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INTERNATIONAL/183: Scharfe Munition gegen Steine werfende Palästinenser (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. April 2015

Nahost:
Scharfe Munition gegen Steine werfende Palästinenser

von Mel Frykberg


Bild: © Mel Frykberg/IPS

Israelischer Heckenschütze - Bild: © Mel Frykberg/IPS

Ramallah, 1. April (IPS) - Ein palästinensischer Jugendlicher starb Ende März in einem Krankenhaus in Ramallah im Westjordanland, nachdem er von scharfer Munition getroffen worden war. Israelische Soldaten hatten das Feuer eröffnet, um Steinewerfer in der Nähe eines palästinensischen Flüchtlingslagers unter Kontrolle zu halten.

"Ali Safi wies schwere Schussverletzungen an Nieren, Rückgrat, Lungen und Milz auf", berichtet der Arzt Sami Naghli, der die medizinische Versorgung in dem Flüchtlingscamp Jelazon koordiniert. Ein israelischer Heckenschütze hatte den 17-Jährigen mit einem Ruger-Gewehr erschossen, als es zu Auseinandersetzungen zwischen den Jugendlichen und dem Militär kam.

Solche Kugeln vom Kaliber 5,5 Millimeter werden in letzter Zeit häufiger gegen palästinensische Demonstranten eingesetzt, was innerhalb der israelischen Armee höchst umstritten ist, wenn das Leben von Soldaten nicht unmittelbar gefährdet ist. Der Leiter einer Sicherheitsabteilung innerhalb der Streitkräfte hatte bereits 2001 erklärt, dass Ruger-Gewehre nur in Situationen verwendet werden sollten, in denen der Einsatz von Gefechtsmunition gerechtfertigt sei.


Umstrittene Munition während Zweiter Intifada nicht eingesetzt

Da viele Palästinenser durch Kugeln dieses Kalibers verletzt oder getötet worden waren, wurde ihre Verwendung während der Zweiten Intifada von 2001 bis 2008 ausgesetzt. Inzwischen werden sie aber wieder von der israelischen Armee eingesetzt, und die Zahl der verletzten Palästinenser steigt. In den vergangenen Monaten kamen auf diese Weise mindestens zwei Menschen zu Tode.

Auf protestierende Palästinenser im Westjordanland werde diese Munition regelmäßig abgefeuert, berichtete die israelische Menschenrechtsgruppe 'B'tselem' im Januar. "Die meisten Verletzten waren junge Palästinenser, darunter auch Minderjährige. In den letzten Monaten wurden auch eine palästinensische Frau, mindestens drei Fotografen und ein ausländischer Demonstrant von solchen Kugeln getroffen."

Laut den Menschenrechtsaktivisten haben israelische Soldaten mehrmals Auseinandersetzungen provoziert, um schießen zu können. Die Wiederverwendung der umstrittenen Waffe veranlasste B'tselem dazu, Beschwerde bei der israelischen Militärstaatsanwaltschaft (MAG) einzulegen. Diese bestätigte, dass Ruger und ähnliche Waffen nicht für den Einsatz bei Demonstrationen oder öffentlicher Ruhestörung vorgesehen seien.


Fatale Splittermunition

Naghli berichtet außerdem, dass Kugeln abgeschossen werden, die beim Aufprall zersplittern und damit schwere Schäden an Knochen, Organen und Nerven verursachen. "Während der vergangenen drei Monate sind mehr als 40 Menschen durch solche Schüsse verletzt worden."

In den letzten Wochen hatte IPS mehrmals beobachtet, wie israelische Heckenschützen bei Zusammenstößen zwischen Armee und Demonstranten auf Palästinenser schossen, auch wenn die von ihnen geworfenen Steine weit entfernt von den Soldaten aufprallten. Der Chirurg Ahmed Barakat, der im Krankenhaus von Ramallah arbeitet, erklärt, dass viele Verwundete aus geringer Entfernung getroffen worden seien. "Es scheint so, als würden die Soldaten mit der Absicht zu töten schießen. In den fünf Jahren meiner Tätigkeit als Chirurg hat sich die Lage immer weiter verschlechtert, vor allem in jüngster Zeit."

Die israelischen Streitkräfte setzten kürzlich den Einsatz von Kampfhunden bei der Festnahme von Palästinensern aus, nachdem ein Video für große Empörung gesorgt hatte. Darauf ist zu sehen, wie der 16-jährige Hamzeh Abu Hashem aus Beit Ummar bei Hebron von zwei Hunden angegriffen wird. Seither befindet sich der Jugendliche in Haft.


Zunehmend Gefangene misshandelt

Folterungen inhaftierter Palästinenser haben seit dem vergangenen Sommer ebenfalls zugenommen, wie das öffentliche Komitee gegen Folter (PCAT) in Israel, ein Anwalt palästinensischer Gefangener und die israelische Zeitung 'Ha'aretz' berichteten. Im gesamten vergangenen Jahr haben 23 Palästinenser gegen den israelischen Geheimdienst 'Shin Bet' Anzeige wegen Folter erstattet.

Bis 1999 waren jährlich Tausende Palästinenser gefoltert worden. Nach Schätzungen von PCAT hatten die meisten von dem Komitee befragten Palästinenser mindestens in einem Fall Folter erlebt. Das Oberste Gericht verbot nach einer Eingabe im September 1999 systematische Folter, ließ bei Verhören jedoch noch einen Spielraum.

Bei so genannten 'tickenden Zeitbomben' ist der Einsatz von Gewalt gestattet, um wichtige Informationen zu erzwingen. Allerdings wurde nicht festgelegt, wer in diese Kategorie fällt. Zudem ist bekannt, dass Gefangene unter der Folter falsche Angaben machen, um die Qualen zu beenden. (Ende/IPS/ck/2015)


Link:
http://www.ipsnews.net/2015/03/israel-using-live-ammunition-for-palestinian-crowd-control/

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IPS-Tagesdienst vom 1. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2015

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