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INTERNATIONAL/023: Sierre Leone - Misshandelt, missbraucht und ausgebeutet, Freetowns Straßenkinder (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. September 2011

Sierre Leone: Misshandelt, missbraucht und ausgebeutet - Freetowns schutzlose Straßenkinder

Von Abibatu Kamara und Jessica McDiarmid


Freetown, 14. September (IPS) - Für eine sechsjährige Waise war das kürzlich eröffnete Mädchenhaus in Freetown die letzte Rettung. Mit Striemen auf dem Rücken, Brandwunden an der Hand und einer dicken Beule am Kopf war das Kind vor einer Pflegemutter geflohen, die es ständig misshandelte. Schutz fand es in einem Heim der 'Don Bosco Fambul', einem Projekt für Straßenkinder, das der katholische Salesianerorden Don Bosco in Freetown aufgezogen hat.

In der 1,8 Millionen-Metropole, Sierra Leones Hauptstadt an der Atlantikküste, leben nach Schätzungen dieser zivilen Hilfsorganisation mehr als 2.500 Kinder auf der Straße. 70 Prozent der 5,2 Millionen Einwohner des westafrikanischen Landes sind bitterarm und müssen nach UN-Schätzungen mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen.

Die sozial und wirtschaftlich verheerenden Folgen eines elfjährigen, brutalen Bürgerkriegs (1999-2002) sind noch längst nicht überstanden. Die Regierung hat zwar verschiedene internationale Kinderschutzabkommen unterzeichnet und 2007 auch ein eigenes Kinderschutzgesetz verabschiedet. Doch nur 0,9 Prozent des Staatshaushalts sind für Maßnahmen zum Schutz von Kindern ausgewiesen. Doch oft stehen dem für Sozial-, Frauen- und Kinderpolitik zuständigen Ministerium nicht einmal diese bescheidenen Mittel zur Verfügung.

"Wir bemühen uns nach Kräften, unser Kinderschutzgesetz umzusetzen. Doch ohne die Unterstützung zahlreicher internationaler Organisationen wäre unsere Arbeit noch schwieriger", betonte Mariatu Bangura, die Direktorin der für Kinder zuständigen Abteilung des Ministeriums.

42 Prozent der Bevölkerung sind noch keine 15 Jahre alt. Dennoch gehört Sierra Leone nach Angaben des 'African Report on Child Wellbeing 2011', den das in Äthiopien ansässige 'African Child Policy Forum' veröffentlicht hat, zu den acht afrikanischen Ländern, die am wenigsten in das Wohl ihrer Kinder investieren.

Eine spezielle, für Familienhilfe zuständige Behörde der Polizei (FSU) kümmert sich um Fälle von Kindesmissbrauch, Misshandlung und Kinderhandel. Landesweit sind 40 Einheiten mit insgesamt 435 Polizisten und 60 Sozialarbeitern im Einsatz. Die ihnen zur Verfügung stehenden fünf Fahrzeuge hat das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF) finanziert. "Oft sind wir auch auf Motorrädern unterwegs", berichtet FSU-Chefin Aiesha Bangura.

Ihrer Behörde wurden im vergangenen Jahr 4.200 Fälle von sexuell missbrauchten Kindern und Opfern häuslicher Gewalt gemeldet. In jedem zweiten der derzeit untersuchten 2.200 Fälle kam es zu einer Anklage. 57 Beschuldigte wurden verurteilt.


Das Kinderschutzgesetz ist nur ein Stück Papier

Das Kinderschutzprogramm Don Bosco Fambul kritisiert, dass das Kinderschutzgesetz auch vier Jahre nach seiner Verabschiedung bislang nur ein Stück Papier ist. Die damit befassten Behörden seien überlastet und unterfinanziert, kritisieren Mitarbeiter wie die Programmmanagerin Theresa Ojong. Die Regierung müsse sich nachdrücklicher dafür einsetzen, dass die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert wird und sich für den Schutz von Kindern engagiert. "In diesem Land herrscht eine Kultur des Stillschweigens", klagte sie.

In Freetown unterhält Don Bosco Fambul mehrere Unterkünfte für Straßenkinder, die Misshandlungen in der Familie und Hunger auf die Straße getrieben haben. Hier durchlaufen mehr als 60 Jungen, die auf der Straße aufgelesen wurden, ein zehnmonatiges Rehabilitierungsprogramm. Meistens werden die Kinder anschließend wieder ihren Familien übergeben.

Nach einem Bericht des katholischen Hilfswerks gaben 75 Prozent der befragten unter zwölfjährigen Jungen an, sie hätten sexuelle Übergriffe älterer Kumpels ertragen müssen. Jeder Dritte berichtete von Misshandlungen durch Polizisten.

Abend für Abend sind in Freetown Mitarbeiter des Hilfswerks, Krankenschwestern und Sozialarbeiter im Bus unterwegs und suchen in leer stehenden Gebäuden und anderen Aufenthaltsorten von Straßenkindern nach ihren Schützlingen, die Notunterkünfte meiden oder dort keinen Platz gefunden haben. Die Aktivisten bringen ihnen etwas zu essen, spielen mit ihnen und leisten, wenn nötig, medizinische Hilfe.

"Das Leben auf der Straße ist hart", berichtete ein etwa 14-Jähriger, der Schrott sammelt und verkauft. "Nachts werden wir von kriminellen älteren Jungs überfallen, die hinter unserem Geld her sind. Wenn wir nichts haben, bedrohen sie sie uns mit brennenden Plastiksäcken." (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://www.donboscofambul.org/
http://www.africanchildforum.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=105070

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. September 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2011