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KIRCHE/1007: Herbst-Vollversammlung - Predigt des Eröffnungsgottesdienstes (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 20.09.2010

Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, während des Eröffnungsgottesdienstes anlässlich der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda am 21. September 2010


Es gilt das gesprochene Wort!

Eph 4,1-7.11-13; Mt 9,9-13


Komm, folge mir nach!

Liebe Mitbrüder im bischöflichen, priesterlichen und diakonalen Dienst,
liebe Schülerinnen und Schüler,
Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens!

Zwischen Jesus und seinen Jüngern beginnt alles mit dem: "Folge mir!" So haben wir es gerade auch im Evangelium gehört. Es berichtet uns, wie sich der Zöllner Matthäus und Jesus das erste Mal begegnen. Jesus sieht Matthäus am Zoll sitzen und fordert ihn auf, ihm nachzufolgen. Und das Unvorstellbare und Überraschende geschieht: "Da stand Matthäus auf und folgte ihm." So schildert es uns das Evangelium. Kein ausgiebiges Gespräch, kein näheres Kennenlernen, kein Prüfen, ob es angebracht ist, einer solchen Aufforderung zu folgen. Kurz und schnörkellos steht es da: Matthäus folgte ihm.

Wir können uns das kaum vorstellen, dass sich ein Mensch so spontan einem anderen so vorbehaltlos anvertraut. Wir sind es - zu Recht - gewohnt, abzuwägen, Entscheidungen sorgfältig zu treffen; zumal dann, wenn es um Lebens entscheidungen geht. Und deshalb fragen wir uns unweigerlich: Was bringt Matthäus dazu, Jesus sofort nachzufolgen? Auch wenn das Evangelium darüber nicht direkt berichtet, so haben wir doch mehr als eine Ahnung davon, was das sein könnte.

Als Zöllner war Matthäus wenig angesehen; er dürfte, wie seine Berufskollegen, die Reisenden nach allen Regeln der Kunst finanziell ausgebeutet haben. Dies müssen wir aus der Reaktion der Pharisäer schließen, von der uns das Evangelium berichtet. Die meisten Menschen, mit denen Matthäus Kontakt hatte, sahen in ihm deshalb entweder den Betrüger, der andere ausnimmt, oder den Arbeitskollegen, mit dem man sich im Wettstreit um den erbeuteten Luxus befindet. Matthäus spürte: In der Begegnung mit Jesus ist es ganz anders. Er hält ihm nicht seine Vergehen vor, er nimmt ihn als Mensch an. Er traut ihm etwas zu und rechnet mit ihm, schenkt ihm Zuneigung und Vertrauen.

"Folge mir nach!" - diese Worte entzünden offenbar einen Funken in Matthäus' Herz. Er hört auf, Tage an der Tagesbilanz und dem größtmöglichen Gewinn zu messen. Was dahinter zum Vorschein kommt, ist etwas Tieferes, es ist eine große Sehnsucht nach einem wahrhaftigen und gelingenden Leben. In der Einladung Jesu, in der Hinwendung Jesu zu ihm, merkt Matthäus ganz spontan: Da ist etwas, wofür zu leben sich lohnt. Da ist einer, dem zu folgen, eine neue und ganz andere Perspektive gibt. Dieses Vertrauen schenkt ihm eine neue Sicht. Die Worte Jesu geben Matthäus eine Verheißung, eine Vision, ein Ziel, für das alles liegen zu lassen, sich lohnt.


Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wenn uns dieses Evangelium nicht vertraut wäre, würden wohl die meisten von uns die Luft anhalten, wenn sie bedenken, dass Gott in das Leben eines Menschen so eingreift, wie er es hier tut. Doch die Berufungsgeschichte des Matthäus lässt nicht nur erschrecken, sie enthält noch eine weitere Überraschung: Jesus beruft einen Zöllner, d.h. nach der damaligen Meinung der Zeitgenossen Jesu: einen Sünder, einen der mit der verhassten heidnischen Besatzungsmacht zusammenarbeitet und sich auf Kosten der eigenen Landsleute bereichert. Wie kann einer, der im Namen Gottes auftritt und einen derart hohen moralischen Anspruch erhebt, sich mit Sündern einlassen? Wie kann er mit solchen Leuten verkehren und sogar noch einen von ihnen in seine Nachfolge, ja zu seinen Jüngern berufen? Wenn er schon gekommen ist, Israel zur Umkehr zu rufen und zu erneuern, warum holt er sich seinen Jünger nicht aus der Elite und den Schriftgelehrten? Doch Jesus schaut nicht auf das Äußere, er schaut auf das Herz: Er ist gekommen, allen das Reich Gottes zu verkünden, alle zur Umkehr zu rufen. Darum wendet er sich nicht zuerst an die vermeintlich Gerechten, die meinen der Umkehr nicht zu bedürfen. Er wendet sich an die Sünder, um allen eine Chance zu geben und zu zeigen, was der Ruf zur Umkehr bedeutet. Ja, er beruft Sünder sogar in seine unmittelbare Nachfolge, macht sie zu seinen Jüngern und Aposteln, um durch sie seine Botschaft und sein Evangelium weiter zu geben. Sie wissen, dass es nicht ihre Leistung und ihr Verdienst ist, dass sie seine Boten sein dürfen. Sie wissen, dass ihre Berufung Geschenk ist, reine Gnade. Und mit ihrer Berufung zeigt Jesus, dass es für jeden Menschen eine Chance gibt, neu anzufangen.

Allerdings, Matthäus muss eine Zollstätte verlassen, miss aufgeben, was ihn bisher bestimmte und prägte. Mit seiner Berufung ist auch eine gewaltige Herausforderung verbunden. Die Gnade des Neuanfangs setzt voraus, dass wir bereit sind, unser bisheriges Leben zu hinterfragen und kritisch zu betrachten. Matthäus kann, indem er sich in die Nachfolge Jesu begibt, nicht einfach so weiter machen wie bisher. Für ihn beginnt es damit, das Alte zu verlassen und aufzugeben, was falsch war; für ihn heißt es, aufzustehen und den Neuanfang zu wagen, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Wir wissen alle, es fällt nicht leicht, zugeben zu müssen, dass wir etwas falsch gemacht haben, oder gar, dass unser Leben bisher in die falsche Richtung gegangen ist. Umso mehr spüren wir, welch Geschenk es ist, neu anfangen zu dürfen, wenn Jesus uns die Gnade und die Kraft zur Umkehr schenkt.


Liebe Schwestern und Brüder,

mit dem Verlassen seiner Zollstätte beginnt für Matthäus der konkrete Weg der Nachfolge, der Weg mit seinem Meister Jesus Christus. Er darf erleben, wie Jesus als Lehrer und Wundertäter begeistert gefeiert wird. Er muss aber auch mit ansehen, wie Jesus angefeindet, abgelehnt und getötet wird. Er erlebt das Schöne und Großartige, muss aber auch erfahren, dass es das Böse, Schuld und Sünde gibt und dass einer aus der eigenen Reihe der zwölf engsten Gefährten Jesu den Meister verrät. Auch wir müssen immer wieder schmerzlich erfahren, dass wir nicht nur immer wieder hinter der Liebe, die Jesus uns vorgelebt hat, zurückbleiben. Wir müssen auch erleben, dass wir selbst versagen und schuldig werden. Wir sind Glieder der pilgernden Kirche, die als ecclesia semper reformanda - als Kirche, die immer wieder der Erneuerung und der Umkehr bedarf - unterwegs sind auf den Straßen dieser Welt. Der Blick auf die Berufung des Zöllners und Sünders Matthäus zum Apostel macht uns Mut, dem Ruf unseres Herrn zur Umkehr zu folgen und ihn demütig um Verzeihung und die Gnade des Neuanfangs zu bitten. Zu Beginn einer jeden Messfeier b ekennen wir, dass wir schuldig geworden sind. Wir vertrauen und dem Herrn an, der in seiner Barmherzigkeit und Liebe unsere Wunden heilen und uns immer wieder neu anfangen lassen will.

Das ist die Botschaft des Evangeliums. Wie dem Zöllner Matthäus kommt Gott uns entgegen - uns fehlbaren Menschen - und geht den Weg mit uns. Es darf uns Mut machen und Kraft geben, dass Gott nicht nur auf unser Versagen schaut, sondern vor allem auf unser Herz und unseren Willen zum Guten. Wir wissen, wir müssen Tag für Tag neu anfangen - und wir dürfen es.

Von Jesus gerufen zu sein, ist Geschenk. Aber es ist zugleich auch Auftrag. Der Zöllner Matthäus spürt dies ganz spontan. Er ist Jesus begegnet, erhielt seinen Ruf und beginnt zu ahnen, was Jesus und sein Evangelium bedeuten. So lädt er sofort seine bisherigen Kollegen, die anderen Zöllner uns seine Freunde zu sich ein. Er will sie mit Jesus bekannt machen, er will sie zu ihm führen. Sie sollen die gleiche Erfahrung machen dürfen, die ihm geschenkt wurde. Matthäus wird zum Apostel, noch bevor ihn Jesus ausdrücklich in die Reihe der Zwölf aufgenommen hat, noch bevor er seine Apostel ausgesandt hat. Was ihm geschenkt wurde, kann Matthäus nicht für sich behalten, das will er mit anderen teilen, das will er an die anderen weitergeben.

Sind wir, meine Schwestern und Brüder, nicht immer wieder in Gefahr, uns mit unserem Glauben und unserer persönlichen Gotteserfahrung in das stille Kämmerlein und in die eigenen vier Wände zurückzuziehen? Und dies erst recht, wenn wir uns angegriffen und angefeindet fühlen? Da hält uns der Zöllner Matthäus mit seinem spontanen Verhalten auch ein Stück weit den Spiegel vor. Das Evangelium drängt in die Weite, drängt in die Öffentlichkeit. Es will sich gleich einer Kettenreaktion ausbreiten - von Mann zu Mann, von Frau zu Frau, von Mensch zu Mensch. Es lädt uns ein, von unserem Glauben und unserem Weg mit Gott zu erzählen, unseren Glauben mit unserm Bruder, mit unserer Schwester zu teilen. Warum laden wir nicht wie Matthäus andere ein, um sie zu Jesus, zur Begegnung mit ihm zu führen? Das ist ein entscheidender Teil dessen, was Neuanfang und Neuaufbruch bedeuten. Dass Glauben und Freude am Glauben anstecken, haben unsere Ministrantinnen und Ministranten in diesem Sommer bei der Internationalen Ministrantenwallfahrt in Rom erlebt. Ich weiß nicht, wer von Euch, liebe Schüler und Schülerinnen, daran teilgenommen hat. Das war ein beeindruckendes und ermutigendes Fest, gemeinsam mit 55.000 jungen Menschen auf den Spuren Jesu zu gehen! Ihr habt erfahren: Wir leben alle aus der gleichen Quelle - und wir sind viele! Die großen Gottesdienste waren die Kraftquelle unseres Zusammenseins. Mit Halstüchern und Strohhüten, Handys, Gitarren, Gesängen und sogar Seifenblasen habt Ihr Euch die ewige Stadt zu eigen gemacht und zugleich erfahren, wie grenzüberschreitend und ansteckend unser Glaube ist und wie sehr die Gemeinschaft des Glaubens befeuert und trägt! Ihr, liebe Jugendliche, habt gezeigt, wie lebendig und jung unsere Kirche ist. Wer das erleben durfte, der kann sich vorstellen, wie Matthäus von seinem Zollhaus aufspringt und Jesus nachfolgt, zu seinen Freunden eilt und sie zu Jesus führt, damit auch sie eine Chance für ihren Neuanfang erhalten und die liebende Zuwendung Gottes erfahren.


Liebe Schwestern, liebe Brüder,

es liegt eine Verheißung darin, neu aufzubrechen, neu aufbrechen zu dürfen! Was der Zöllner Matthäus erfährt, das gilt auch uns. Dass wir trotz unserer Grenzen und Schwächen von Jesus gerufen sind; dass wir seine Zuneigung erfahren und darin Kraft und Zuversicht erhalten, auch dann wenn uns manches Mal der raue Wind ins Gesicht bläst. Er macht uns Mut, neu anzufangen und uns an ihm und seiner Botschaft wieder neu auszurichten. Gehen wir voll Vertrauen diesen Weg voran. Er wird es uns nicht ersparen, offen darauf zu blicken, wo wir der Umkehr bedürfen. Er wird uns aber gut in die Zukunft führen, weil es der Weg ist, den Gott mit uns geht, Gott, der uns sein Erbarmen und seine Kraft schenkt. Amen.


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 145 vom 20. September 2010
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Deutsche Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2010