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STELLUNGNAHME/021: Kann und soll das Strafrecht Polizist*innen schützen? (Grundrechtekomitee)


Komitee für Grundrechte und Demokratie - 16. März 2017

Kann und soll das Strafrecht Polizist*innen schützen?

Kommentar von Elke Steven


Von verschiedenen Seiten wird immer wieder berichtet, Polizist*innen seien in steigendem Maße von Gewalt durch Bürger*innen betroffen. Dringend müsse dagegen eingeschritten werden. Die Bundesregierung hat im Februar 2017 - wie zuvor schon diverse Bundesländer - einen Gesetzentwurf (link is external)vorgelegt (Drucksache 18/11161). In einem neuen § 114 StGB soll der "tätliche Angriff" auf "Amtsträger" deutlich härter als bisher sanktioniert werden. Die Mindeststrafe beträgt drei Monate Gefängnis, der Strafrahmen geht bis zu fünf Jahren. Der Schutz der "Amtsträger" wird vom Schutz während Vollstreckungshandlungen ausgeweitet auf die gesamte Dienstausübung. In der Öffentlichkeit wird der dringend gebotene Schutz von Polizeibeamt*innen betont, einbezogen werden aber "Amtsträger" und "Soldaten der Bundeswehr".

Zu fragen ist zunächst, ob die behaupteten Voraussetzungen tatsächlich stimmen, ob also die "Vollstreckungsbeamten" bisher - jedenfalls strafrechtlich - nicht hinreichend geschützt sind. Ob das Strafrecht einen solchen Schutz überhaupt gewähren kann, ist eine ganz andere Frage - ganz zu schweigen davon, welche Folgen diese Gesetzesänderung für Demokratie und insbesondere den Umgang zwischen Polizei und Bürger*innen bei Versammlungen haben. Schon die letzte Änderung zum Schutz von Amtsträgern im November 2011 (Verschärfung der Strafe von zwei auf drei Jahre; Einbeziehung abstrakt gefährlicher Gegenstände in eine weitere Strafschärfung) wird von den meisten Fachleuten als überflüssig eingeschätzt.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik, auf die die Behauptung der zunehmenden Gewalt gegen Amtsträger, insbesondere Polizeibeamt*innen, zurückgeht, wird vom polizeilichen Registrierungsverhalten geprägt. Sie zählt Ermittlungsverfahren und nicht rechtskräftig abgeurteilte Straftaten. Selbst diese Statistik, so zeigt MONITOR (link is external) auf, lässt sich jedoch anders lesen: "Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt (haben) im Vergleich zu 2008 nicht zu-, sondern abgenommen". Es wird berichtet, dass in der Statistik vorrangig Bagatelldelikte erfasst werden, bei mehr als zwei Drittel der erfassten Taten ging es um Widerstandshandlungen oder Bedrohungen. Angriffe auf Polizeibeamt*innen werden häufig in alkoholisiertem Zustand ausgeübt. Gilt schon allgemein, dass ein gesetzlich vorgesehenes Strafmaß kaum Auswirkungen auf die Begehung von Straftaten hat, so gilt dies erst recht bei Menschen unter Alkoholeinfluss.

Eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, eine einfache Körperverletzung, ist gemäß § 223 StGB sanktioniert; weitere Paragraphen regeln den Umgang mit gefährlicher und schwerer Körperverletzung. In diesen Regelungen des Strafgesetzbuches sind alle Menschen gleichgestellt. Richter können jedoch die besonderen Funktionen des Opfers strafverschärfend berücksichtigen. Ein Sonderrecht für "Amtsträger" stellt diese dagegen über die normalen Bürger*innen und verletzt die Gleichheit vor dem Gesetz. Es macht die Staatsdiener zu besser geschützten Menschen. Auch Lehrer*innen oder Arbeitskräfte im Sozial- oder Arbeitsamt können von tätlichen Angriffen betroffen sein. Für diese gilt jedoch kein Sonderrecht. Sanktionsmöglichkeiten gibt es jedenfalls auch ohne die Schaffung eines neuen Straftatbestandes.

Der bisherige § 113 StGB sollte nicht die Amtsträger schützen, sondern die staatliche Handlung, die Vollstreckungsmaßnahme und damit das staatliche Gewaltmonopol. Auch hierin steckt letztlich ein obrigkeitsstaatliches Denken. Nur die umgekehrte Perspektive, Bürger*innen vor dem Machtmissbrauch durch Amtsträger zu schützen, macht jedoch Sinn. So gibt es die Amtsdelikte: Rechtsbeugung, Vorteilnahme, Bestechlichkeit, Urkundenunterdrückung, Aussageerpressung, Verfolgung Unschuldiger, Verletzung von Dienst- und Steuergeheimnissen.

Stellt man sich vor, diese neue Regelung wird im alltäglichen Versammlungsgeschehen angewendet, so muss die Angst vor der Teilnahme an Demonstrationen (link is external) immens steigen. Leicht kann aus den für Demonstrierende sowieso schon bedrohlichen Situationen der engen Einschließung oder des Gerangels an Polizeiketten eine Anzeige wegen tätlichem Angriff entstehen. Wer sich bei einer Sitzblockade wegtragen lässt, sieht sich ebenfalls schnell diesem Vorwurf ausgesetzt. Die Mindeststrafe beträgt immerhin drei Monate Gefängnis. Die Änderungen an § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) führen zu noch schärferen Bedrohungen von Versammlungsteilnehmer*innen. Obwohl der "tätliche Angriff" aus § 113 StGB herausgenommen werden soll, wird die erhöhte Strafandrohung nicht zurückgenommen. Zusätzlich wird der darin enthaltene "besonders schwere Fall" erweitert durch die Erfassung "gemeinschaftlicher" Begehungsweise und das Mitsichführen gefährlicher Werkzeuge, ohne diese - wie es bisher gefordert ist - bei der Tat verwenden zu wollen. Bei der Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ist zu befürchten, dass sogar 6 Monate Haft wegen eines "besonders schweren Falls" drohen. Dieser liegt schon vor, wenn z.B. ein abstrakt gefährliches Werkzeug mitgeführt oder die Tat "mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen" wird. Insgesamt ist also eine drastische Verschärfung gerade auch des Demonstrationsstrafrechts zu befürchten.

Schon jetzt wird quasi jede Anzeige gegen Polizeibeamt*innen wegen unverhältnismäßiger Gewalt mit einer Gegenanzeige wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte beantwortet. Vor Gericht wird dann häufig genug den Polizeibeamt*innen geglaubt. Diese entlasten sich im Zweifelsfall gegenseitig und sprechen ihre Aussagen untereinander ab.

Ein unnötiger, undemokratischer Gesetzesentwurf , der sich zudem selbst entlarvt, wenn im Kapitel "Problem und Ziel" das Gesetz damit begründet wird, dass der Gesetzgeber "gleichzeitig seine Wertschätzung für den Dienst der Polizisten" zum Ausdruck bringen will. Die Wertschätzung sollte durch angemessene Bezahlung, Gestaltung von guten Arbeitsbedingungen und eine Ausbildung vor allem in gewaltfreien Konfliktlösungen zum Ausdruck kommen. Zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte müsste die Politik beitragen, statt für die Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols Sonderrecht zu schaffen.

Elke Steven


Erstveröffentlichung im Meinungs-Blog des Grundrechtekomitees am 16. März 2017:
http://www.grundrechtekomitee.de/node/841

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Quelle:
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Aquinostr. 7 -11, 50670 Köln
Telefon 0221 97269 -30; Fax -31
E-Mail: info@grundrechtekomitee.de
Internet: www.grundrechtekomitee.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2017

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