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STANDPUNKT/064: Schulterschluss statt Schisma (Ingolf Bossenz)


Schulterschluss statt Schisma

Ingolf Bossenz über das katholisch-orthodoxe Gipfeltreffen

12. Februar 2016


Wenn sich die Oberhäupter der beiden größten christlichen Kirchen fast 1000 Jahre lang gegenseitig meiden, muss die schismatische Schlucht zwischen ihnen ziemlich tief sein. Wenn sich der römische Papst und der russische Patriarch jetzt erstmals persönlich begegnen, muss es dafür triftige Gründe geben. Und die dürften wohl kaum in der plötzlichen Erkenntnis liegen, dass es eigentlich schnurzpiepegal ist, ob der Heilige Geist vom Vater, vom Sohn oder von beiden ausgeht. Was 1054 zum Bruch führte, wird auch künftig nicht ausgeräumt werden.

Während Anfang des 11. Jahrhunderts die Papstkirche mit Kreuzzügen auf die islamische Expansion reagierte, werden heute weltweit Dutzende Millionen Christen verfolgt. Fast alle Länder, in denen das geschieht, sind islamisch geprägt. Hinzu kommt die Konkurrenz in Afrika, wo die beiden abrahamitischen Religionen missionarische Jagd nach Bekehrten machen.

Größtes Problemfeld ist Europa, dessen lange Zeit wachsende Glaubensleere immer mehr durch Zuwanderung aus dem islamischen Kulturkreis aufgefüllt wird. Keine komfortable Situation für die christlichen Kirchenführer. Franziskus, der sich demonstrativ um die Gunst der islamischen Welt bemüht, und Kirill, in dessen russischer Heimat immerhin 20 Millionen Muslime leben, dürften sich eine Menge zu sagen haben.

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Quelle:
Ingolf Bossenz, Februar 2016
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 12.02.2016
http://www.neues-deutschland.de/artikel/1001532.schulterschluss-statt-schisma.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2016

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