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INTERNATIONAL/132: Zustand hungerstreikender palästinensischer Häftlinge in Israel dramatisch verschlechtert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Februar 2013

Nahost: Zustand hungerstreikender palästinensischer Häftlinge in Israel dramatisch verschlechtert

von Eva Bartlett


Bild: © Eva Bartlett/IPS

Demonstration in Gaza-Stadt für Freilassung palästinensischer Gefangener
Bild: © Eva Bartlett/IPS

Gaza-Stadt, 25. Februar (IPS) - Mit ausgedehnten Hungerstreiks wollen fünf in Israel inhaftierte Palästinenser erreichen, dass sie nicht länger ohne Anklage und Aussicht auf ein gerechtes Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit festgehalten werden. Der bisher ungeklärte Tod eines 30-jährigen Mannes in einem Gefängnis im Norden Israels sorgt unterdessen für Empörung.

Nach Angaben der israelischen Gefängnisverwaltung starb Arafat Jaradat am 23. Februar vermutlich an Herzversagen. Die palästinensische Führung geht hingegen davon aus, dass er nach Misshandlungen während Verhören gestorben sei. Der Mann war bei Ausschreitungen nahe der jüdischen Siedlung Kirjat Arba nahe Hebron festgenommen worden.

Der palästinensische Häftling Samer Issawi, der seit über 200 Tagen die Nahrung verweigert, hatte am 16. Februar seiner Schwester eine Botschaft zukommen lassen, die seinen Landsleuten offenbar neue Kraft für den Kampf gegen die israelische Besatzung und ihren Umgang mit politischen Gefangenen gegeben hat.

"Der Kampf, der von mir und meinen heldenhaften Kollegen Tarik, Ayman und Ja'affar geführt wird, ist der Kampf eines jeden, der Kampf des palästinensischen Volkes gegen Besatzer und deren Gefängnisse", schrieb der 33-Jährige am 208. Tag seines Hungerstreiks. Sein Gesundheitszustand habe sich dramatisch verschlechtert: "Ich befinde mich zwischen Leben und Tod."

Drei Tage später lehnte ein israelisches Gericht eine Freilassung des geschwächten Häftlings gegen Kaution ab und verschob eine weitere Entscheidung auf Mitte März. Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (PCHR) erklärte, dass der hungernde Issawi, der inzwischen auf 46 Kilo abgemagert sei, nun auch Wasser und Vitamine verweigere.

Issawi, der aus Jerusalem stammt, wurde erneut festgenommen, nachdem er im Oktober 2011 bei einem Gefangenenaustausch freigekommen war. Israel hatte im Gegenzug für die Übergabe des von den Palästinensern festgehaltenen Soldaten Gilad Shalit 1.027 Palästinenser aus der Haft entlassen.


Gefangennahme auf Basis von Geheimdienstinformationen

Neben Issawi kamen auch der 37-jährige Ayman Sharawna und zwölf weitere Palästinenser wieder hinter Gitter. Israel berief sich auf Artikel 186 der Militärorder 1651. Wie die Menschenrechtsorganisation 'Addameer' erläuterte, wird damit einem israelischen Militärausschuss gestattet, freigelassene Gefangene dazu zu verurteilen, ihre Reststrafe zu verbüßen. Grundlage dafür seien geheime Beweise, die die Militärstaatsanwaltschaft bereitstelle, ohne den Gefangenen oder seinen Anwalt davon in Kenntnis zu setzen.

Nachdem Sharawna am 31. Januar 2012 wieder in Haft kam, verweigerte er ab Juli an insgesamt mehr als 200 Tagen die Nahrung. Er brach seinen Protest kurzzeitig ab, als er Aussichten auf eine Freilassung erkannte. Bereits im vergangenen Dezember teilte Addameer mit, dass sich sein Gesundheitszustand "drastisch verschlechtert" hat. Er sei "nicht mehr in der Lage zu stehen, ungehindert zu sprechen und zu urinieren". Aus einem kürzlich verbreiteten unabhängigen Bericht geht hervor, dass sich Sharawna trotz seines kritischen Zustands inzwischen in Einzelhaft befinde, und sich sein Befinden rasch weiter verschlechtere.

Laut Addameer sind derzeit 4.743 Palästinenser in israelischer Haft, darunter 193 Kinder. 178 würden ohne Anklage festgehalten. Dies sei ein illegales Vorgehen des Staates Israel, der sich auf geheime Informationen berufe, nach denen bestimmte Palästinenser die Sicherheit des Landes bedrohten, sagte Osama al-Wahidi, der Chef der Informationsabteilung der Vereinigung 'Hussam', die sich von Gaza-Stadt aus für jetzige und ehemalige palästinensische Gefangene engagiert.

"Zwei der Hungerstreikenden wurden unmittelbar nach den israelischen Angriffen auf Gaza im November 2012 festgenommen", berichtete Wahidi. Einer von ihnen ist der 41-jährige Jafar Ezzedine, der ebenfalls in Lebensgefahr schwebt. "Nach drei Monaten im Hungerstreik ist er sehr dünn, sehr schwach und krank. Er sieht so aus, als würde er schon nicht mehr leben", sagte sein Bruder Tarek Ezzedine. Der Direktor des Radiosenders 'Stimme der Gefangenen' war selbst bei dem Gefangenenaustausch freigekommen und von Israel sofort in den Gazastreifen gebracht worden.

"Dies ist nicht sein erster Hungerstreik", betonte Tarek Ezzedine. Während einer kollektiven Aktion habe er bereits ab März 2012 für 54 Tage keine Nahrung zu sich genommen. Nach der Vermittlung durch Ägypten entschieden mehr als 1.000 palästinensische Gefangene im vergangenen Mai, ihre Proteste zu beenden. Israel hatte zugesagt, die Haftbedingungen zu verbessern.

"Wir haben keinen direkten Kontakt zu Jafar. Sein Anwalt sagt, dass sein Gesundheitszustand sehr schlecht ist", sagte sein Bruder. Ezzedine und zwei weitere Häftlinge, die gemeinsam mit mehr als 50 weiteren Palästinensern am 22. November festgenommen worden waren, traten sechs Tage später in den Hungerstreik. Tarek Qa'adan und Jusef Shaaban Jassin hatten sich zuvor an friedlichen Protesten gegen die israelischen Angriffe auf Gaza beteiligt.


Grund für Festnahme unbekannt

"Am Tag, als die Bombardements aufhörten, nahm die israelische Armee Jafar aus seinem Haus mit", berichtete der Bruder. "Er hatte sich gemeinsam mit über 1.000 Menschen an einer Demonstration in Jenin beteiligt. Warum wurde gerade er festgenommen? Er hatte nichts mit der Organisation der Demonstration zu tun."

Nach Angaben von Addameer ist Qa'adan inzwischen in großer Gefahr, an Herzversagen zu sterben. "Die Weg der Gefangenen, und insbesondere der Weg der Palästinenser, ist nicht mit Blumen besät, sondern mit Dornen", sagte Mahmud Sarsak, ein palästinensischer Fußballspieler aus Rafah. Sarsak, der mit einem 92-tägigen Hungerstreik gegen eine dreijährige Inhaftierung protestiert hatte, kam im Juli 2012 frei.

Am 13. Februar dieses Jahres forderte der UN-Sonderberichterstatter Richard Falk von Israel die Freilassung aller palästinensischen Häftlinge, die ohne formelle Anklage festgehalten werden. "Israel muss den fürchterlichen und ungesetzlichen Umgang mit palästinensischen Gefangenen beenden. Die internationale Gemeinschaft muss dringend reagieren und jedes ihr verfügbare Druckmittel einsetzen." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.pchrgaza.org/portal/en/
http://www.addameer.org/
http://www.ipsnews.net/2013/02/five-hungry-men-feed-palestinian-resolve/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2013