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STANDPUNKT/034: Aktenmanipulation und Zeugenabsprachen unter Berliner Polizeizeugen (G20ApUA)


Außerparlamentarischer Untersuchungsausschuss G20 (G20ApUA)
Pressemitteilung vom 17.01.2018

G20ApUA: Aktenmanipulation und Zeugenabsprachen unter Berliner Polizeizeugen


Der Außerparlamentarische Untersuchungsausschuss G20 (G20ApUA) kritisiert das Urteil gegen Christian R. und weist auf die im Prozessverlauf bekannt gewordene Versuche der Aktenmanipulation und Zeugenabsprachen hin.

Während der Verhandlung kam es bei einem Beamten zu Widersprüchen zwischen dessen mündlichen Aussage und seinem Zeugenbericht in der Akte. Diese betrafen die Art der Verletzung eines Polizeikollegen sowie das Verhalten des Beschuldigten. Bei der Befragung durch die Verteidigung stellte sich heraus, dass der Polizist versucht hatte, einen Bericht, der im Widerspruch zu dem seiner Kollegen stand, heimlich gegen einen veränderten Bericht auszutauschen. Diesen Bericht hatte er mit der Bemerkung "Jetzt sollte es passen..." an die Sonderkommission in Hamburg geschickt, wo der aufgrund eines Versehens aber nicht in die Akte gelangt ist.

Alle fünf Zeugen haben von einem einzigen gemeinsamen Treffen kurz vor dem ersten Hauptverhandlungstermin berichtet. Drei haben ausgesagt, dass die Zeugen bei diesem Treffen ihre Erinnerungen an das Geschehen ausgetauscht und abgeglichen hätten.

Trotz dieses eindeutig festgestellten Versuchs der Aktenmanipulation und der Absprachen während eines Vorbereitungstreffens erklärte der Richter in seiner Urteilsbegründung die Zeugen für uneingeschränkt glaubwürdig und bezichtigte Verteidiger Matthias Wisbar, der die oben beschriebenen Vorgänge als Aktenmanipulation und Aussagekomplott bezeichnet hatte, der »anwaltlichen Brandstiftung«. Dieser hält dem entgegen: »Die versuchte Aktenmanipulation durch die Soko Schwarzer Block und die Berliner Beamten sowie das unter anderem an eindeutig erfundenen Aussagen erkennbare Aussagekomplott der Zeugen hätte zu einem Freispruch führen müssen. Wer konsequentes Verteidigerhandeln als 'anwaltliche Brandstiftung' bezeichnet, zeigt eine zutiefst rechtsfeindliche und undemokratische Haltung und ist für das Amt des Richters ungeeignet."

Während der Hauptverhandlung wurde weiterer E-Mail-Verkehr zwischen Soko und Polizeizeugen bekannt, der Hinweise auf die Bereitschaft zur Manipulation der Akte gibt.

Auszüge:

Soko-Ermittler an die Polizeizeugen: "Ich bitte euch wie besprochen mir einen Bericht zu schreiben, in dem ihr nochmal schriftlich darlegt, was ihr mir gestern alle telefonisch erzählt habt. ... Ich habe meinen Bericht den ich geschrieben habe nicht beigelegt. Solltet ihr "Fragen" haben meldet euch gerne und wir werden alles im Sinne der Sache regeln können." (Mail Soko-Ermittler L. vom 19.7.2017) 

"Da Herr R. weiterhin in Haft ist, wäre ich euch sehr dankbar, wenn ihr eure Berichte zeitnah fertigen könntet um mögliche weitere Haftprüfungen zu "überstehen"." (Mail L. vom 25.7.2017) 

"Moin ihr vier, Herr R. ist weiterhin in Haft. Anbei eine Mail der zuständigen Staatsanwältin. Die von ihr genannten Fragen erscheinen etwas sehr kleinteilig, aber je genauer wir (ihr) es darlegen könnt, desto eher ist die StA in der Lage auch einen bes. schw. Fall des Landfriedensbruch begründen zu können. Insofern bitte ich euch eure Berichte nochmals hinsichtlich der genannten Fragen zu betrachten und diese ggf. entsprechend anzupassen, sofern ihr zu den offenen Punkten Angaben machen könnt." (Mail L. vom 26.7.2017) 


Zum G20ApUA: Der Außerparlamentarische Untersuchungsausschuss G20 hat sich im November 2017 konstituiert. Wir sind ein Zusammenschluss aus Einzelpersonen und Gruppen unter anderem aus dem Recht-auf-Stadt-Netzwerk, dem Archiv der Sozialen Bewegungen, dem Ermittlungsausschuss (EA), dem Gängeviertel, St. Pauli selber machen, dem Flüchtlingsrat Hamburg und dem FC/MC mit dem Interesse, die Vorgänge rund um den G20-Gipfel aufzuarbeiten. Da sich jeden Tag erneut zeigt, dass von offizieller Seite keine Aufklärung zu erwarten ist - und schlimmer noch: dass diese aktiv behindert wird -, werden wir das nun selbst in die Hand nehmen. Viele Fragen sind offen: zur Eskalationsstrategie der Polizei, zur Gewalt gegen friedliche Demonstrant*innen, zur Verantwortung von Politiker*innen und Beamt*innen. Stattdessen will die Stadt verdunkeln, vertuschen, vergessen machen. "Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise": Dieses Zitat des Bürgermeisters eine Woche nach dem Gipfel gibt die Linie vor, der Politik und Justiz folgen: Wer nachfragt, ist eine Querulant*in, wer Fragen stellt, eine Störer*in. Mit allen Mitteln wollen Scholz und Grote ihr Narrativ der "guten, heldenhaften Polizei" und der "gewalttätigen Demonstrant*innen" durchdrücken, was ihrer Geschichtsschreibung entgegensteht, wird kriminalisiert und bedroht.

Die Personen und Gruppen im G20ApUA eint ihr Erkenntnisinteresse. Wir sitzen in den Prozessen und werden Zeugen von mehr als zweifelhaften Aussagen der beim G20 eingesetzten Beamt*innen. Wir möchten wissen, was war. Wir möchten wissen, wer die Befehle gab und wie sie lauteten, wer sie befolgte und wer sich widersetzte. Wer danach die Spuren verwischte und wer die Hülsen einsammelte.

Der G20ApUA ist auf Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen, auf die Hilfe von Personen, die geschädigt wurden, und auf Hinweise von Polizist*innen, denen Ereignisse der Gipfelwoche nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Der G20ApUA ist erreichbar unter g20apua@riseup.net
https://g20apua.blackblogs.org

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Quelle:
Außerparlamentarischer Untersuchungsausschuss G20 (G20ApUA)
E-Mail: g20apua@riseup.net
Internet: https://g20apua.blackblogs.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2018

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