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INTERNATIONAL/150: Mexiko - Menschen entführt, gehandelt, versklavt und ermordet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Mai 2013

Mexiko: Rückkehr zur 'Barbarei römischer Gladiatoren' - Menschen entführt, gehandelt, versklavt und ermordet

von Diana Cariboni


Bild: © Diana Cariboni/IPS

Demonstration von Angehörigen vermisster Personen
Bild: © Diana Cariboni/IPS

Mexiko-Stadt, 16. Mai (IPS) - In Mexiko enden Zwangsentführungen für die Opfer nicht immer tödlich. In dem von Gewalt und Kriminalität schwer geprüften Land werden Menschen immer häufiger mit der Absicht verschleppt, sie als Sex- oder Arbeitssklaven auszubeuten.

Mexiko sei zur "Barbarei der römischen Gladiatoren" zurückgekehrt, meint dazu Juan López, Rechtsberater der Menschenrechtsorganisation FUNDEM. Die Gruppe hatte zunächst in dem nordmexikanischen Bundesstaat Coahuila nach Vermissten gesucht und ihre Aktivitäten dann auf das ganze Land ausgeweitet.

In Mexiko, wo das organisierte Verbrechen grassiert und die öffentliche Sicherheit in den Händen der Militärs liegt, laufen Fälle von Verschwindenlassen heute anders ab als in den vergangenen Jahrzehnten, als Diktaturen ihren 'schmutzigen Krieg' gegen Oppositionelle führten.

"In diesen Tagen ist jeder angreifbar", sagt López. Eine nicht genau bekannte Zahl von Menschen werde in illegalen Unternehmen ausgebeutet, die mit Hilfe dieser Arbeitssklaven hohe Profite erwirtschafteten. Darüber hinaus würden Teenager und junge Erwachsene auch als Auftragskiller, Drogenproduzenten oder Organhändler angeworben. "Es gibt bestätigte Berichte, denen zufolge Bewaffnete Busse anhalten und die jungen männlichen Insassen einfach mitnehmen."

Studien zufolge hat sich das Opferprofil erheblich verändert. Das Durchschnittsalter der Vermissten, das sich zunächst zwischen 30 und 45 Jahren bewegte, ging erst auf 20 bis 25 und dann auf 17 bis 19 Jahre zurück. Inzwischen werden sogar noch jüngere Teenager gekidnappt. Auch der Anteil vermisster Mädchen und Frauen ist angestiegen - auf 55 Prozent.


Lukrativer Menschenhandel

Der Menschenhandel ist mittlerweile das illegale Geschäftsfeld, das nach dem Drogen- und Waffenschmuggel weltweit die dritthöchsten Profite abwirft. Der zentralmexikanische Bundesstaat Tlaxcala ist das Epizentrum eines Netzwerks, das sich auf die Entführung von Mädchen und Frauen spezialisiert hat. Die Opfer, die in der Regel aus mehr als 20 Distrikten und auch den Grenzregionen stammen, werden in mexikanische und US-Städte verbracht und dort ausgebeutet.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind 80 Prozent der in Mexiko gehandelten Menschen Frauen und Mädchen. Nach Thailand ist Mexiko das zweite Herkunftsland von in die USA eingeschmuggelten Frauen.

Während der sechsjährigen Amtszeit des ehemaligen Staatschefs Felipe Calderón von 2006 bis 2012 verschwanden mehr als 26.000 Menschen. Dies geht aus Untersuchungen hervor, die die neue Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto Ende Februar veröffentlicht hat.

Die Opferangehörigen kritisierten jedoch, dass die Studie etliche bekannte Entführungsfälle ausgelassen hat. Die Geschichten sind schrecklich und handeln von jungen Männern, die gezwungen wurden, an Schaukämpfen teilzunehmen, bis einer von ihnen tot zu Boden ging, oder Frauen bei lebendigem Leib zu zerstückeln. Bekannt sind ferner Fälle, in denen Frauen durch Morddrohungen gegen ihre Kinder zur Sklavenarbeit gezwungen wurden.

Die 35-jährige Brenda Rangel, die sich bei FUNDEM engagiert, sucht nach ihrem Bruder Héctor, der mit 28 Jahren im November 2009 zusammen mit zwei anderen Männern in Coahuila von der Polizei festgenommen wurde und seither verschwunden ist. In einem Handygespräch konnte ihr der Bruder noch mitteilen, dass die Polizei ihn an einen Menschenhändlerring übergeben habe.


Kein Geld für Ermittlungen

Rangel ist fest davon überzeugt, dass ihr Bruder noch lebt. Die Mexikanerin war eine der eloquentesten Sprecherinnen auf einer Kundgebung, die am 10. Mai von Müttern von Verschwundenen aus dem ganzen Land in Mexiko-Stadt organisiert worden war. "Es ist offenbar kein Geld vorhanden, um nach den ganz normalen Menschen zu suchen, die verschleppt wurden", kritisierte sie.

Ein ähnliches Schicksal teilt die 43-jährige Lourdes Valdivia, deren Mann und Sohn seit Dezember 2010 vermisst werden. Damals gingen die beiden mit acht Freunden und Verwandten zur Jagd und wurden von der Polizei an einem Kontrollpunkt im zentralen Bundesstaat Zacatecas festgenommen. Von einem freigelassenen Minderjährigen und einem Erwachsenen, der fliehen konnte, erfuhr Valdivia dann, dass Mann und Sohn einer für ihre Brutalität bekannten Verbrecherbande übergeben wurden.

Berichten zufolge werden Hunderte Menschen in Lagerhallen, abgelegenen Farmen oder Bandenverstecken gefangen gehalten. Andere Quellen berichten von jüngst entdeckten Massengräbern. Die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' hat berichtet, das die Ermittler den Familien von Vermissten oftmals erklärten, dass der Fortschritt bei der Suche nach den Verschwundenen allein von den Bemühungen der Angehörigen abhänge. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.hrw.org/americas/mexico
http://desaparecidosencoahuila.wordpress.com/tag/fundem/
http://www.iom.int/cms/en/sites/iom/home.html
http://www.ipsnews.net/2013/05/mexico-reinvents-forced-disappearance/
http://ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102832

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2013