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INTERNATIONAL/175: Brasilien - Morddrohungen gegen den "Dalai Lama des Regenwaldes" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. August 2014

Brasilien: Morddrohungen gegen den 'Dalai Lama des Regenwaldes'

von Fabiola Ortiz


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Luciano Padrã/Cafod

Der Indigenenführer Davi Kopenawa während einer Versammlung der Organisation 'Hutukara-Yanomami-Vereinigung'
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Luciano Padrã/Cafod

Rio de Janeiro, 19. August (IPS) - Der brasilianische Indigenenführer Davi Kopenawa, der sich mit seinem Kampf gegen das Vordringen von Großgrundbesitzern und illegalen Goldschürfern ('Garimpeiros') auf indigenes Territorium einen Namen gemacht hat, sieht sich mit einer neuen Gefahr konfrontiert. Er und seine Familie haben Morddrohungen erhalten.

"Im Mai haben mir Garimpeiros gesagt, dass er das Ende des Jahres nicht mehr erleben wird", berichtet Armindo Góes, ein weiterer Indigenenführer und Mitstreiter Kopenawas.

Der 60-jährige Kopenawa ist Brasiliens angesehenster Indigenenführer. Der Schamane und Yanomami-Sprecher wird auch der 'Dalai Lama des Regenwaldes' genannt und hat an unzähligen UN-Treffen und internationalen Konferenzen teilgenommen. Er hat zudem viele Auszeichnungen wie den 'Global 500 Prize' des UN-Umweltprogramms (UNEP) erhalten.

Mit seiner Stimme hat er zahlreiche bekannte Persönlichkeiten wie König Harald von Norwegen, der ihn 2013 besuchte, oder den ehemaligen Fußballer David Beckham erreicht. Der Brite hatte sich im März auf dem insgesamt 96.000 Quadratkilometer großen Yanomami-Gebiet eingefunden, in dem rund 20.000 Indigene leben.

Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Nenzinho Soares von Survival International

Der Schamane Davi Kopenawa mit David Beckham, dem ehemaligen britischen Fußballstar, im März auf dem Gebiet der Yanomami
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Nenzinho Soares von Survival International

Kopenawa ist Präsident der Hutukara-Yanomami-Vereinigung (HAY), die er 2004 in Boa Vista, der Hauptstadt des nordbrasilianischen Bundesstaates Roraima, ins Leben rief. Zuvor hatte er sich für die Gründung des Indigenen-Territoriums (TI) der Yanomami eingesetzt. Das Gebiet von der Größe Portugals erstreckt sich über die brasilianischen Bundesstaaten Amazonas und Roraima und grenzt an Venezuela.

Am 28 Juli teilte HAY mit, dass Góes auf einer Straße in der Amazonas- Stadt São Gabriel da Cachoeira von Garimpeiros angehalten wurde, um Kopenawa eine Todesdrohung mitzugeben. "Seither herrscht ein Klima der Unsicherheit vor", meint der 39-Jährige gegenüber IPS.

Die Garimpeiros dringen auf der Suche nach Gold immer tiefer in das Yanomami-Territorium auf brasilianischer und auch auf venezolanischer Seite vor. Die Yanomami sind eine der ältesten überlebenden Kulturen.


Illegale Aktivitäten trotz Demarkierung

Das Yanomami-TI war kurz vor dem Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 demarkiert worden. Und auf dem Rio+20-Gipfel in der gleichen Stadt 2012 brachte es der international renommierte Kopenawa auch zu nationaler Berühmtheit. Doch trotz der vollständigen Demarkierung gehen die illegalen Aktivitäten auf dem indigenen Territorium weiter.

"Davi ist für Brasilien von unschätzbarem Wert, doch manche Menschen sehen in ihm einen Feind. Er ist ein Denker und ein Krieger, ein wichtiger Teil der brasilianischen Identität und seit 40 Jahren für die Rechte der Yanomami und anderer indigener Völker aktiv", erläutert Marcos Wesley vom Rio-Negro-Nachhaltigkeitsprogramm des Sozioökologischen Instituts (ISA). Der Rio Negro, der größte Zufluss des Amazonasflusses, verläuft durch das Yanomami-Gebiet.

In den 1990er Jahren sorgte Kopenawa dafür, dass 45.000 Garimpeiros aus dem Yanomami-TI entfernt wurden. "Er und Hutukara sind die Sprecher der Yanomami und deren Forderungen", betont Wesley. "Ich kann mir gut vorstellen, dass es Menschen gibt, die wirtschaftliche Verluste hinnehmen mussten und über die Fortschritte der Yanomami nicht eben erbaut sind."

Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von 'Survival International'

Illegale Goldsucher im Gebiet der Yanomami
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von 'Survival International'

Wie Góes berichtet, haben sich bereits zwei bewaffnete Männer in Boa Vista nach Kopenawa umgesehen. Sie hätten für seine Identifizierung eine Belohnung ausgesetzt. Die Ältesten hätten Davi deshalb geraten, in Demini Schutz zu suchen, einem von 240 Dörfern auf dem Yanomami-TI, das nur mit einem kleinen Flugzeug oder auf dem Wasserweg erreichbar ist. Die Bootsfahrt flussaufwärts dauert zehn Tage.

Am 3. August hatte Kopenawa als Ehrengast am 12. Internationalen Literaturfestival in Paraty im südbrasilianischen Bundesstaat Rio de Janeiro teilgenommen. Bei der Vorstellung seines Buches 'The Falling Sky: Words of a Yanomami Shaman' ('Der herabfallende Himmel: Worte eines Yanomami-Schamanen') sprach er über die Gewalt der Garimpeiros gegen sein Volk.

"Die Großgrundbesitzer und Garimpeiros verfügen über das nötige Geld, um einen Indianer töten zu lassen. Der Amazonas-Dschungel gehört uns. Er schützt uns vor der Hitze, der Regenwald ist für uns alle und unsere Kinder wichtig, um in Frieden leben zu können", sagte er.

Kurz zuvor hatte er erklärt: "Sie haben vor, mich zu töten. Ich tue nicht, was Weiße tun: einen Menschen aufspüren, um ihn umzubringen. Ich mische mich nicht in ihre Angelegenheiten. Doch mischen sie sich in unsere Angelegenheiten und in unseren Kampf ein. Ich werde den Kampf und die Arbeit für mein Volk fortsetzen. Denn es ist meine Arbeit, die Yanomami und unser Land zu schützen."


Polizeischutz gefordert

In ihrer Mitteilung hat die HAY die brasilianische Polizei aufgefordert, den Drohungen nachzugehen und Kopenawa offiziell Personenschutz zu gewähren. "Wir hegen den Verdacht, dass die Drohungen eine Reaktion auf die Arbeit der Yanomami in Zusammenarbeit mit Behörden darstellen, die Netzwerke der Goldsucher aufzubrechen, die seit einigen Jahren im Yanomami-TI aktiv sind", heißt es.

Kopenawa und HAY stellen der Bundespolizei Karten zur Verfügung, auf denen die Einsatzorte der Garimpeiros und geographische Anhaltspunkte eingezeichnet sind. Sie informieren die Sicherheitskräfte ferner über die Bewegung von Flugzeugen und Personen auf ihrem Land und oberhalb ihres Territoriums. Auf diese Weise konnten die vordringenden Garimpeiros und Großgrundbesitzer in der Vergangenheit lokalisiert und vertrieben werden. Die letzte größere Aktion zur Entfernung der Eindringlinge fand im Februar statt.

Nach Angaben der Bundespolizei generiert der illegale Goldbergbau allein in Roraima Gewinne in Höhe von monatlich 13 Millionen US-Dollar. Ein Teil des Goldes stammte aus dem Yanomami-Gebiet.

Góes zufolge sind die illegalen Aktivitäten nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen für die Indigenen verheerend. "Sie bringen die Kultur und das Leben der Yanomami durcheinander und schaffen eine Abhängigkeit von weiterverarbeiteten, künstlichen Objekten und Nahrungsmitteln. Dadurch wird die gesamte Weltsicht der Yanomami auf den Kopf gestellt. Der Bergbau verseucht zudem unsere Flüsse", kritisiert er.


Gewalt gegen Umweltschützer und Indigene

Die Menschenrechtsorganisation 'Global Witness' hat darauf hingewiesen, dass fast die Hälfte der weltweit an Umweltschützern begangenen Morde in Brasilien begangen werden. In den Jahren 2012 und 2013 waren es 443 von insgesamt 908 weltweit registrierten Morden.

Der Katholische Indigene Missionsrat (CIMI) hat in einem letztjährigen Bericht 53 Morde, 29 Mordanschläge und zehn Morddrohungen dokumentiert. Dem CIMI-Geschäftsführer Cleber Buzatto zufolge haben die Drohungen gegen indigene Führer im letzten Jahr zugenommen. Dem Zensus von 2010 zufolge sind 896.917 der 200 Millionen Brasilianer Indigene.

"Es sind vor allem Wirtschaftsinteressen, die hinter den Anschlägen auf indigene und vor allem indigene Landrechte stecken", sagt er. "Es ist eine wirklich gefährliche Situation. Verantwortlich für de fortgesetzten Drohungen sind vor allem Straflosigkeit und die Untätigkeit der Behörden."

"Wir wissen, dass die Gewalt gegen indigene Führer und soziale Bewegungen in Brasilien sehr hoch ist", fügt Wesley hinzu. "Die Straffreiheit grassiert. Davi ist ein Kämpfer und wird sich sicher nicht durch diese Drohungen einschüchtern lassen. Er glaubt an seinen Kampf, an seine Aufgabe, sein Volk und den Planeten zu schützen."

In Brasilien gibt es keine spezifischen Programme, um bedrohte Indigene zu schützen. Vertreter der Brasilianischen Indigenenbehörde FUNAI erklärten auf Anfrage von IPS, dass man die Personenschutzforderungen für Kopanawa und andere HAY-Führer erhalten und an das Sonderbüro für Menschenrechte des brasilianischen Präsidialamts weitergeleitet habe. Damit die Regierung aber aktiv werden könne, müsse der Yanomami-Führer selbst um Personenschutz ansuchen. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/08/amenazan-a-lider-yanomami-brasileno-con-la-vida-o-la-selva/
http://www.ipsnews.net/2014/08/brazils-dalai-lama-of-the-rainforest-faces-death-threats/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 19. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2014