Besonders gewalttätig geht es den Bundesstaaten Pará und Maranhão zu. Am gefährdetsten seien in diesen Konflikten Angehörige von Minderheiten wie Indigene und Schwarz-Brasilianer aus den sogenannten Quilombos - Gemeinschaften, zu denen sich ehemalige afrikanische Sklaven zusammengeschlossen haben.

In den vergangenen 20 Jahren sind der CPT zufolge mehr als 1.500 Kleinbauern im Rahmen von Konflikten um Land und Boden umgekommen. Die Mehrheit dieser Verbrechen sei nicht bestraft worden.

Santoro zufolge sind Amnesty International mehrere Fälle bekannt, in denen es zu neuen Morden kommen könnte. Eskalieren könnte die Situation vor allem in Maranhão im Nordosten Brasiliens, wo sich die Bewohner der Quilombos Bedrohungen der lokalen Grundbesitzer ausgesetzt sehen. Die Politik habe zugesichert, die Menschen zu schützen, doch sei davon nichts zu merken.

Amnesty International hat am selben Tag, an dem Pereira Galvão freigelassen wurde, eine Eilaktion gestartet, in der es heißt, dass 45 Familien im Quilombo Pontes in der Gemeinde Pirapemas systematisch von bewaffneten Männern bedroht und eingeschüchtert würden.

Gravierend ist auch die Situation der Guaraní-Kaiowá-Indigenen im Bundesstaat Mato Grasso do Sul im Südwesten des Landes. Im Kampf um die Anerkennung ihrer Demarkationsgrenzen besetzten sie mehrere Grundstücke. Im November 2011 wurde eines der Indigenen-Camps von 40 bewaffneten Männern attackiert und ein Indigenenführer ermordet, während andere Verletzungen davontrugen.

"Mir sind keine Maßnahmen der Regierung bekannt, die Großgrundbesitzer zu entwaffnen", sagt Fon Filho. Schreite die Politik ein, dann immer erst, wenn bereits etwas passiert sei, nicht aber präventiv. "Genau das ist aber notwendig." (Ende/IPS/jt/2012)


Link:

http://www.dorothystang.org/
http://www.cptnacional.org.br/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101428

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2012